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Kommentar Friedensdialog mit TalibanEin kleiner Schritt des Erfolgs

Thomas Ruttig
Kommentar von Thomas Ruttig

Viele AfghanInnen lehnen einen Dialog mit den Taliban ab. Doch die Gespräche sind der einzige Weg, den Krieg im Land zu beenden.

Harte Lebensbedingungen am Rande von Kabul hat auch die Regierung zu verantworten Foto: reuters

S chon dass am Ende des Afghanistan-Dialogs in Doha überhaupt eine gemeinsame Resolution zustande kam, ist mehr, als zu erwarten war. Nach 40 Jahren Krieg ist es ein Erfolg, wenn sich überhaupt etwas bewegt, selbst in winzigen Schritten.

Auf einige Positionen konnten sich Vertreter von Regierung, Opposition, Zivilgesellschaft und Taliban einigen, vor allem jene, dass die Gewalt gemindert werden muss. Allerdings überwiegen die Leerstellen, und Absichtserklärungen sind noch kein bindender Vertrag. Es behaupten ja schon sämtliche Kriegsparteien, dass sie Zivilisten und zivile Einrichtungen schützen – auch wenn in der Praxis alle regelmäßig dagegen verstoßen. Jetzt gibt es also eine Resolution mehr, die mensch ihnen in solchen Fällen vorhalten kann.

Auch die massive Kritik vieler in Afghanistan an jenen, die sich mit „Terroristen“ an einen Tisch gesetzt hätten, sowie ihre Boykottaufrufe sind eine konzeptionelle Leerstelle. Die Kritiker – viele sind Kritikerinnen – haben gute Gründe, die Taliban abzulehnen. Allerdings haben sie auch keine Idee, wie man den Krieg – weltweit der mit den meisten Opfern – ohne Gespräche und Kompromisse mit den Taliban beenden will.

Hippe Cafés und hungernde Bevölkerung

Sie wollen nicht wahrhaben, dass nicht die Taliban (und Pakistan) an allem schuld sind, sondern auch massive Fehler im eigenen System. Die Regierung von Präsident Ghani hat in fünf Jahren Amtszeit weder eine Strategie für Verhandlungen präsentiert noch einen breiten öffentlichen Konsens dafür geschaffen. Eine verfehlte Intervention toleriert letztlich Korruption und Folter. Die Eliten und Teile der Zivil­gesellschaft feiern, dass in Kabul hippe Cafés öffnen, während die Hälfte der Bevölkerung am Rande des Hungers vegetiert, und nehmen in Kauf, dass ihre Armee in den Taliban-Gebieten reihenweise Zivilisten bei Kommandoaktionen und Luftschlägen umbringt.

Natürlich müssen auch die Taliban noch viele Zugeständnisse machen. Aber nicht mit ihnen zu verhandeln und ihnen einen Platz im künftigen Afghanistan verwehren zu wollen ist das Rezept für einen ewigen Krieg.

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Thomas Ruttig
Autor:in
Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.
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3 Kommentare

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  • Mir ist bekannt, dass 3/4 des Landes Afghanistan schwer zugängliche Gebirgsregionen sind, aber trotzdem überlege ich mir, ob das bewohnbare Gebiet nicht evtl. aufgeteilt werden kann, zwischen der einen Gruppe, die nach der Scharia (Taliban) leben möchte und der eher demokratischen Nicht-Scharia Gruppe.



    Beide Gruppen haben in Afghanistan ihre Daseinsberechtigung und ich habe (auch in Deutschland seit 2015) immer stärker den Eindruck, dass in ihren Werten und Zielsetzungen zu unterschiedliche Bevölkerungsgruppen nicht friedlich und harmonisch zusammenleben können, was zu Lasten der Entwicklung eines Landes geht. Ich denke das auch öfter in Zusammenhang mit den Kriegen in Afrika, ob man Menschen, die nicht miteinander leben wollen, trennen kann.

    Ich fände das ohnehin ein spannendes Experiment, vor allem würde ich gerne wissen, für welches Gebiet sich die Frauen in Afghanistan entscheiden.

  • 8G
    83985 (Profil gelöscht)

    Da bin ich aber mal gespannt, auf welche Kompromisse sich radikale Islamisten einlassen. Vermutlich wollen sie sich demokratischen Wahlen stellen ...

  • Zitat: „Die Kritiker [...] haben gute Gründe, die Taliban abzulehnen. Allerdings haben sie auch keine Idee, wie man den Krieg – weltweit der mit den meisten Opfern – ohne Gespräche und Kompromisse mit den Taliban beenden will.“

    Die meisten Kritiker der Verhandlungen brauchen auch gar keine Idee, wie der Krieg zu beenden ist. Sie fühlen sich bereits hinreichend respektiert und bestätigt, wenn sie für ihr bloßes Statement Zuspruch bekommen. Von jenen Moralaposteln, meine ich, die nie und unter keinen Umständen mit Verbrechern reden wollen (als stünde in einem Rechtsstaat nicht selbst dem schlimmsten Verbrecher wenigstens eine Anhörung zu vor der Verurteilung).

    Einzelne unter den Kritikern mögen sogar ganz persönlich profitieren. Nicht nur von den „massive[n] Fehler[n] im [...] System“, von all den Ungerechtigkeiten, die den Taliban immer wieder neue Gefolgsleute zutreiben, und von den Bildungslücken, die in einer Nation entstehen, in der sich jeder nur noch um den eigenen Vorteil schert, sondern auch vom Krieg selber.

    Das „Establishment“ hat die Taliban groß werden lassen. Zu groß, als dass es ohne sie noch (ver-)handlungsfähig wäre. Dass es sich an diesen Umstand nicht gerne erinnern lässt aus Anlass irgendwelcher Verhandlungen, kann ich verstehen. Gut finden kann ich es aber nicht. Denn dass es das "Rezept für einen ewigen Krieg" ist, dem „Besen“, den man gerufen hat und den man mit rein militärischen Mitteln nicht wieder in die Ecke gestellt bekommt, einen Platz im künftigen Afghanistan verwehren zu wollen, glaube ich auch.

    Aber wer hat behauptet, dass nach mehr als 40 Jahren der Anwendung dieses Rezepts jeder (uns jede) ein Interesse an der Beendigung des Krieges haben muss? Wer einmal süchtig ist, kommt ja bekanntlich nicht leicht wieder los von seiner Droge. Schon gar nicht nach 40 Jahren ununterbrochenen Dauerkonsums.