piwik no script img

Der Zwang zur Einigkeit

Im HAU diskutierten zeitgenössische Denker über den Zusammenhang von Identität und Kapitalismus. Inspiriert von der #unteilbar-Demo, wurde Gemeinsamkeit betont. Die eigentliche Kontroverse kam daher erst spät

Wir sind klasse: Debatte in Wort und Bild bei „#unteilbar denken“ Foto: Volkan Ağar

Von Volkan Ağar

Eigentlich sprechen sie lieber übereinander: Linke, die anderen Linken vorwerfen, sich zu viel mit Fragen von Identität, Rassismus und Sexismus auseinanderzusetzen und daher die sozialen Verwerfungen unserer Zeit zu vernachlässigen. Und eben andere Linke, die diesen Vorwurf wahlweise als rechts oder altbacken oder männlich-weiß zurückweisen.

Am Dienstagabend im Hebbel-Theater bei der letzten Veranstaltung der Reihe „#unteilbar denken – ein öffentlicher Think Tank“ haben sie nun miteinander gesprochen. Sabine Hark, Soziologin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin und Mitkuratorin der Reihe, bat darum, gemeinsam „laut und öffentlich“ nachzudenken und dabei Unterschiede weder zu negieren noch gegeneinander auszuspielen.

Vielleicht wollten diese einleitenden Worte zu viel auf einmal. Denn die Mahnung zeitigte Wirkung, und die Diskussion begann auffallend versöhnlich. Die Journalistinnen Kübra Gümüşay und Ferda Ataman sollten unschwer erkennbar das Lager der Identitätspolitik vertreten. Gümüşay problematisierte, dass Anerkennungsdebatten zunehmend individualisiert würden, jedoch strukturelle Herrschaftsmechanismen seien – so wie die soziale Frage auch.

Ataman dagegen gestand ein, dass soziale Fragen aus dem Blick geraten seien, die Rechten diese Lücke erkannt und ihre heuchlerischen Narrative dort erfolgreich installiert hätten. Wie Gümüşay betonte Ataman immer wieder, dass das, was hier gegenübergestellt wird, zusammengehöre: „Es gibt ja nicht auf der einen Seite die Arbeiter und auf der anderen Seite die Türken“, so Ataman.

Die Figur des „klassischen Arbeiters“ kam an diesem Abend immer wieder auf, als vage Formel, als Frage oder als idealtypische Identität, um irgendetwas zu erklären. Und während die einen versuchten, diese Figur zu modernisieren à la modernes Prekariat, schien er in den Köpfen der anderen als Reizfigur des „alten, weißen Mannes“ zu dienen.

Die Charaktermaske dieser Reizfigur, so hatte man an diesem Abend zudem oft das Gefühl, wenn auf ihn geantwortet wurde, musste der Schriftsteller Guillaume Paoli, Verfasser des Manifests über den „Glücklichen Arbeitslosen“, tragen. Paoli sprach von den Gelbwesten, über das soziale Gefälle, das heute auch räumlichen Ausdruck finde: Während diejenigen mit Mitteln in den Stadtzentren bleiben könnten, würden die mit weniger Mitteln an die Ränder der Ballungszen­tren und in die Provinz verdrängt. Das seien nicht nur „klassische Arbeiter“, sondern auch Menschen aus der Mittelschicht, prekär Angestellte, Selbstständige und so weiter. Für Paoli sind die Gelbwesten eine Bewegung gegen diesen sozialen und räumlichen Antagonismus, der die Lager auch habituell und kulturell voneinander trenne. Zugleich eine Bewegung aus Menschen, die nichts mit den Codes der urbanen Linken anfangen könnten, bisher kaum politisch gewesen seien, sich jetzt aber bewegten. Und weil sie sich bewegten, könne man nicht so genau sagen, wohin diese Bewegung führen werde.

An Paolis Äußerungen entzündete sich schließlich die Kontroverse. Was, wenn bei den Gelbwesten Rechte mitmachen? Wollen wir mit diesen Rechten reden? Wer sind „wir“ überhaupt? Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah lehnte es vehement ab, mit Rechten oder auch der CDU zu reden. Rouzbeh Taheri von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sagte, dass er als Mietenaktivist in den Berliner Außenbezirken selbstverständlich auch mit betroffenen AfD-Wählern zu tun habe.

Ein viel zu spätes, aber erfreuliches Sich-im-Kreis-Drehen der Debatte im HAU, das die vermeintliche Einigkeit entlarvte und drängende Differenzen offenbarte. Einmal stellte Paoli die größte Selbstverständlichkeit des Abends, nämlich das Paradigma der Intersektionalität, infrage. Er nannte das Beispiel einer afrikanischen lesbischen Frau, die eine afrikanische lesbische Frau bleibe, wenn es keine Diskriminierung mehr gebe. Ihr stellte Paoli einen Hartz-IV-Empfänger gegenüber, der auch ohne Diskriminierung auf Hartz IV angewiesen sei. Ein Hinweis auf mögliche unterschiedliche Ursprünge, Dynamiken und Hartnäckigkeiten von sozialer Ungleichheit und Rassismus, über den man diskutieren könnte. Aber auch ein Hinweis, den Gümüşay etwas reflexhaft und aus der Defensive heraus erwiderte, woraufhin Paoli sie nicht minder unbeholfen anpatzte. Ein symbolischer Moment an diesen Abend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen