: „Man kann den Engländern nicht vertrauen“
Robert Beeridge ist gebürtiger Brite, pro-europäischer Linker und Spezialitätenhändler in Hamburg. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er künftig als Pendler seine 88-jährige Mutter in England unterstützt. Doch der Brexit hat das verhindert
Protokoll Friederike Gräff Foto Miguel Ferraz
Der Brexit beschäftigt mich Tag und Nacht, man ist gefangen darin, es ist wie eine Sucht. Man sieht BBC, man geht durch die Channels, um zu sehen, welche neuen Erkenntnisse in die Welt gebracht sind. Es ist ein Propagandakrieg, dieser Experte sagt, es wäre gut, andere meinen, es wäre schlecht wegen der OECD-Vorhersage. Donald Trump sagt, es wäre toll und dann kommt etwas vom Lissaboner Vertrag.
Natürlich gibt es auch eine gewisse Ermüdung, das merkt man in den Facebook-Gruppen, wo weniger Leute etwas dazu posten. Es ist wie ein Krebspatient: bitte sterben. Ich bin in drei oder vier Facebook-Gruppen. Es ist natürlich eine gefühlsmäßige Sache, die Standard-Antwort, wenn man nicht zustimmt, ist: „Bullocks“ und „Sie sind verrückt“. Ich bin Remainer und ich bin europäischer Linker, aber das ist rar in England. Das war auch vor 35 Jahren rar, als ich in die Labour-Partei eingetreten bin, es war eine Euro-skeptische Partei. Freie Bewegung bedeutete nur freie Bewegung des Kapitals und eine größere Chance, die Ausbeutung der Arbeiterklasse voranzutreiben. In Deutschland habe ich versucht, in der Linkspartei etwas zu machen, aber sie haben wohl mein Deutsch nicht verstanden.
Ich bin einer derjenigen, die 1980 frisch von der Uni hierher gekommen sind, es waren die Thatcher-Jahre. Ich hatte Stadtplanung studiert und habe in einem Stadtplanungsbüro gearbeitet, das dann pleite gegangen ist. Gerade habe ich meinen deutschen Pass bekommen. Jetzt kann ich endlich mal wählen. Das hat mir gefehlt, ich konnte nirgendwo wählen. Und beim Referendum haben sie Expats ausgeschlossen.
Einerseits sehe ich, dass es weniger Wert hat, was man sagt, wenn man nicht mehr in dem Land lebt. Aber es ist komisch, eigentlich bei allem haben die Leute, die außen sind, einen besseren Überblick über die Auswirkungen. Wenn es zum Beispiel um das Migrationsproblem geht: Die Engländer waren sehr lasch. Es gibt Machenschaften, als Geschäftsmann in Bulgarien würde ich auch gucken, wo es Geld zu verdienen gibt. Aber man soll es nicht überbewerten.
Man hätte es schneller beschränken können, mehr Kontrolle bei den Sozialleistungen. So wie die Deutschen es auch bei den Briten tun, die keinen Job haben. Sie sind grauenhaft, ich habe sie getroffen, nordenglische Dörfler, und sage dann, ich bin kein Engländer. Ich bin übrigens Südengländer. In meiner Familie haben wir über das Thema auch ein bisschen gestritten, 20 Prozent Leavers – jede Familie hat ein paar doofe Leute. Wir hatten den Luxus, Bildung zu haben, alles studierte Leute, eigentlich alle klug, abgesehen von manchen, die wir nicht erwähnen wollen.
Da, wo ich herkomme, rund um Ascot, war es knapp, zwischen 48 und 52 Prozent haben „leave“ gewählt. Das ist, was ich nicht verstehe: Die Leute haben die beste Ausbildung, Häuser, Erbschaften für ihre Kinder von 500.000 Pfund, sie exportieren nach Europa, alles geht gut. Die englische Mentalität ist so: Wir sind eigentlich Kaufleute, kleinbürgerliche Kaufleute. Wenn wir ein Produkt finden, das sich besser verkauft, schicken wir die alten einfach weg: Tut mir leid, wir haben 40 Jahre miteinander gehandelt, aber jetzt kann ich woanders zwei Prozent mehr verdienen.
Robert Beeridge, 60, gebürtiger Engländer, ist in Ascot aufgewachsen, hat Stadtplanung studiert und betreibt seit 1986 den Laden „British Foods and English Books“ in der Stresemannstraße in Hamburg.
Man kann den Engländern nicht vertrauen. Die EU beschränkt sie dabei, die Leute besser auszubeuten. Trump sagt, dass sie Baumwolle 20 Prozent günstiger bekommen können, das treibt sie an. Man sagt ihnen, dass sie durch die EU 20 Prozent Aufschlag bezahlen. Und sie glauben, dass das künftig in ihre Tasche geht – aber sie vergessen, es gibt gierige Verkäufer wie mich, die 20 Prozent draufschlagen werden.
Seit wir in der EU sind, gilt alles, was schief gegangen ist, als die Schuld von Brüssel. Das ist wirklich die hässliche Ente, die Schwiegermutter. Sogar die „Health and safety“-Standards, die manchmal pingelig sind: „Das ist dieser deutsche Einfluss, wieso müssen wir einen Rauchmelder haben, wieso müssen wir unser Asbest wegnehmen.“ Bei all diesen Regelungen, die eigentlich vernünftig sind, hat man nicht gesagt: Wir machen diese Gesetze, nein, die EU sagt es so.
In Nordengland – ich glaube ich bin ein Rassist – sind sie wirklich ein unkultiviertes, provinzielles Volk. Die einzigen Leute, die etwas Kultur reinbringen, sind die Pakistanis, die Inder, die Chinesen, weil sie Kultur haben, ihre Kinder in die Schule schicken, Nachhilfe nehmen. Und was machen die Coronation-Street-Mentalität-Leute? Sagen: Schreiben hat mich auch nicht weitergebracht, ich bin immer noch ein Doofie.
Es ist wie bei den Leuten in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin oft da, ich habe ein Haus dort und in Sachsen renoviere ich eines. Es sind nette Leute und dann plötzlich kommt diese hässliche Seite: Du bist okay, aber … Und ich denke: Fucking hell. Waren sie nicht in der Schule? Man vergisst: Wir leben in Hamburg, du kannst hier als Mann im Winter im Bikini herumlaufen und die Leute werden sagen: „Ist dir kalt, willst du einen Kaffee?“ Aber dort wird die Polizei gerufen. Man vergisst das und das haben damals auch die Politiker beim Referendum vergessen. Die AfD-Leute hier und die Brexit-Leute dort, zumindest die Hardliner, kann man vergleichen.
Mein großer Plan war es, nach England zurückzugehen. Meine Mutter ist 88 und ich dachte, ich könnte ein bisschen länger bei ihr bleiben, ein bisschen auf sie aufpassen, die schwierigeren Sachen für sie machen – gut, sie kocht immer noch für mich –, ein paar Jobs machen und zwischen England und Deutschland pendeln. Damals lief der Laden gut, Englisches war beliebt. 2016 hatte ich einen Umsatz von 8.000 Euro, jetzt sind es 3.000. Komischerweise verkaufe ich jetzt mehr Bücher. Aber eigentlich lebe ich von den Lebensmitteln und da ist die Preisakzeptanz gesunken. Durch den Brexit hatten wir eine Kampagne, was das Pfund wert ist, und jetzt kommen die Leute hier herein, waren gerade in England, haben die Schokolade bei Tesco für zwei Pfund gekauft und sollen hier 4,50 Euro bezahlen.
Ich bin zu teuer; ich bin entlarvt. Jetzt habe ich kein Geld, um jemanden für den Laden zu bezahlen, während ich in England bin. Früher haben Leute gegen kleine Tauschgeschäfte für mich gearbeitet, aber das ist seit dem Mindestlohn illegal. Das einzige, was zeitgemäß ist, ist, dass, wenn ich gut drauf bin, die Kunden lachen, wenn sie rausgehen. Wenn sie nicht nach Rabatt für ein Buch fragen, das einen Euro kosten soll. Wenn die Sympathie für die englische Ware hoch ist, ist es egal, dass sie wissen, dass ich ein Produkt, das in England einen Euro kostet, für 3,50 Euro verkaufe. Aber sobald die Leute daran denken, bin ich Priorität Nummer 500. Eine Schokolade bei Kaufland kostet 50 Cent. Und sogar ich habe Moral: Die Souvenirs der Königsfamilie, die in Taiwan produziert werden, verkaufe ich nicht.
Ein paar meiner Ex-Ex-Kunden sind Brexiteers, seitdem ich sie entlarvt habe, kommen sie nicht mehr. Ich kann sie nicht ertragen und sie wissen, dass es eine Diskussion geben wird. Die Schlimmste ist eine Person, die früher beim britischen Konsulat gearbeitet hat. Sie sagt: Wir gehören nicht zu Europa. Und ich denke: Was meint sie? Wohin sollen wir gehören – zu den Cayman Islands? Ich bin ein Argumentationstheoretiker, wenn die Leute schäumen, sage ich: Kannst du mir sagen, ich will es verstehen, wo haben uns die Deutschen beschädigt, wo haben wir einen Nachteil durch die EU? Ein paar Schlachtbetriebe mussten wegen Hygienevorschriften schließen, ein paar Tankstellen wegen Sicherheitsvorschriften. Auf der anderen Seite: Mein Bruder ist Elektriker und er hat massenhaft Geld verdient durch die EU-Vorschriften. Und er war auch ein bisschen brexiteerish.
Der Brexit ist anders als Wahlen: Jetzt sind 50 Prozent betroffen, die dagegen waren und die Sieger sind nicht bereit, Kompromisse zu machen. Und wir können nicht in fünf Jahren entscheiden, dass wir wieder rein wollen. Ich bin nicht militant, aber ich werde diese Entscheidung nicht verzeihen. Mein ganzes Leben nicht. Sie hat meine Zukunftsperspektive kaputt gemacht.
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