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Kommentar Nationalismus in BosnienIn der Zwangsjacke am Abgrund

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

In Bosnien und Herzegowina gewinnen nationalistische Strömungen an Einfluss. Und die internationalen Institutionen lassen das zu.

Kennt sich mit Abgründen aus: Brückenspringer in Mostar, Bosnien-Herzegowina Foto: Inka Schwand

A ls am vergangenen Montag die Nachricht kam, dass Bosnien und Herzegowina nicht einmal in der Lage war, eine Delegation zum Europarat zu senden, war wieder einmal ein Schlaglicht auf einen Staat gesetzt, der so nicht funktionieren kann. „Jeder, der nur ein Gramm Gehirn hat, ist in diesem Land verzweifelt und hoffnungslos“, schrieb der Dichter und Schauspieler Darko Cvijetić aus Prijedor am Dienstag in Facebook.

Über 30.000 Menschen haben dieses Jahr 2019 das Land schon in Richtung Europa verlassen – qualifizierte Arbeitskräfte die von deutschen Krankenhäusern, von der Altenpflege bis hin zum IT Sektor mit Kusshand genommen werden. Ihr Motiv ist nicht nur ökonomisch – auch politisch.

Niemand aus den herrschenden Parteien habe ein Interesse, über die Probleme und die Zukunft der Gesellschaft zu diskutieren, klagte die Abgeordnete und Vizepräsidentin der linksliberalen nichtnationalistischen Partei Naša stranka, Sabina Djudić: „Es gibt wohl kein Parlament der Welt, das nur alle vier Wochen zusammentritt und dann nichts entscheidet.“ Bei einfachen Leuten und den hochpolitischen Taxifahrern in Sarajevo hört sich das noch drastischer an: „Nationalistische Kriminelle beherrschen uns in diesem Staat.“

Diese Einschätzung reflektiert durchaus realistisch die Zwangsjacke, in der das Land steckt. Mit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 wurde eine Verfassung geschaffen, die das Land in nationalistischen Einflusszonen aufteilte, was zu einer Fragmentierung des Landes geführt hat und den serbischen und kroatischen Nationalisten entgegenkam. Deren Kriegsziel war es ja gewesen, die multinationale, multireligiöse bosnische Gesellschaft zu zerschlagen. Ihnen wurde nach dem Krieg die Gelegenheit gegeben, ihre Macht zu erhalten und sie sogar formaldemokratisch zu legitimieren.

Erich Rathfelder

ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen beizutragen. Er schrieb die Bücher: „Kosovo – Geschichte eines Konflikts“ (Berlin 2010), „Bosnien im Fokus“ (Berlin 2010).

Dabei hätten die internationalen Institutionen das Land in eine positive Richtung lenken können. Die Kriegsparteien waren 1996 durch die internationalen Friedenstruppen entwaffnet, ein „Büro des Hohen Repräsentanten“ geschaffen, die EU, OSZE, der Europarat, die UNO und viele internationale Organisationen waren und sind präsent. Man hätte dem Land eine Atempause geben, zivile und unbelastete Personen in die Verwaltungen bringen können. Man hätte die alten Kriegsparteien verbieten und nach und nach Lizenzen für neue Parteien ausgeben können.

Gegen die Interessen des Landes

Doch das Gegenteil geschah. Mit den viel zu frühen Wahlen wurden die Nationalparteien „demokratisch“ legitimiert. Mit dem vor allem von der European Security Initiative (ESI) propagierten „Ownership“-Prinzip sollte die Macht in einheimische Hände gegeben werden. So konnten die totalitären, kriminellen und religiösen Strukturen der nationalistischen Extremisten ihre Positionen nach und nach wieder ausbauen.

Eine Aufarbeitung der Geschichte gibt es nicht, verurteilte Kriegsverbrecher werden als Helden gefeiert

In der serbischen Teilrepublik wird jetzt diktatorisch regiert, die Opposition ist ausgeschaltet. Russische Berater werkeln am Aufbau einer neuen „Polizeitruppe“, der starke Mann der serbischen Nationalisten, Milorad Dodik baut nach und nach sein Herrschaftsgebiet zu einem „unabhängigen“ Gebilde aus. Beharrlich verfolgt er das Ziel, die durch das Verbrechen der ethnischen Säuberungen entstandene serbische Teilrepublik mit Serbien zu vereinigen.

Als Repräsentant der Serben in das höchste Amt des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina, in die dreiköpfige Präsidentschaft gewählt, hat er in den letzten Monaten als Vorsitzender dieses Gremiums keine Gelegenheit ausgelassen, gegen die Interessen des Landes zu handeln. Die systematische Obstruktionspolitik des „Präsidenten“ schwächt die ohnehin schwachen gesamtstaatlichen Strukturen.

Auf der kroatischen Seite von Bosnien und Herzogowina versucht deren starker Mann Dragan Cović die Kroatengebiete mithilfe Zagrebs zu einem eigenständigen Gebilde zu formen, die er zu Kroatien schlagen möchte. Nur in den bosniakischen Gebieten mit den Großstädten Sarajevo, Tuzla und Zenica gibt es noch Multikulturalität, Pressefreiheit und einen politischen Pluralismus. Bei den Wahlen 2018 gewannen linksliberale Bürgerparteien dort die Mehrheit.

Klein-Klein-Politik der EU

Die Ownership-Theorie ist krachend gescheitert. Seit 25 Jahren kommen die internationalen Institutionen Schritt für Schritt den totalitär-nationalistischen Parteien der Serben und Kroaten entgegen. Eine Aufarbeitung der Geschichte gibt es nicht, verurteilte Kriegsverbrecher werden straflos als Helden gefeiert.

Entgegen ihrem Auftrag, die Demokratisierung des Landes zu fördern, das Rechtssystem zu modernisieren, Menschenrechte durchzusetzen, das Land für die Integration in die EU zu befähigen, weichen die Repräsentanten der westlichen Demokratie jedem auch nur kleinen Konflikt mit den Nationalisten aus. Der seit zehn Jahren „regierende“ Hohe Repräsentant, der Österreicher Valentin Inzko, hätte eigentlich die Machtmittel in der Hand, dem Spuk ein Ende zu setzen und den totalitären Kräften ein klares Zeichen zu geben. Doch er tut nichts.

taz am wochenende

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Die EU-Mission selbst hat sich mit ihrer windelweichen Klein-Klein-Politik in den Augen der Führungen der Nationalisten sogar lächerlich gemacht. Leuten wie Dodik und Cović könnte man nur kraftvoll und mit klaren Worten und Taten entgegentreten. Nur diese Sprache verstehen sie. Man kann nur hoffen, dass mit der neuen EU-Kommission und dem neuen EU-Parlament eine Revision der Balkanpolitik beginnt. Denn es ist ein politische Vakuum entstanden.

Dass Putin, Trump und auch Erdoğan im Einklang mit den europäischen nationalistischen und rechtsradikalen Kräften das Europa der EU zerstören wollen, ist ja keine neue Erkenntnis. Dass der Balkan, präziser der Westbalkan und da vor allem Bosnien und Herzegowina, ein Hebel für die weitere Schwächung Europas sein kann, wird leider bisher nur von wenigen Politikern gesehen.

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15 Kommentare

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  • Moment mal - ich dachte, Nationalismus gab und gibt es nur bei den Serben?^^

    • @Gemeiner Hai:

      Es gibt gute, prowestliche Nationalisten und eben andere, böse Nationalisten :-)

  • Es gab nach 1996 keinen Frieden - nur einen Nicht-Krieg, der auf Druck der EU ausgehandelt wurde. Serbische und Kroatische Nationalisten, einst stramme Kommunisten, waren von Anfang an darauf erpicht, Bosnien-Herzegowina zwischen sich aufzuteilen. Saudi Arabien versucht einen Fuß für den fundamentalistischen Wahabiten-Islam in die Tür zu bekommen. Der EU ist es in einem Viertel Jarhhundert nicht gelungen, daran etwas zu ändern. Kroatien ist Mitglied der EU und bereichert die Nationalisten-Regimes in Ungarn, Polen, Rumäniens und Bulgarien um ein weiteres Mitglied. Letzlich sind die Staaten Ex-Jugoslawiens heute ein Symbol auch für 25 Jahre gescheiterte deutsche Politik von Kohl-Genscher bis Schröder-Fischer. Der nächste Waffengang ist nur aufgeschoben.....

  • "Die Kriegsparteien waren 1996 durch die internationalen Friedenstruppen entwaffnet, ein „Büro des Hohen Repräsentanten“ geschaffen,"

    Den Schrott den die abgegeben haben? Von den drei Kriegsparteien ist keiner effektiv entwaffnet worden und alle wussten es, aber die Bilder der abgegebenen Waffen waren zu hübsch und die Mehrheit der Politik und auch der Bevölkerung hatte und hat kein Interesse am Balkan, darum war das ein guter Deal für alle.

    Ihr gebt was ab und den Rest versteckt ihr, wir sorgen dafür das ihr die Waffen nicht mehr braucht und suchen nicht effektiv danach.

    • @Sven Günther:

      Ja - da staunt der Fachmann - ……öh &



      Der Laie wundert sich ooch nich - kerr!

      • @Lowandorder:

        Ich würde mich nicht als Fachmann bezeichnen, ich war auch nicht im Einsatz in Bosnien, aber ich hab da zuviele Geschichten in der Baracke gehört, als ob die alle ausgedacht wären.

        Der Balkan, wo ich auch noch Freunde habe, ist leider ein vergessener Teil Europas und im Kosovo war es ja nicht anders. Nur da haben wir den Serben wirklich versucht die Waffen abzunehmen, weil das politische Freund- und Feindbild klar abgesteckt war.

  • Interessant dass Sie nur serbische und kroatische Nationalisten erwähnen?!? ) 🤨 so wie dass es nur noch Multikulturalität in den drei bosnische Städten gibt, wenn dann wäre das Tuzla =Bijeljina in RS.

  • Es ist vermutlich nicht im Interesse von EU und Welt diesen Wahnsinn ein Ende zu setzen. Was zu Kriegszeiten begonnen hat, wird jetzt auf friedlichen Weg zu Ende geführt. Schade um die Leute die ihre Jugend verschwendet haben, in der Hoffnung das sich die Lage bessern würde.



    Inzko ist vermutlich auf den Geschmack von Cevapcici gekommen und hat nicht vor sein Amt zu Lebenszeiten noch zu verlassen.

  • Es klappt eben nicht, ein politisches Gebilde, dass aus dem Streit der Großmächte entstanden ist, mit Druck zusammen zu halten. Die Serben und Kroaten werden nie akzeptieren, dass sie nicht mit den anderen Serben und Kroaten in den jeweiligen Staaten zusammen leben dürfen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Underground (Film)



      Film von Emir Kusturica (1995)

      unterm——



      de.wikipedia.org/wiki/Deutschland

      unterm—- But —



      Genschman is an honorable man

      • @Lowandorder:

        Ihre Kommentare in Ehren - aber der link erschließt mir keinen Sinn...

        • @Gottfried Scherer:

          Na ja - spitzbübisch könnte ich sagen -

          Genau das war Emir Kusturicas Absicht

          unterm——



          www.dw.com/de/deut...konflikt/a-5805165



          &



          de.wikipedia.org/wiki/Jugoslawienkriege



          &



          “Genscher und die Balkankrise



          Die Zerstörer-Legende



          Die Kroaten liebten ihn, die Serben hassten ihn: Genschers Rolle in der Balkankrise war wichtig. Sie wird aber bis heute übertrieben.“ Na ja er nun!👹



          taz.de/Genscher-un...kankrise/!5291608/

          • @Lowandorder:

            Genscher hat aber nicht allein gehandelt.

            • @warum_denkt_keiner_nach?:

              Also andere westliche Oberhäupter waren damals schon überrascht davon, wie schnell Genscher bei der Sache war, um die Souveränität der neu gegründeten Staaten anzuerkennen. Man stelle sich mal vor, der deutsche Außenminister würde auf dem Höhepunkt der Katalonien-Krise die Souveränität der Katalanen anerkennen. Das kann man in etwa gut vergleichen, außer das die Katalanen nicht bewaffnet sind. Verblüffend wie schnell die alten Freund-/ Feinbilder im ehemaligen Jugoslawien wieder aufgebaut waren, hatte man doch im 2. Weltkrieg genau die gleichen Verbündeten/Feinde. Die alten Kameraden aus der Hitlerjugend wären bestimmt stolz auf ihren Hans-Dietrich gewesen. Wann das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu gelten hat, dass bestimmen immernoch die Westmächte. Selbstbestimmung für Katalanen oder gar Palästinenser? Nicht mal im Traum! Mann gestaltete also unter Führung der NATO neue Staaten, streng getrennt nach Kroaten, Serben, Slowenen usw. und wundert sich später, dass der zuvor geförderte Nationalismus nun weiter wuchert. Wer hätte das gedacht. Mich wundert nur, dass Herr Rathfelder die Abspaltung der serbischen und kroatischen Teile Bosniens kritisch sieht, er in anderen Artikeln jedoch unverblümt erklärt, dass für das Kosovo aus seiner Sicht gar keine andere Lösung in Frage kommt, außer man spricht es Albanien zu. Merke: Groß-Albanien gut, Groß-Serbien schlecht! Jedenfalls nach der Logik Rathfelders. Vielleicht macht sich der Autor aber auch nur sorgen um seinen Wohnsitz in Sarajevo, da der Bosnische Staat ohne den kroatischen und den serbischen Teil noch weitaus weniger Lebensfähig wäre als er jetzt schon ist. Und mit den starken türkischen und arabischen Einflüssen in Bosnien, findet sich wohl auch nicht so schnell ein Staat in der Nachbarschaft, dem man sich anschließen könnte. Da hat es sich dann ausgespaltet. Währenddessen kann der Westen seine Hände weiter in Unschuld baden.

            • @warum_denkt_keiner_nach?:

              Behauptet ja auch niemand.

              Aber - auch Sie wissen - er war ja nicht irgendwer - kerr.

              unterm--- kl Reminiszenz auch wg Film



              Irgendwann in den 90er hockte ich mit Vinko Globokar " * 7. Juli 1934 in Anderny, Frankreich) ist ein slowenischer Posaunist und Komponist - wiki - " ;) - ein Weltbürger - in der Bockshaut in Darmstadt ne lange Nacht über Gott & die Welt zusammen.



              & Däh!



              “Stell dir vor & da kommen diese Idioten & “…du bist doch Slowene…" “du bist doch… & du bist doch …" ff



              & dann sage ich denen “…hört mal einer meiner Ur-Großväter war Türke - einer kukOffizier & ……usw usf



              (er kriegte den ganzen Balkan einschl. kuk & Italien* zusammen;) & dann sag ich denen: Jeder finnische Musiker ist mir doch näher als ihr - die ihr das alles schon noch mit eurem kleinkarierten Nationalismus kaputt kriegen werdet!" (so in etwa - klar; aber deutlich)

              -----



              de.m.wikipedia.org/wiki/Vinko_Globokar



              “Das Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen prägte seine Kindheit. Von seinem 13. bis zum 21. Lebensjahr lebte Globokar in Ljubljana (Slowenien), wo er als Jazzmusiker unter Bojan Adamič debütierte.…"



              & zu * mal zB - Ljubljana -



              de.m.wikipedia.org/wiki/Ljubljana



              “…Bei der Volkszählung 2002 waren 84,1 % der Einwohner von Ljubljana slowenische Staatsbürger, 7,5 % Bosnier, 3,5 % Kroaten, 3,2 % Serben, 0,7 % EU-Bürger (damals EU-15), 0,6 % Mazedonier und 0,5 % andere.…"



              Sprache dito dort