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Erlebniswelten in BremerhavenAuf der Flucht aus Deutschland

Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven hat sich darauf spezialisiert, Migration von und nach Deutschland erfahrbar zu machen.

Nachgestellte Szene im Deutschen Auswandererhaus (DAH) in Bremerhaven Foto: dpa

Bremerhaven taz | Steil und bedrohlich ragt die Schiffswand in die Höhe, unterbrochen von Bullaugen, das Licht ist schummrig. Noch ist niemand an Bord gegangen. Ein Kutschwagen steht am Ufer mit den Koffern, die zu verladen sind: in einem, geöffnet, liegen ordentlich gefaltet ein Hemd, Hosenträger, ein paar Socken für die Reise in die Neue Welt. Menschen stehen und sitzen am Kai, an den Mauern plätschert das Hafenwasser. Sie wirken angespannt. „Ganz gewiss sehe ich euch wieder“, sagt eine Frau; ein Gewirr von Menschen, Kleinbauern, Dienstmädchen, Handwerker, Deutsche auf der Flucht aus Deutschland.

All das ist natürlich nicht real, sondern Teil eines Museums, des Deutschen Auswandererhauses (DAH). Und doch hyperrealistisch. Denn es plätschert echtes Wasser hier, originale Briefe werden über versteckte Lautsprecherboxen vorgelesen, lebensechte Puppen sitzen herum. Später, in den Schlafsälen an Bord des Schiffes, schnarchen Figuren, hängen historische Speisekarten aus (es gibt Bratwurst, Sauerkraut, Rhabarberkuchen), schwappt an den Bullaugen simuliertes Wasser. Museum als Entertainment.

Das DAH hat sich auf die Geschichte der Auswanderung aus Deutschland spezialisiert und in einem kleineren, neuen Teil auf die Einwanderung nach Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Rund sieben Millionen Menschen brachen vom größten deutschen Auswandererhafen in Bremerhaven in ein vermeintlich oder tatsächlich besseres Leben auf.

Das DAH, eröffnet 2005, war das erste deutsche Museum überhaupt, das sich dem Thema Migration widmet, und es ist auch sonst eine Pionierin. Eines dieser neuen Museen mit virtueller Reise, die sich nicht zu schade sind für scheinbar kindliches Spiel und Verkleidung. Die Spaß machen neben dem Ernst, die gelernt haben von Erlebniswelten und Computerspielen.

Auf den Spuren von Carl Laemmle

Im Auswandererhaus nämlich bekommt jeder Gast zu Beginn zwei persönliche Figuren im Heftchen überreicht: einen Einwanderer und einen Auswanderer. Unbekannt genug, damit man nicht ahnt, was aus dieser Person wird, bekannt genug, um manches Mal am Ende einen Aha-Effekt zu haben: Carl Laemmle, ärmlicher jüdischstämmiger Auswanderer, stimmt, der wurde Gründer der Universal Studios. Migration als selbstverständliche, deutsche Geschichte. Ja, Millionen Deutsche waren Flüchtlinge.

Man hat erkannt, wie wichtig es ist, den Besucher einzubinden

Im zweiten, deutlich kleineren Teil sucht man Spuren seines Immigranten etwa aus der Türkei oder aus Frankreich in einer deutschen Ladenpassage der sechziger Jahre. Ein heutiges Pendant, eine Überfahrt im Schlauchboot oder eine Szenerie in der Asylunterkunft, diese Ergänzung wagt das Museum leider nicht. Aber auch so bleibt die Atmosphäre hängen, erschütternd, traurig, hoffnungsvoll. Nachdenken trifft Schnitzeljagd. 2007 wurde das DAH als Europäisches Museum des Jahres ausgezeichnet. Der einstige Kindheitsalptraum Museum hat sich gewandelt, und wer die ziemlich enthusiastischen Kids hier beobachtet, sieht, welchen Unterschied Identifikation mit einer Figur macht. Was es bewirken kann, selbst als türkischer Einwanderer zu reisen. In Bremerhaven gibt es noch mehr Orte, die jetzt so arbeiten.

Es ist Regenwald bei Nacht. Überall hängen Schlingpflanzen von den Wänden, man tastet sich durch die Dunkelheit voran. Affen brüllen, Vögel rufen, Wasser tropft, es donnert. Schwüle Hitze liegt in der Luft. Das Klimahaus in Bremerhaven simuliert eine Reise entlang des Längengrads, auf dem das Haus steht, und erzählt dabei vom Klimawandel.

Tipps

Deutsches Auswandererhaus (DAH): Neben der Dauerausstellung gibt es wechselnde Sonderausstellungen, die zum Teil mit anderen Museen in Kooperation durchgeführt werden. Es werden zahlreiche thematische Führungen auch speziell für Kinder angeboten. Eintrittspreise: Erwachsene zahlen 15 Euro, ermäßigte Karten für Schüler, Auszubildende, Arbeitslose) und Kinder (5-16 Jahre), Familienkarte 39 Euro, Führungen 3 Euro extra. Das Museum ist in der Columbusstr. 65, täglich geöffnet von 10–18 Uhr, www.dah-bremerhaven.de.

Familienrecherche: Täglich ab 12 Uhr besteht die Möglichkeit, im DAH in Online-Datenbanken nach ausgewanderten Vorfahren zu suchen. Kostenfreier Zugriff besteht unter anderem auf die US-Passagierlisten von 1877 bis 1914 sowie die Bremerhavener Passagierlisten im Archiv der Bremer Handelskammer.

Das Klimahaus: befindet sich in der Straße „Am Längengrad 8“. Quer durch fünf Kontinente immer am Längengrad 8 entlang werden dort die verschiedenen Klimazonen vermittelt und spürbar gemacht. Öffnungszeiten: Mo.–Fr.: 9 bis 19 Uhr; Sa., So., Feiertage: 10 bis 19 Uhr, weitere Infos: www.klimahaus-bremerhaven.de.

Stadt-Infos: Infos über Bremerhaven, Unterkünfte, Stadtplan und weitere Museen sind unter www.bremerhaven.de abrufbar.

Im Gegensatz zum offenbar doch eher von älteren Generationen besuchten Auswandererhaus ist das hier ein Familienparadies, viele Eltern, Kinder, Tanten drängeln sich auf der virtuellen Reise. In der Schweiz muss man über Berge klettern und kann Gletschereis anfassen, im Niger durch den Sand laufen, in der Insektenwelt kann man auf Käfergröße schrumpfen und durch Ameisentunnel krabbeln.

Zwangsläufig zeigen solche Räume Klischees: Kühe in der Schweiz, tanzende Kinder in Afrika. Aber in separaten Kabinen für Erwachsene wird es tiefgründiger: da kann man Tuareg-Frauen über Desertifikation zuhören, kann erfahren, warum die Suizid-Rate in Samoa so hoch ist, oder über die Ausbeutung in den Minen im Niger hören. Alles ist Audio, Video oder zum Anfassen.

„Wir sehen uns nicht als Museum, sondern eher als Wissens- und Erlebniswelt“, sagt der Geschäftsführer Arne Dunker. „Wir haben mit dem Klimahaus eine neue Kategorie von Besuchereinrichtungen entwickelt, die unter anderem Elemente von Zoo, Museum, künstlerischer Inszenierung und Science Center enthält.“

Eine Art wissenschaftliches Disneyland. Und das kommt sichtlich an. Auch das vielleicht nicht so museumsaffine Nordsee-Touri-Publikum hört jetzt über Korallenbleiche und Artensterben, auch Menschen ohne große Lesekenntnisse können in Videos Familien in Kamerun begegnen.

Knopfdruck-Experimente und Interaktivität

„Das Museumskonzept generell hat sich geöffnet“, glaubt Dunker, „vom ,Bitte nicht anfassen!' über Knopfdruck-Experimente im Deutschen Museum hin zu kompletter Interaktivität. Man hat erkannt, wie wichtig es ist, den Besucher einzubinden.“

Das kommt allerdings auch zu einem Preis. Das Klimahaus hat einen privaten Betreiber, der Eintritt kostet stolze 17 Euro pro Erwachsenen. Für Familien aus sozial schwächeren Verhältnissen kaum zu leisten. Dunker zufolge gibt es Aktionen wie „Gib, was du kannst“, wo mehrmals im Jahr BesucherInnen zu einem selbst gewählten Preis ins Klimahaus können. Aber an Tagen wie diesem Samstag sieht man vor allem weißes Wohlstandspublikum dort.

„Bildungsgutscheine wären eine Chance, Menschen mit weniger Geld einen Besuch zu ermöglichen“, so Dunker. Um die Wissenshäuser noch weiter zu öffnen, muss noch einiges passieren. Aber vieles ist schon passiert in den neuen Museen und Erlebniswelten, und das Klimahaus hat noch allerlei Pläne: den Längengrad bereisen sie aktuell wieder mit einem Filmteam, um Veränderungen zu dokumentieren. In naher Zukunft wollen sie das Thema Energiewende erweitern und sich mit Extrem-Wetterereignissen durch den Klimawandel auseinandersetzen.

Und nicht zuletzt: noch stärker Forum sein, ein Zentrum der Klimadebatte mit Jugend-Workshops und Expertengesprächen. Die Macher früherer Ausstellungshäuser wären erstaunt gewesen, was alles möglich ist.

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2 Kommentare

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  • Das viele ehemals Deutsche, auch einmal Flüchtlinge waren, ist zu zeigen, ein interessanter Ansatz, der aber trotzdem leider nur den Allerwenigsten Anlass zum Nachdenken gibt. Gerade auch im Zusammenhang mit den USA könnte der Schuss aber nach hinten losgehen, denn um Platz zu schaffen für die ganzen gewollten Einwanderer, musste die Ureinwohnerschaft nahezu vernichtet werden. Das lässt tumben Geistern hierzulande viel Raum für Assoziationen.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Eine nette Werbung für zwei Museen in Bremerhaven. Was genau dieser Artikel nun in der TAZ zu suchen hat - keine Ahnung.



    Aber leider: Der Satz „Aber an Tagen wie diesem Samstag sieht man vor allem weißes Wohlstandspublikum dort.“ ist ja denn doch ein wenig rassistisch. Welches Massenpublikum erwartet denn die Autorin an einem Samstag wie diesem in Bremerhaven? Grüne Arme? Braune Dicke? Gelbe Lange oder blaue SchützenfestbesucherInnen?