Pfefferspray im Eisenbahnwaggon: St. Pauli zeigt Polizei an
Bei einer Fahrt nach Bielefeld wurden Fans des FC St. Pauli am Bahnhof und im Stadion von der Polizei drangsaliert. Der Verein hat Strafanzeige gestellt.
Schon kurz nach dem Auswärtsspiel bei Arminia Bielefeld am 4. November 2018 hatten der FC St. Pauli, der Fanladen und die Braun-Weiße Hilfe das Vorgehen der Polizei kritisiert. Der Verein hatte angekündigt, die Vorfälle juristisch prüfen zu lassen.
Jetzt liegt eine 21-seitige gutachterliche Stellungnahme einer Rechtsanwaltskanzlei aus St. Pauli vor. Grundlage für das Gutachten waren neben der Pressemitteilung der Bundespolizei auch im Internet zugängliche Quellen. Im Mittelpunkt standen aber 81 Gedächtnisprotokolle betroffener Fans.
Schon auf der Zugfahrt nach Bielefeld setzte die Polizei demnach in den geschlossenen Waggons Pfefferspray und Schlagstöcke gegen St.-Pauli-Anhänger ein. Fans berichten, das sei wahllos und ohne Vorwarnung geschehen. In der Pressemitteilung der Bundespolizei heißt es, es habe Provokationen und Angriffe mit PVC-Stangen auf Beamt*innen gegeben.
Freiheitsberaubung und Nötigung
Gegenstand der Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung sind laut FC St. Pauli die Einkesselung von Fans am Bielefelder Bahnhof und die Vorkommnisse im Stadion. In Bielefeld angekommen, wurden etwa 250 St.-Pauli-Anhänger*innen eingekesselt, darunter sollen auch Minderjährige gewesen sein.
Die Polizei wollte Personenkontrollen durchführen, weil auf der Zugfahrt Straftaten begangen worden sein sollen. Laut Gutachten sind dem Fanladen St. Pauli zehn Personen bekannt, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.
Laut Augenzeug*innenberichten wurde den Eingekesselten bis zu sechs Stunden lang verboten, auf die Toilette zu gehen oder sich etwas zu Essen zu kaufen. Laut Gutachten stellt das eine Freiheitsentziehung dar, auch weil – bis die Fans um etwa 19.30 Uhr wieder nach Hamburg abreisten – kein Richter das Festhalten genehmigt hatte.
Oke Göttlich, Präsident FC St. Pauli
Wer sich kontrollieren ließ, durfte aber auch nicht unbedingt weiter Richtung Stadion gehen. Einige Anhänger*innen wurden laut Gutachten einfach in einen zweiten Kessel geleitet. Den durften sie zwar verlassen, um zur Toilette zu gehen, ansonsten mussten sie aber warten, bis sie am Abend wieder zum Zug Richtung Hamburg geleitet wurden.
Auch im Stadion wurden die St.-Pauli-Fans festgehalten. Sie durften den Gästeblock während des gesamten Spiels nicht verlassen. Die Jurist*innen sagen, dass auch das rechtswidrig war. Demnach hätten nicht alle Personen festgehalten werden dürfen, selbst wenn für einzelne eine Gefahrenprognose bestanden habe.
Klares Zeichen für Fußballfans
Für die Vereinsführung des FC St. Pauli hat sich aus dem Gutachten das Bild ergeben, dass die Fans ohne rechtliche Grundlage festgehalten wurden: „Für uns liegt ein klarer strafrechtlich relevanter Verstoß durch die Einsatzleitung der Polizei vor, den wir so nicht akzeptieren können“, sagte Vereinspräsident Oke Göttlich.
Mit der Strafanzeige wolle der Verein ein klares Zeichen für Fußballfans setzen, die bei Auswärtsfahrten durch polizeiliche Maßnahmen ohne ersichtlichen Grund daran gehindert werden, ihre Mannschaft zu unterstützen.
Die Bundespolizei wollte sich auf Anfrage der taz nicht zu den Vorkommnissen und der Strafanzeige äußern. Die Bielefelder Staatsanwaltschaft war für Rückfragen nicht zu erreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“