Grünen-Streit in Hamburg-Mitte: Die Grünen zerlegen sich
Extremismus-Beschuldigungen, Fraktionsspaltung, Austritts-Ultimaten und Intrigen-Vorwürfe: Im Bezirk Mitte haben sich die Grünen geschreddert.
Ins Rollen gekommen war die Lawine, die den grünen Bezirkswahl-Erfolg in Mitte längst überrollt hat, durch eine Mail vom 7. Juni, in der Gallina den frisch gewählten Abgeordneten Fatih Can Karismaz und Shafi Sediqi vorwarf, extremistischen Organisationen nahezustehen. Sediqi habe 2016 die islamistische Hilfsorganisation Ansaar International finanziell unterstützt, Karismaz stehe der Bewegung Millî Görüş nahe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Obwohl beide Abgeordnete betonen, „Extremismus in jeder Form abzulehnen“, landeten die Vorwürfe binnen weniger Tage in der Presse.
„Das ist existentiell gefährdender Rufmord“, sagt Sediqi, der nun juristisch gegen die Behauptungen vorgehen will. Gleichzeitig räumt der 28-jährige Politiker ein, 2016 aus „humanitären Gründen“ an zwei Waisenhäuser in Nigeria und Ghana und eine Klinik in Aleppo, die von Ansaar ins Leben gerufen worden seien, jeweils „Beiträge zwischen 15 und 20 Euro gespendet“ zu haben. „Ich kannte Ansaar nicht und würde heute eine solche Spende nicht wieder tätigen“, sagt Sediqi.
„Die Extremismus-Vorwürfe sind völlig unbewiesen und mit dem, was auf dem Tisch ist haltlos“, sagt die Abgeordnete Meryem Dagmar Celikkol, die sich mit den beiden Islamismus-Verdächtigen solidarisiert. Nachdem Sediqi und Karismaz aufgrund der Vorwürfe nicht in die Grünen-Fraktion aufgenommen wurden, hatten sich Celikkol und drei weitere Abgeordnete aus Protest mit ihnen solidarisch erklärt und eine zweite Grünen-Fraktion gegründet.
Zweitstärkste Fraktion trotz Sieg
So blieben die Grünen trotz ihres Sensations-Sieges bei der Bezirkswahl nur zweitstärkste Fraktion hinter der SPD. Der Landesvorstand der Grünen hatte die sechs Abgeordneten daraufhin wegen parteischädigenden Verhaltens aufgefordert, bis zum 1. Juli aus der Partei auszutreten. Ansonsten werde ein Ausschlussverfahren eingeleitet. „Wir sind Grüne durch und durch, keiner von uns sechs plant, derzeit unsere Partei zu verlassen“, so Celikkol.
Man habe nichts dagegen, dass die grüne Partei, auch mit Hilfe ihres Schiedsgerichts die Vorwürfe überprüfe, die erfolgte Vorverurteilung aber sei „nicht hinnehmbar“, sagt die 49-Jährige, die von der Gruppe zur Fraktionschefin ernannt wurde. Die beiden Beschuldigten würden noch auf ein Angebot des Landesvorstandes zu einem Gespräch warten. Stattdessen würden nur noch anwaltliche Schreiben hin- und hergeschickt. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Grünen, Martin Bill, betont hingegen, der Landesvorstand habe „mehrfach Terminvorschläge gemacht“, die die beiden Beschuldigten immer“wieder abgesagt“ hätten.
Als Auslöser der Schlammschlacht vermuten einige der abgespaltenen Gruppe ein Revanchefoul. Ex-Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg soll Karismaz und Sediqi persönlich dafür verantwortlich gemacht haben, dass er in seinem Wahlkreis nicht wieder aufgestellt wurde. Osterburg, der für die taz nicht zu erreichen war, ist der Lebensgefährte von Gallina. Ihr werfen zahlreiche Parteimitglieder nun „totales Versagen beim Krisenmanagement“ vor. Bill hingegen betont, es sei „unsäglich, dass dabei auch die Familie“ von Gallina mit einbezogen worden sei, und spricht von unbelegten Anschuldigungen, Spekulationen und Gerüchten“, mit denen die Grünen2 „die Berichterstattung befeuern“ würden. Der Landesvorstand prüfe deswegen „rechtliche Schritte“ gegen die Abtrünnigen und werde auch das Landesschiedsgericht einschalten.
Weil in Mitte Parteineueintritte die Zusammenstellung der Kandidatenlisten zugunsten der beiden Beschuldigten beeinflusst haben sollen, plädiert die grüne Vizebürgermeisterin Katharina Fegebank nun dafür, „genauer und (zu) überprüfen, wen wir aufnehmen“. Da die beiden aktuell Beschuldigten auch von Neumitgliedern mit Migrationshintergrund unterstützt worden waren, spricht die Grünen2-Fraktion nun von der innerparteilichen Gefahr „rassistischer Aufnahmekontrollen“.
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