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Solidarischer Tofu mit einer Prise Aktivismus

Dirk und sein Team stellen in der Tofurei Wendland nachhaltigen Tofu her. Das Besondere: Sie sind ein Kollektiv. In den 90ern haben sich im Wendland viele Leute angesiedelt, um gegen ein atomares Endlager in Gorleben zu protestieren, heute organisieren sie sich in kommunenartigen Gemeinden

Essen mit politischem Anspruch: Die Sonne der Republik Freies Wendland aus den 80er-­Jahren ziert das Banner der Tofurei Foto: Tofurei Wendland

Von Jana Eggemann

Matthias kurbelt das Fenster seines alten Autos runter. „Willst du mitfahren“, fragt er die Frau am Bahngleis, die er aus dem Nachbarort kennt. „Da habe ich aber Glück, sonst hätte ich warten müssen“, sagt sie, als sie sich auf die Rückbank schiebt. Das Wendland ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht angebunden. Bis Dannenberg fährt noch ein Kurzzug. Von da wird es schwierig, die Busse fahren nur alle paar Stunden. „Das könnte echt besser ausgebaut werden“, sagt Matthias, als er das Auto auf die engen Landstraßen lenkt.

Matthias ist auf dem Weg in die Tofurei Wendland, eine Manufaktur, in der Tofu hergestellt wird. Regional, nachhaltig, ökologisch. Im kastigen Wagen geht es an Wiesen und Feldern vorbei, auf der Rückbank rollen einige Konserven und zwei Bierdosen hin und her. An einem alten Gasthof in Meuchefitz hält Matthias, um die Frau aussteigen zu lassen.

Keine Fabrik und kein Chef

Einst war der Gasthof Treffpunkt des Widerstands gegen das Atomprojekt Gorleben. Mittlerweile wird zwar kein Atommüll mehr gebracht, aber einige Aktivist*innen sind geblieben. Dadurch sind hier in verschiedenen Orten Kommunen und Wohngemeinschaften entstanden. So auch in der alten Schule gegenüber vom Gasthof, in der die Frau nun verschwindet.

Danach geht es weiter auf ein altes Hofgelände, wo Dirk bereits in der kleinen Manufaktur der Tofurei wartet. Der 51-Jährige hat den Verein 2013 mit seiner Freundin gegründet. Aktuell besteht die Tofurei aus einem fünfköpfigen Team und organisiert sich im Kollektiv – also ohne hierarchischen Strukturen.

„Mir war von Anfang an klar, dass ich keine Fabrik haben und Chef sein möchte“, sagt Dirk. Er ist vor etwa zehn Jahren zur Kommune Karmitz im Nachbarort gestoßen, lernte dort seine Freundin Christin kennen und blieb irgendwann ganz. Beide wollten etwas zur Kommune beitragen. Eine Freundin in der Kommune schlug vor, eine Tofurei zu gründen.

Man merkt schnell, dass es hier nicht nur um Tofu geht. Es ist vielmehr ein linkes Lebensgefühl und ein tief verwurzelter politischer Aktivismus, der sich in der Tofurei wie an so vielen weiteren Orten im Wendland widerspiegelt. So hat die Kommune Karmitz eine eigene Mosterei, in der vor allem Apfel- und verschiedene Gemüsesäfte regional hergestellt werden. Rundherum leben Leute in Wohngemeinschaften oder Bauwägen. Mehrere Kommunen betreiben außerdem Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Es herrscht ein allgegenwärtiges Gefühl von Gemeinschaft.

Die kommt auch der Tofurei zugute. „Am Anfang haben wir noch mit einem Stabmixer in der Küche herumexperimentiert“, erinnert sich Dirk. Als es dann richtig losgeht, finden die nötigen Geräte Platz in der alten Käserei einer Freundin. „Passenderweise macht man Tofu ganz ähnlich wie Käse“, sagt er.

Zuerst werden die Bohnen in einer Maschine zu Sojamilch geschreddert. Die wird dann für mehrere Stunden aufgekocht, abgelassen und anschließend mit Gerinnungsmittel versetzt. „Das ist beim Käse das Lab, wir benutzen Magnesiumchlorid“, sagt Dirk. Durch das Gerinnungsmittel wird die Sojamilch zu Quark, der im letzten Schritt mit Granitplatten und Gewichten zu Blöcken gepresst wird.

Die Sojabohnen hat die Tofurei jahrelang aus einem ökologischen Anbau in Niederösterreich erhalten. Aktuell findet ein Umbruch statt, denn das Kollektiv will auf Bohnen aus dem Wendland umschwenken. Die seien mittlerweile qualitativ fast genauso gut, außerdem spare man sich den Transportweg aus Österreich.

Während Dirk spricht, wirft er einen nervösen Blick auf den Behälter in der Ecke des Raums. „Miriam, schaust du mal nach der Milch“, ruft er dann. Miriam trägt Gummistiefel und Schutzkleidung, Dirk darf in normaler Kleidung den Produktionsraum nicht betreten. Hygienevorschriften gelten auch in der kleinen Manufaktur.

Als Christin und Dirk 2013 anfangen zu produzieren, bekommen sie direkt eine kleine Starthilfe. Ein Freund arbeitet auf dem Fusion Festival und bestellt seitdem jährlich für die Aufbaucrew von mehreren Hundert Leuten Tofu. Auch das Catering für den Chaos Computer Club beliefert die Tofurei seit Jahren.

Weil man sich in den engen Gängen der Tofurei mit zu vielen Leuten nur gegenseitig im Weg steht, geht es wieder ins Auto und weiter zum Bauwagenplatz von Matthias, wo er mit seiner Freundin Gese, drei Kindern und einer weiteren Familie wohnt. „Hier sieht es leider echt unordentlich aus“, entschuldigt sich Matthias und weist auf eine riesige Grube im Boden der Wiese des Bauwagenplatzes.

Die ist teils mit Sandsäcken ausgelegt, weitere liegen daneben. „Da wollte sich einer ein Earthship bauen“. Ein Earthship ist ein nahezu autarkes Gebäude, dass sich durch eine besondere Bauweise auszeichnet. Der Boden des Wendlands sei jedoch zu feucht, sagt Matthias.

Die kleine Holzhütte in der Mitte des Bauwagenplatzes, die als Aufenthaltsraum dient, wirkt hingegen solide. Darin stehen ein Holztisch mit Stühlen, ein abgewetzter Sessel und ein Sofa. Auf dem lässt sich Dirk nieder, während Matthias in der improvisierten Küche Sesam röstet. Der kommt später in die Masse für den Sesamtofu.

Ein Ofen sorgt für angenehme Wärme im Raum, während der nächste Regenschauer ans Fenster prasselt. Gese setzt Tee auf. Sie ist Ende 30, hat 15 Jahre lang in Berlin gewohnt und zog dann doch wieder zurück ins Wendland. „Hier hat sich einfach eine Perspektive geboten“, sagt sie. „Sowohl politisch als auch arbeitstechnisch“. Sie wirkt aufgeweckt, ihre Augen hell und intelligent. Wie sie zieht es auch andere aus den Großstädten ins Wendland. „Das ist auch verknüpft mit der Suche nach Sinnhaftigkeit“, wirft Dirk ein.

Lauter Aktivist*innen

Ein Sinn, der vor allem linkspolitisch geprägt ist und sich auch auf die Tofurei überträgt. „Wir sind schon alle Aktivisten“, sagt Matthias. So schicke man schon mal ein Soli-Paket in den Hambacher Forst. Und auch in den Preisen spiegelt sich ein solidarischer Geist wieder: Jeder darf zahlen, was er will.

Auf der Website der Tofurei ist erklärt, welcher Preis nötig wäre, um zumindest die Unkosten zu decken, und welcher eine faire Bezahlung ermöglichen würde. Bisher habe man damit nur positive Erfahrung gemacht: „Die meisten zahlen den höchsten Preis“, sagt Dirk.

Das Konzept der Tofurei – regional unter fairen Bedingungen hergestellter Tofu – kommt bundesweit an. „Wir liefern von Berlin bis nach München“, sagt Dirk. Die Anfrage wächst weiter. Auch die Fusion möchte plötzlich nicht mehr hundert Kilo Tofu, sondern am liebsten eine Tonne. Gegen eine Vergrößerung der Manufaktur sind aber alle. Der persönliche Charakter solle nicht verloren gehen. Und auch nicht die Überzeugung hinter dem Kollektiv.

Doch gemeinsam entscheiden, das kann viel Arbeit machen. „Kollektiv heißt auch Streit und viel Diskussion“, erklärt Dirk. „Aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass es uns gehört“, ergänzt Gese.

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