: Die Insektenflüsterer
Der Nabu zählt ab Ende Mai Insekten. Der Hamburger Naturkundler Kubiak fordert systematisches Monitoring
Auf der roten Liste werden 7.082 heimische Insektenarten geführt. Davon gilt die Hälfte als selten bis extrem selten, 358 sogar als ausgestorben.
90 Prozent der Pflanzen sind von den Insekten als Bestäuber abhängig.
In Hamburg und Schleswig-Holstein wurden im Juli 2018 insgesamt 244 Insektenmeldungen verzeichnet. Im August waren es 194 Meldungen.
Von Katharina Gebauer
Insekten sterben. Das ist zwar Fakt, die Ursachen dafür sind jedoch schwer zu benennen und die Folgen nicht klar absehbar. Fakt ist aber auch, dass jede Insektenart ihre eigene evolutionsbedingte Funktion im Ökosystem besitzt: „Köcherfliegen etwa leben als Larven in Gewässern und sind dort für den Aufschluss der ganzen Biomasse, die im Herbst in das Wasser fällt, zuständig. Sie zerkleinern die ganzen Blätter, Laub, das herunterfällt“, erklärt Martin Kubiak, Entomologe am Centrum für Naturkunde in Hamburg. Der Insektenforscher drängt ebenso wie der Naturschutzverband Nabu auf einen besseren Schutz der Sechsbeiner.
Es müssten Datengrundlagen geschaffen werden, so Kubiak, um zu erfahren, wie und in welchem Lebensraum sich eine Art entwickelt – ein sogenanntes „Monitoring“. Regionale Gegebenheiten sollten detailliert analysiert werden. „Wichtig ist die Erhebung der Veränderungen auf Art-Ebene. Erst dadurch kann die Abnahme einiger Arten in Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen in der Landnutzung nachweisbar gemacht werden“, sagt Kubiak. Bei den Libellen etwa verschob sich in den letzten Jahrzehnten die Verbreitungsgrenze nach Norden, bei anderen Insektengruppen sei das nicht so, erklärt er. Ohne flächendeckende Erhebungen könne es keine erfolgreichen Schutzmaßnahmen geben.
„Der Einfluss der gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten spielt besonders hier im maritimen Hamburg eine große Rolle“, sagt Kubiak. „Am Hamburger Hafen sollen anekdotischen Berichten zufolge gebietsfremde Arten sehr leicht zu finden sein, die einheimische Arten verdrängen, wir können es faktisch aber nicht belegen.“
Eine Möglichkeit festzuhalten, welche Insekten sich rar machen und wie sie in Deutschland verteilt sind, ist die Aktion „Insektensommer 2019“ des Nabu, bei der die Tiere vom 31. Mai bis zum 9. Juni sowie vom 2. Juli bis 11. August gezählt werden sollen. „Unser Ziel ist es, die Daten mit anderen Studien vergleichen zu können, denn flächendeckend gibt es keine vergleichbare Zählung, die mit Hilfe von Bürgern umgesetzt wird“, erläutert Daniela Franzisi, Projektleiterin des Nabu.
Kubiak sagt, generell begrüße er Bürgerwissenschaften, allerdings sieht er im Insektensommer vorrangig die Öffentlichkeitsarbeit als Ziel. Denn für ein tiefgründiges Monitoring benötige es prüfbare validierbare Daten von Artdiagnosen. „Dies lässt sich nur nach Standartvorgaben generieren, also eine Fixierung der Art in einer Sammlung“. Zwar seien die unmittelbaren Auswirkungen des Insektensterbens noch nicht bekannt, die natürlichen Kreisläufe aber sehr fein austariert. Er spricht von einem „enormen Biomasseverlust“: „Wenn die Artenpopulationen aussterben, fällt mit ihnen auch ihre Ökosystem-Funktion weg.“
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