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Kolumne SchlaglochKeine Toleranz nach rechts!

Kolumne
von Jagoda Marinić

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck fordert Toleranz nach rechts. Doch es ist wirklich nicht die Zeit für Rechtsversteher.

Altbundespräsident Joachim Gauck bei der Vorstellung seines Buchs Foto: dpa

J etzt predigt Joachim Gauck „Toleranz nach rechts“. Und Mut zu weniger Toleranz für alle anderen. Der Altbundespräsident ist a. D. ein noch schwächerer Ideengeber. Gauck, bekannt geworden als Freiheitskämpfer, stellt sich mit seinen Aussagen nun in den Dienst rechter Opferrhetorik. Danke, Herr Gauck. Not my President brauche ich jetzt zum Glück nicht mehr zu sagen.

Gauck kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Das konnte er nicht wissen, als er sein Buch geschrieben hat. Der tragische Mord an Lübcke demaskiert jedoch die Verharmlosung der Rechtsversteher. Rechtsversteher behaupten, in einer Demokratie müsse auf Menschen- und Demokratiefeindlichkeit mit Verständnis reagiert werden. Als hätten sie noch nie von Poppers Demokratie-Paradox gehört. Ihr Argument geht von dem Wunschdenken aus, bei Gesprächen mit Rechten ginge es um rationale Argumente.

Das Reden für und mit Rechten verstärkt die Spaltung, weil es der Mehrheit und den vielen Minderheiten in diesem Land, die friedlich zusammenleben wollen, den Rücken zukehrt. Dieses wachsweiche Reden über die Bedrohung von rechts setzt sich über anerkannte Erkenntnisse der Rechtsextremismus-Forschung hinweg: Die Gewalt der Ränder nährt sich von den Reden der Mitte. Wo die Mitte der Gesellschaft im Kampf um Demokratie und Menschenrechte versagt, wo ebendiese Mitte nicht zu einer klaren Haltung und Sprache findet, dort sehen sich die Ränder legitimiert, der verlängerte gewalttätige Arm zu sein.

Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich in diesem Land öffentlich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen, an den Pranger gestellt werden von aufpeitschenden Akteuren, die dann als Verängstigte und Verlassene verharmlost werden. Diese Akteure kennen ihre Zielgruppen. Sie wissen, wie sie Menschen zur Zielscheibe machen. Eigentlich haben wir jetzt eine Aufgabe für Heimat-Horst: Make Heimat safe again! Safe from destructive nationalism.

Das rechte Reden ist nicht harmlose Verirrung, es ist oft gespickt mit tiefer Verachtung

Doch es geht jetzt nicht um Heimat-Horst, es geht um Gauck. Gerade Gauck, der sich gerne als pastoraler Demokrat gibt, macht sich nun zum Helfershelfer für Rechte, für die Freiheit nur dann wichtig ist, wenn es um ihre eigenen Rechte geht. Gauck war ein merkwürdiger Präsident, im Fußball würde man sagen: ein ewiges Talent. Die Erwartungen waren hoch, geliefert hat er nie. Was er nachliefert, sollte er sich besser sparen.

Zu seiner Amtszeit lud er zur Einbürgerungsfeier nach Berlin, bat Migrantinnen und Migranten ins Schloss Bellevue, um ihnen zur deutschen Staatsbürgerschaft zu gratulieren. Er brauchte dafür Publikum, und so saßen Leute wie ich oder Serdar Somuncu da und spielten es. Gaucks Einbürgerungsfeier war feierlich, doch sie war auch geprägt von einem platten Patriotismus. Ich fühlte mich als Publikum missbraucht für ein Demokratieverständnis, das einer Einwanderungsgesellschaft nicht würdig ist. Ein Beispiel dafür war Gaucks Lob für einen Neubürger: Dieser habe sich am Valentinstag einbürgern lassen, weil er Deutschland so liebe. Gauck strahlte nach diesem Satz sein seltsames Lächeln, das er so gerne lächelte, als hätte er sich mit der Welt so intim auseinandergesetzt, dass er alles über sie wüsste. Er wünsche sich, dass mehr Deutsche die ungezwungene Liebe zu ihrem Vaterland an dem Tag legen würden. Das sei für Deutsche manchmal leider sehr kompliziert alles. Ach ja, warum nur?

Es war damals en vogue, für „die neuen Deutschen“ zu sein. Er lud sich gerne junge erfolgreiche Menschen ein, die mit ihm feiern und ausgelassen sein sollten. Es war die Zeit, bevor die Stimmung kippte, Willkommenskultur stand hoch im Kurs. Doch seine Grundsatzrede zum Thema Einwanderung blieb die großen Entwürfe schuldig. Nun sorgt er sich um wachsenden Nationalismus und bietet Nationalisten die empathische Zuwendung an.

Gauck gehört nun zu den Rechtsverstehern. Gerade nach dem vermutlich politischen Mord an Lübcke ist es jedoch höchste Zeit, dem rechten Reden Grenzen zu setzen. Das rechte Reden ist nicht harmlose Verirrung, es ist oft gespickt mit tiefer Verachtung. Gaucks wie immer weichgespülte Rhetorik verharmlost und meint, mit etwas zugewandtem Tätscheln ließe sich „die Trotzreaktion“ beheben. Der gesamt Wortschatz, der sich um das Phänomen „Mit Rechten reden“ etabliert hat, muss jetzt in seiner Tendenz, zu verharmlosen, seziert werden. Wo so manche Rechte von Bürgerkrieg sprechen, interpretieren Rechtsversteher: Ist nur eine Trotzphase. Bitte noch eine Runde Zuwendung!

Demokratische und autoritäre Tendenzen ziehen sich durch alle ethnischen Gruppen hindurch, inklusive der deutschen ohne Migrationshintergrund

Gauck ist mit dieser Haltung leider ein Prototyp. Der lautstarke Ruf nach mehr Toleranz geht vor allem in eine Richtung: für Toleranz in Richtung rechts. Wenn es um Einwanderungspolitik geht, kann man die Platte einfach umdrehen, da heißt es dann: Schluss mit der Toleranz! Rechte kann man angeblich mit Toleranz wieder in die Gesellschaft holen. Ausländische Communities hingegen bleiben mit Toleranz Parallelgesellschaften.

Vielleicht wäre den Diskursen schon geholfen, wenn jedem klar wäre: Demokratische und autoritäre Tendenzen ziehen sich durch alle ethnischen Gruppen hindurch, inklusive der deutschen ohne Migrationshintergrund. Die Gegner der Demokratie sitzen in allen Milieus. Es ist nicht die Zeit, mehr Verständnis für die eine oder andere Ethnie zu fordern, sondern die Demokratie zu stärken und autoritäres Denken anzugehen, gleich in welchen Gruppen oder Milieus.

Am gefährlichsten ist das Antidemokratische jedoch nicht in den Parallelgesellschaften, sondern in der deutschen Mehrheitsgesellschaft: Im Verhältnis zu ihrer Stärke oder Schwäche entwickelt sich der rechte Rand. Joachim Gauck mutiert gerade zum Sarrazin light. Es braucht keine Brückenbauer von den rechten Rändern in die Mitte. Es braucht jetzt eine demokratiefähige Mitte, die sich nicht einschüchtern lässt und Grenzen setzt.

Jagoda Marinić ist als @jagodamarinic bei Twitter unterwegs

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20 Kommentare

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  • Gauck: "Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden. [...]"

    Manche schaffen es noch nicht einmal zwischen Links und Rechts zu unterscheiden. Bei manchen fängt"rechts" schon recht von irgendwo in der Linkspartei an.

    • @Rudolf Fissner:

      Is scho recht - in botniskanitverstan 😈

  • Der rangoberste DDR-Bürgerrechtler™ demonstriert einmal mehr die Anfälligkeit dieser antikommunistischen Spezies für Rechtsaußen.



    Wolfgang Templin schrieb schon für die Junge Freiheit, Vera Lengsfeld und Angelika Barbe spucken AfD-Töne.



    Die ungeregelte Masseneinwanderung aus Bürgerrechtistan anno 89/90 war vielleicht ein Fehler...

    • @Linksman:

      Antikommunistisch?

      Sorry wer häbgt denn bitte noch heute der DDöR oder der gar dem Ziehvater des ganzen, dem Stalinismus hinterher. Sie finden "Antikommunisten" bis tief in die Linkspartei hinein.

      Und Temlin / Lengfeld: Was wollen Sie mit dem Namedropping beweisen?

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      "Die ungeregelte Masseneinwanderung ... war vielleicht ein Fehler ..."

      Nein. Das war sie nicht. Nicht: vielleicht.

      Zur Erinnerung an die Jüngeren unter uns: ein ehemaliger Kanzlerkandidat der SPD hieß einst Oskar Lafontaine. Vor Scharping und vor Schröder.

      Was sich Anfang der 1990er Jahre erst schemenhaft andeutete, wurde später Gewissheit: jede ernsthafte sozialistische Bewegung in D wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen.

      Eine 'konzertierte Aktion' der ganz speziellen Art ...

  • Ich möchte endlich wissen, was unter "Rechts" im politischen Sinne verstanden wird.



    Gibt es zwischen rechts und rechtsextrem keinen Unterschied mehr? Ist "konservativ" rechts oder rechtsextrem?



    Kann ein Konservativer auch links sein ohne dabei extremistisch zu sein?



    Sind alle Rechten automatisch Nazis(gem. Bertelsmann Studie ja ca. 50% aller Deutschen)?

    Ich meine schon, dass eine eindeutige Definition überfällig ist und die Deutungshoheit nicht einen wenigen in dieser doch wichtigen Frage überlassen werden sollte. Denn sonst wird für jeden einzelnen gefährlich, seine Meinung, die nicht eindeutig "links "ist, zu äußern.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Das Problem dieser Abgrenzeritis, einer auch hier von taz-Autoren immer gern vertretenen These, ist jenseits der heimeligen Filterblase Gleichgesinnter dann durchaus recht vielschichtig.

    Für mich ist es in der Regel auch die Art der Diskurse, ganz elitär gesagt: was die intellektuelle Reflektionsfähigkeit einer durchaus noch sagbaren, durchaus noch weit diesseits jeder strafrechtlichen Relevanz liegenden Argumentation angeht.

    Und dieses Problemfeld durchzieht in der Realität zwischenmenschlicher Beziehungen vielfach auch engere bis engste Familienkreise; soweit man sich diskursiv in eben diesen Kreisen bewegt.

    • @90857 (Profil gelöscht):

      Vielschichtig? Nein, ab einem bestimmten Moment nicht mehr. Strafrechtliche Relevanz? Das ist vielleicht die letzte Grenze, aber doch wohl nur die allerletzte. Und wenn Sie hier andeuten wollen, dass der Bereich des Akzeptablen doch bitteschön dadurch definiert sein soll, dass er von Nachbarn, Freunden oder Familie vertreten wird, dann ist alles akzeptabel. Dann kann man über alles reden. Kann man aber nicht.

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @Benedikt Bräutigam:

        Bitte nicht relativieren, über "Nachbarn" und "Freunde"!

        Ich schrieb von "engere bis engste Familienkreise" und unterstelle einmal, dass es in totalitären Regimen a la Orwell schon möglich ist, die (jeweils angesagte) Ideologie über die familiären Bande zu stellen.

        Macht mal ...

  • &! Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - a Hetz!

    “Politikerlos auf Gottes Erden:



    Hetzen um gehetzt zu werden.







    Nicht allein die AfD,



    und der hessische MP -



    auch Mitglieder der CDU.



    Das sagt Tauber nun dazu:







    www.spiegel.de/pol...ord-a-1273151.html







    Und was sagt nun Mensch dazu?







    Die taz, die ist nicht up to date



    "spon" weiß schon besser, wie es geht.



    Dort werden Leser jetzt befragt,



    und wer die Registrierung wagt,



    der darf mal fix ein Knöpfchen drücken.







    So haben Menschen ihr Entzücken



    oder ihr Missfallen kundgetan



    und leben jetzt wohl in dem Wahn,



    sowas sei Demokratie.







    Nun ja, die Hoffnung stirbt halt nie....“

    kurz - & zum Knarzer Kuckuck van Ray Ban zu Silberlocke - läuten zum Erbarm Immer die 🔔 🔔 del sonnette d'alarme



    🥚jòò - Riterdando Accelerando - 👹

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ich möchte mir den Blick in Gaucks Buch ersparen. Im fortgeschrittenen Alter geht manN mit kostbarer Zeit ökonomischer um als in jungen Jahren.

    Wenn die von @Begri benutzten Zitate dem Originaltext entstammen, ist inhaltlich nichts gegen Gaucks Aussagen einzuwenden.

    Worüber man aber reden könnte, ja sogar müsste: den Zeitpunkt. In Anbetracht der sich entfaltenden Hintergründigkeit beim Mord an Herrn Lübcke, fehlt mir der politische Instinkt von Herrn Gauck.

    Vielleicht ist er doch zu sehr dem Weltlichen entrückt?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ist aus dem Spiegel Interview per Copy/paste hier reingepostet: www.spiegel.de/plu...-0000-000164407502



      Ist Spiegel Plus (kostenpflichtiger Zugang). Ich hab aber auch ein Taz-Abo - pluralistische Gesellschaft und so... ;)

      • @begri:

        Tja - sach mal so -

        Wer gleich zwei dero Tischfeuerwerke brauch - Gelle may be ~|~ happy schlau



        Aber - liggers - Eines tutes allmal au 😈

  • Das klingt jetzt vielleicht etwas doof, aber man kann tatsächlich keine Toleranz für rechte Positionen zeigen und trotzdem mit Rechten reden. Man muss es meiner Meinung nach sogar! Niemandem ist damit geholfen, wenn man Rechte sich immer weiter isolieren und in ihrer Hasserfüllten Blase schwelen lässt. Man muss zumindest auch immer einen Weg zurück in die Gesellschaft zeigen. Man muss einer Person klar machen, warum gewisse Positionen nicht akzeptabel sind und welchen Weg eine rechte Person gehen kann, um auch wieder Akzeptanz zu finden. Man kann eine Person direkt konfrontieren mit dem Schaden, die seine Ansichten und Taten verursachen und hoffen, dass die Person irgendwann die Empathie oder das schlechte Gewissen entwickelt, um seine Meinung zu ändern. Das ist dann natürlich eine komplett andere Art der Konversation als eine Debatte zwische zwei gleichberechtigten, gleichsam akzeptablen Positionen. Man muss sollchen Menschen keine Empathie zeigen, aber man muss Ihnen zumindest aufzeigen dass und wie sie Empathie "zurückverdienen" können. Alles andere verkommt früher oder später zu einem "wir gegen die" in dem sich die Fronten immer weiter verhärten und die Rechte sich immer weiter radikalisiert.

  • Haben sie das gesamte Interview gelesen? Selten habe ich jemanden in den letzten Jahren so differenziert über Konservativismus, Nationalismus und Rechtsradikalismus und wo die Grenzen der Toleranz verlaufen sprechen sehen.



    Das zentrale Zitat lautet "[...] Deswegen werbe ich im Buch auch für eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts. Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden. [...]" und "[...] Es ist Schluss mit Nachsicht, wenn Menschen diskriminiert werden oder Recht und Gesetz missachten. Das ist offen zu verurteilen und unter Umständen ein Fall für Staatsanwälte und Richter. Toleranz enthält das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten, gleichgültig ob sich diese politisch links oder rechts verorten oder dem islamischen Fundamentalismus angehören."



    Wo lesen Sie da vom "Brückenbau von den rechten Rändern in die Mitte"?

    • @begri:

      Schon die Formulierung " rechts – im Sinne von konservativ" ist daneben. Rechtes Gedankengut erhalten? Das soll man tolerieren? Und das von einem Typen der 2014 als Bundespräsident die Linke mit der SED verglich.

      • @Andreas J:

        Seh ich anders. Für mich war das konservative Lager immer rechts verortet. Kommt halt auf den eigenen Standpunkt an. Genau deshalb regt sich doch hier auch der Unmut über vermeintliche Toleranz gegenüber "rechts". Der Gauck ruft zur Toleranz und zum Diskurs auch mit "Rechten" auf solange diese sich im Rahmen von (Grund-)Recht und Gesetz bewegen. Das darum so ein Bohei gemacht wird, find ich komisch. Wie soll denn sonst politische Willensbildung stattfinden?

  • Bravo! Ein sehr guter Beitrag zur rechten Zeit. Oder auch: gegen die rechte ZEIT. Und FAZ. Und SPIEGEL. Und alles, was rechts ist. ^^

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @JulianM:

      Ein wenig mehr Differenziertheit würde auch hier nicht schaden.

      ZEIT, FAZ und SPIEGEL sind Presseerzeugnisse, keine Personen. Nur letztere haben eine politische Grundhaltung - wie auch in der taz zu sehen ist.

      Rechts oder links können höchstens die Ansichten der jeweiligen Verfasser der Artikel sein.