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Die „autonome Großraumbehörde“Der Faktor Flora

Vor 20 Jahren besetzten Linke die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel – und gründeten dort ein StadtteilzentrumJUBILÄUM Das besetzte autonome Stadtteilzentrum Rote Flora in Hamburg feiert sein 20-jähriges Bestehen. Es hat Razzien und Räumungsdrohungen überstanden. Mit der linken Szene verbinde die Rote Flora „eine Art Hassliebe“ sagt eine, die schon lange dabei ist

Die Feierlichkeiten

Die Rote Flora feiert ihr Jubiläum in einer Festwoche.

■ Dub-Cafe Party: 17. Oktober ab 22 Uhr

■ Tag der offenen Tür: Flora-Gruppen stellen sich vor. 18. Oktober ab 15 Uhr

■ Information: Soziale Kämpfe in Kopenhagen. Außerdem wird über die Rolle von sozialen Zentren im Prozess der Gentrifizierung diskutiert. 22. Oktober, 19:30 Uhr

■ Diskussion mit autonomen Zentren aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter die Alte Meierei Kiel, das Jugendzentrum Kornstraße, Hannover und das Kommunikationszentrum Walli, Lübeck: Sonntag, 24. Oktober, 19 Uhr

■ Jubiläumsparty: Samstag, 31. Oktober. Beginn: 22 Uhr

von KAI VON APPEN

„Wer vor 20 Jahren gesagt hätte, wir feiern in 20 Jahren den 20. Jahrestag der Besetzung, den hätte man der Träumerei bezichtigt“, sagen Klaus Blau* und Silke Rot* vom autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora in Hamburg. Daher sei es ein „großer politischer Erfolg“, die Rote Flora „in selbst verwalteten Strukturen, ohne staatliche Förderung und ökonomische Sachzwänge erhalten zu haben“.

Am 1. November 1989 hatten Autonome das ehemalige Film-Theater auf dem Schulterblatt im Hamburger Schanzenviertel besetzt. Der Besetzung vorangegangen war heftiger Widerstand gegen die geplante Umstrukturierung und Kommerzialisierung des Szeneviertels. Der Musical-Papst Fritz Kurz hatte das historische Gebäude als Standort für sein Musical „Phantom der Oper“ auserkoren. Die Proteste konnten das Vorhaben trotz begonnener Bauarbeiten verhindern. Stattdessen sollte ein Stadtteilzentrum entstehen. Die Besetzung schaffte Tatsachen und der Senat verzichtete auf eine Eskalation des Konflikts.

Die Rote Flora ist seitdem ein Treffpunkt für Leute, die sich gegen die städtische Umstrukturierungspolitik und gegen ökonomische Sachzwänge zur Wehr setzen wollten. Politische Entscheidungen werden im Plenum nach dem Konsensprinzip getroffen. Die Formel: 75 Prozent ja ist Konsens.

Zu einer ersten Machtprobe mit dem damaligen SPD-Senat kommt es 1992, als die Stadtentwicklungs-Senatorin Traute Müller auf vertragliche Regelungen drängt und eine Kita im Zentrum unterbringen möchte. Sollte es nicht binnen sechs Wochen zu einer Vertragslösung kommen, werde der Senat räumen lassen. Obwohl die Rotfloristen davon ausgehen, dass die Verträge nur ihre Autonomie beschneiden sollen, werden Verhandlungen aufgenommen. „Wir haben richtig professionell mit denen verhandelt“, erinnert sich Blau, „damit haben sie überhaupt nicht gerechnet.“ Aufgrund der Bürgerschaftswahlen verlaufen die Verhandlungen nach vier Monaten im Sande, die Rote Flora bleibt besetzt und ohne Vertrag.

Auf wenig Gegenliebe in der Politik und Öffentlichkeit stoßen dann Ende der neunziger Jahre die Positionen der Roten Flora zur Drogenpolitik im Schanzenviertel. Die Flora richtet einen Druckraum ein und bezieht damit praktisch Stellung zum Umgang mit den Junkies. Trotzdem wird die Drogeneinrichtung „Fixstern“ am Schulterblatt geschlossen und es gibt Polizeieinsätze, die die Junkies vertreiben sollen, um das Viertel nach der Logik der Politiker aufzuwerten.

Im Bürgerschaftswahlkampf 2001 macht CDU-Bürgermeisterkandidat Ole von Beust die Rote Flora zum Thema. Er kündigt an, für den Fall eines CDU-Wahlsieges den „rechtfreien Raum“ räumen zu lassen. Um den Konservativen das Thema „Rote Flora“ zu nehmen, verkauft der damals rot-grüne Senat das Gebäude im Frühjahr 2001 an den Kulturmäzen und Investor Klausmartin Kretschmer. Bis dato hat es nie einen direkten Kontakt zwischen den Rotfloristen und Kretschmer gegeben.

Dennoch bleibt die Rote Flora weiter Ziel staatlicher Begierde. So findet am 9. Mai 2007 im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm eine Razzia statt, weil der Staatsschutz – zu Recht – hier den Hort der Gipfelgegner vermutet. Es stellt sich später heraus, dass der Staatsschutz die Treffen verwanzen wollte, jedoch „aufgrund der Sensibilität des dort verkehrenden Publikums die Installation der erforderlichen Überwachungs- und Aufzeichnungstechnik nicht möglich“ gewesen sei, so ein Vermerk in einer Akte des Staatsschutzes. Und auch einen Vorfall im Juli 2008, bei dem Konzert-Besucher der Roten Flora frühmorgens einer Frau auf der Piazza wegen eines „sexistischen Angriffs“ zur Hilfe eilen, nutzt die Polizei zur Razzia, um das Gebäude nach vermeintlichen Tätern zu durchsuchen.

„Wir haben es geschafft, uns 20 Jahre produktiv zu verändern“, lautet das Resümee von Klaus Blau. „Die Schanze 89 war was anderes als die Schanze 2009.“ Der Slogan von „unserm Viertel“ sei Geschichte. Dabei müsse die Rolle der Roten Flora bei der Gentrifizierung auch selbstkritisch reflektiert werden, ergänzt Silke Rot, „dass durch uns auch ein bestimmtes Publikum angelockt und ins Viertel geholt worden ist“.

So predigt die Handelskammer Hamburg seit Jahren, dass die Flora zum „wichtigen Standortfaktor“ mutiert sei. „Wir werden im Viertel und in der Szene aber als politischer Faktor wahrgenommen“, sagt Rot. Die Flora werde eher dafür kritisiert, dass zu wenig Stellung bezogen werde. „Die Flora ist nicht isoliert“, sagt Blau. „In der Szene wird oft Bezug auf uns genommen, aber auch sehr viel kritisiert“, ergänzt Rot. „Eine Art Hassliebe.“

Die Handelskammer Hamburg predigt seit Jahren, dass die Flora zum „wichtigen Standortfaktor“ mutiert sei

Auch die eigenen Strukturen mussten sich immer wieder einer Überprüfung unterziehen, sagt Blau, „damit sich keine Hierarchien entwickeln oder sich die Flora zu sehr abschottet“. Manche Diskussionen seien immer wiedergekehrt, wenn neue Leute dazu gestoßen seien. „In der Flora tauschen sich Leute zwischen 15 und 60 aus“, sagt Rot. „Das ist manchmal schwierig, und grauenvoll, aber auch eine Herausforderung.“ Oft würden alte Diskussionen zu Sexismus oder Antisemitismus wieder neu geführt, so Rot. „Das ist anstrengend – aber auch lohnend.“

Selbstironisch könne die Rote Flora auch als „autonome Großraumbehörde“ bezeichnet werden, witzelt Blau, wenn nämlich Gruppen, die eine Veranstaltung machen wollen, erstmal mit den „Gesetzen und Regularien“ konfrontiert werden: „Keine Bezahlung, nichts Kommerzielles, kein Hart-Alk et cetera“, so Blau.

Trotz der Diskussion über Eigentümer Kretschmers Verkaufsabsichten blicken die Rot-Floristen positiv in die Zukunft. „Wir sind ganz gut aufgestellt“, sagt Silke Rot, „die nächste Generation ist nachgewachsen, mit Engagement und sehr viel Potenzial.“

*Namen geändert

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