Talk zur Frauen-WM: Mehr als Screentime
Die Erwartungen an die WM sind hoch, mindestens der Weltfrieden sollte schon dabei herauskommen. Oder wenigstens guter, authentischer Fußball.
I n vielen Artikeln und Einlassungen wird die WM als der realere Shit gefeiert, im Vergleich zu den Männerevents, und es stimmt ja auch, die WM ist ein Turnier für Leute, die den Sport tatsächlich lieben. Nicht nur weil die Identifikationsfiguren sympathischer, gereifter, interessanter erscheinen als die Superstars bei den Männern oder vielleicht auch nur: noch nicht so verkommen. Während Ronaldo und Neymar ihre Zeit damit verbringen, Vergewaltigungsvorwürfe zu verschleppen, setzt sich Megan Rapinoe für Menschenrechte ein.
Und natürlich wird in Frankreich der interessantere Fußball gezeigt; gar nicht in dem Sinn, dass es der schnellere, spektakulärere, intensivere Fußball ist, sondern weil es mehr zu entdecken gibt. Zuschauer, die die Stärken und Schwächen jedes Drittliga-Rechtsverteidigers aufzählen können, jede Grundordnung kennen, in die Greuther Fürth sich nach einer Führung formiert, wissen trotzdem nichts davon, wie Nigeria spielt oder welche obskure Rolle Gaëtane Thiney in Frankreichs Offensive einnimmt. Wer sich für die Matrix des Spiels interessiert, hat die Gelegenheit, einige Annahmen grundsätzlich zu überprüfen, weil der Blick unverstellt ist vom Tamtam des Männerbusiness.
Aber es bleibt ein Unbehagen. Einerseits weil auch dieser Fußball symbolisch überladen wird. Aber in ganz anderen Bereichen: Während bei einer Männer-WM alles darangesetzt wird, das Kindlich-Unschuldige zu betonen, die Freude am Spiel, den Moment (weil sich das so auch besser verkaufen lässt), läuft bei dieser WM immer das Gesellschaftsressort mit: Es geht nicht nur um die Effektivität von Flanken aus dem Halbfeld, sondern auch um den Stand der Gleichberechtigung, um Sexismus, um LGBTQ*, um Rassismus.
Vielleicht ist das nur ein klassischer Fall von Übertragung; aber mir scheint, als wären viele Spiele seltsam melancholisch, bisweilen ängstlich; als wäre das ganze Turnier damit überfrachtet, dass es jetzt aber endlich losgehen müsse mit Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Weltfrieden.
Es braucht einen Geist
Denn es wird vor jedem Event die Hoffnung laut, dass es jetzt doch endlich den Durchbruch der Akzeptanz für Frauen im Sport geben müsste, dass es nun so weit sei. Dabei ist völlig klar, dass es andere Dinge braucht als Millionengagen für Spitzenspielerinnen und ein bisschen Screentime. Es braucht eine verbesserte Infrastruktur, es braucht einen Geist, der es jedem Kind erlaubt, gegen Bälle zu treten, sofern es das mag. Und es braucht Vereine, die das umsetzen, die die Voraussetzungen dafür schaffen.
Hertha BSC zum Beispiel hat keine Frauenabteilung. Stattdessen kooperierte man ab 2009 mit dem 1. FC Lübars. Als der im Jahr 2015 Meister der zweiten Liga wurde, verzichtete der Verein auf den Aufstieg, die erste Liga war zu teuer. Ein Jahr später gab Hertha BSC den Ausstieg aus der Kooperation bekannt, beide Frauenteams wurden vom Spielbetrieb abgemeldet.
Was hilft es, neue Role Models wie Megan Rapinoe zu haben, wenn der Unterbau fehlt? Wie nachhaltig sind die Aufmerksamkeitseffekte, wenn sie nicht in Strukturen gegossen werden? Und warum darf der Männerfußball so verspielt, so „It’s in the game“-mäßig daherkommen, während man bei einer Frauen-WM die ganzen Ungleichheiten immer mitverhandelt?
Mehr Lübars, weniger Leipzig
Und liegt diese Ernüchterung nicht am Fan, der nicht behelligt werden will mit all diesen Fragen? Der bloß Kind sein möchte, staunen und sich freuen und enttäuscht sein, und der das dann für echte Gefühle hält? Als würde es mir zustehen, einfach bloß unterhalten zu werden, ohne Verantwortung für das Spiel. Und das, obwohl gerade die Frauen-WM als der echtere, authentischere, besser geerdete Fußball verkauft wird.
Gerade deswegen aber ist die WM in Frankreich auch das interessantere Turnier als Russland 2018: Es ist mehr Kultur, weniger hermetisch, es verlangt dem Betrachter mehr ab. Aber gleichzeitig wünschen viele dem Frauenfußball eine ähnliche Entwicklung wie dem der Männer: Warum nicht andersrum? Weniger Effekte, mehr Komplexität! RB Leipzig würde in der siebten Liga spielen, und Lübars in der ersten. Nicht die schlechteste Idee.
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