Demonstration für die Clubkultur: Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg
Trauer um dahingeschiedene Kulturorte: Die Initiative Reclaim Club Culture geht symbolisch wehklagend für die Erhaltung von Freiräumen auf die Straße.
„Möchtest du auch den Löffel abgeben?“ Eine Frau mit goldenem Glitzer-Blazer verteilt an die umstehende Trauergemeinde kleine Holzlöffel. Um einen Sarg mit goldenem Deckel tanzen Menschen mit bunten Tüchern und spielen Blockflöte. Immer wieder gibt es lautes Wehklagen. Weinende und Schreiende betrauern das im Sarg Liegende: die sterbenden Berliner Clubs und Kulturräume.
Am Donnerstagabend hat die Initiative Reclaim Club Culture einen Trauerzug mit etwa 200 Teilnehmenden vom Hansaplatz bis zum Zentrum für Kunst und Urbanistik (Z/KU) durch den Westen Berlins geführt und anschließend eine symbolische Beerdigung veranstaltet.
An einen Trauerzug erinnert der Marsch auf den ersten Blick allerdings wenig. Vielmehr scheint man hier das Leben zu feiern: überwiegend junge Menschen in auffallend bunter Kleidung tanzen hinter einem gelben Wagen her, manch eine:r trägt Topfpflanzen – das mit dem (Weiter-)Leben wird hier ernst genommen. Nur der Sarg, mit dem der Zug angeführt wird, und die regelmäßigen, lauten Wehklagen erinnern daran, dass es den Menschen hier tatsächlich ernst ist.
„Wir wollen den Ausverkauf in dieser Stadt stoppen“, erklärt Rosa Rave*, eine der Sprecher:innen von Reclaim Club Culture, die alle unter demselben Pseudonym auftreten. „Wir fragen uns: Was macht eigentlich Klaus Lederer? Warum passiert nichts?“ Die Frau mit der pinken Perücke und der großen Sonnenbrille mit herzförmigen Gläsern gestikuliert energisch mit ihren Händen. Nach und nach verschwänden immer mehr Räume, während der aktuelle Kultursenator tatenlos zusehe.
Es ginge dabei nicht nur darum, Orte zum Feiern zu haben. Vielmehr seien die Frei- und Kulturräume gerade jetzt wichtig, da Rechtspopulismus immer gesellschaftsfähiger wird. Mit ihrem Trauerzug möchten sie daher auf ihre Wichtigkeit für die Gesellschaft hinweisen. Die Initiative fordert langfristige Mietverträge und mehr Verständnis von Behörden bei der Anmeldung und Durchführung von Veranstaltungen. „Es muss einfacher sein, Genehmigungen zu bekommen“, fordert Rosa Rave*.
Über den Jordan
Wie sehr sich Berlin verändert, wird deutlich, wenn man sich die Gegend anschaut, durch die der Trauermarsch führt. Nach den Plattenbauten in der Lessingstraße kommt man nach dem Überqueren der Spree („Liebe sterbliche Gemeinde, wir werden nun über den Jordan gehen!)“ an Geschäften vorbei, die wenig an individuelle Kiezkultur denken lassen: O2-Store, Darwich’s Crispy oder Back-Factory. Am Schultheiss-Quartier kommt die Demonstration zum Stehen.
„Hier hätte Kultur entstehen können, das ist Mord!“, rufen die Mitarbeiter:innen der Initiative, gefolgt von Buhrufen und lautem Trauergeschrei. In der ehemaligen Brauerei aus dem 19. Jahrhundert eröffnete im August 2018 ein Einkaufscenter mit mehr als 30.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Ein weiterer Ort, der eher für Monokultur als Individualität steht.
Dem Zug hat sich auch Jakob Turtur angeschlossen. Zusammen mit Freunden gründete er 2015 das Clubkollektiv Jonny Knüppel auf der Lohmühleninsel in Kreuzberg. Die Mitglieder gestalteten eine alte Autowerkstatt zu einem Ort für Kunst und Kultur um, zu einem kreativen Freiraum, der auch zu einem Treffpunkt für Anwohner:innen wurde. „Drei Jahre lang haben wir den Ort aufgebaut, haben auch viel Unterstützung vom Senat, aus der Politik erhalten“, erzählt Turtur.
Nach dieser Zeit war Jonny Knüppel allerdings noch immer illegal. Mietverträge wurden immer nur über kurze Zeiträume ausgestellt, am Ende verlängerte der Investor, dem die ganze Lohmühleninsel gehört, kein weiteres Mal. Nun steht der Raum bereits seit einem Jahr leer. „Hier entsteht die nächste Brache“, meint Tutur. Auch die Verträge der anderen vier Clubs dort laufen Ende 2019 aus.
Aufgeben wollen die Mitglieder von Jonny Knüppel aber noch nicht, mittlerweile haben sie einen neuen Ort gefunden worden. Dieses Mal in Prenzlauer Berg, wieder mit befristetem Mietvertrag. Die Geschichte könnte sich wiederholen. Denn nicht nur Investor:innen, auch steigende Mieten führen dazu, dass immer mehr der Berliner Kulturorte verdrängt werden oder unter dem steigenden Wettbewerbsdruck Qualität verlieren, da kein Raum für Experimente bleibt.
Gedenken der verlorenen Räume
Am Ende kommt der Trauermarsch an seinem Ziel an. Im Garten des Z/KU findet eine Beerdigungszeremonie statt. Am Grab versammeln sich die Demonstrierenden und gedenken der bereits verlorenen Kulturräume: der Wilner Brauerei Berlin, Brunnen70, Stattbad, des Gemeinschaftsgartens Himmelbeet, Klub der Republik I und II, Rummelsbucht, Mittwochsclub und Jonny Knüppel.
„Diese Tode machen uns sprachlos. Vieles war ein abgekatertes Spiel von Nachbar:innen, Investor:innen … Aquarien“, sagt eine der Sprecher:innen von Reclaim Club Culture bei ihrer Trauerrede mit Anspielung an die Rummelsburger Bucht, wo Investor:innen Luxuswohnungen und das Aquarium „Coral World“ planen. „Sie starben alle zu jung, sie verstarben an einer Krankheit namens Gier aka Kapitalismus.“
Klar wird an diesem Abend, dass sich viele nicht gehört fühlen. Man laufe gegen Wände, von der Politik gebe es zu wenig Rückhalt. „Das wird nicht die letzte Beerdigung sein, auf der ihr seid“, mahnt eine Sprecher:in. Denn schon in den nächsten Tagen geht es weiter: Ende Mai schließt nach zehn Jahren der Farbfernseher.
Die Anwesenden versuchen dennoch, optimistisch zu bleiben. Man solle gemeinsam kämpfen, sich vernetzen. „Liebe sterbliche Gemeinde“, rufen sie immer wieder auf. „Mögen diese Tode nicht umsonst gewesen sein.“
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