Brexit-Ansprache im britischen Unterhaus: May bietet Verschiebung an

Sollte das britische Unterhaus das Gesprächsergebnis mit der EU nicht billigen, darf es über eine Verschiebung abstimmen.

Nahaufnahme von der oberen Hälfte von Theresa Mays Gesicht vor einer EU-Flagge

Wie sie selbst abstimmen wolle, ließ May auf wiederholte Nachfrage offen Foto: ap

London/Berlin taz | Die britische Premierministerin hat bindende Parlamentsabstimmungen sowohl über einen No-Deal-Brexit als auch über eine Verschiebung des EU-Austritts angekündigt. In einer Unterhausansprache am Dienstag, in der sie die Abgeordneten über den Stand ihrer Verhandlungen mit der EU informierte, erklärte Theresa May, dass eine Abstimmung über ein revidiertes Austrittsabkommen spätestens am 12. März stattfinden soll.

Falls dieses Abkommen abgelehnt wird, würde das Parlament am 13. März über einen No-Deal-Brexit am 29. März entscheiden. Würde auch dieser abgelehnt werden, gäbe es am 14. März eine dritte Abstimmung: über eine „kurze, begrenzte“ Vertagung des EU-Austritts.

Bisher hat Theresa May eine Verschiebung des Brexit kategorisch ausgeschlossen. Doch ein Antrag, die Regierung dazu zu zwingen, ist für eine Abstimmung am Mittwoch ins Parlament eingebracht worden. Der Regierung drohte dabei eine Niederlage, nachdem am Wochenende drei Minister, darunter Mays enge Vertraute Amber Rudd, gedroht hatten, für diesen Antrag und gegen ihre eigene Regierung zu stimmen, sollte es keine Garantie gegen einen ungeordneten Austritt geben. Montagabend kamen drei weitere Namen hinzu. Der potenzielle kollektive Rücktritt aus dem Kabinett setzte May unter Druck.

Dazu kam der Austritt von drei konservativen und acht Labour-Abgeordneten aus ihren jeweiligen Parteien vergangene Woche. Die elf Dissidenten, die sich vor allem in der Ablehnung eines harten Brexit einig sind, haben eine „Unabhängige Gruppe“ gegründet und werben um Zulauf, gestärkt durch positive Meinungsumfragen.

Brexit-Hardliner sprechen von Vertrauensbruch

Dies hatte bereits am Montagabend zu Bewegung bei der Labour-Opposition geführt: Nach einer Fraktionssitzung erklärte die Partei, sie werde ein zweites Brexit-Referendum unterstützen, sollten Labours eigene Brexit-Pläne keine Mehrheit finden. May will nun durch Vorlage ihres neuen Zeitplans ihre Kontrolle über das parlamentarische Geschehen retten.

Sogar im Parlament waren sich Abgeordnete uneins, ob Mays Ankündigung eine Kehrtwende darstellt oder nicht. Die Labour-Politikerin Yvette Cooper, die mit dem Konservativen Oliver Letwin den für Mittwoch eingebrachten Antrag zu einer vom Parlament zu initiierenden Verschiebung des Brexit ausgearbeitet hatte, fragte May zunächst, wieso das Parlament ihr Glauben schenken sollte, nachdem ihre Regierung bereits mehrmals Entscheidungen verzögert habe.

Wenig später aber erklärte Letwin, der Antrag sei „nicht mehr nötig“. Brexit-Hardliner unter den Konservativen wie Esther McVey und Bill Cash nannten eine mögliche Verschiebung einen Vertrauensbruch gegenüber der Stimme der Briten beim Brexit-Referendum.

Labours Unterstützung eines zweiten Referendums wurde von dem prominentesten unter den ausgetretenen Abgeordneten, Chuka Umunna, begrüßt. Er bedauerte allerdings, dass hierfür erst Abgeordnete aus der Partei austreten mussten. Barney Scholes von der Kampagne „People’s Vote“ für ein zweites Referendum nannte die Entwicklungen sehr willkommen.

Unklar, worüber Labour abstimmen lassen will

May trat in ihrer Rede Mutmaßungen entgegen, sie befürworte jetzt eine Verschiebung des Brexit. „Ich will keine Verschiebung“, sagte sie und betonte: „Wir können notfalls einen No-Deal zum ­Erfolg führen.“ Wie sie selbst bei den Voten über No-Deal oder Verschiebung abstimmen werde oder was sie ihrer Partei vorschreiben werde, ließ sie auf wiederholte Nachfrage offen.

Mays Unterhändler werden jetzt alles daran setzen, bei den laufenden Gesprächen mit der EU ein Ergebnis zu erzielen, das am 12. März im Parlament eine Mehrheit findet, damit es gar nicht erst zu den anderen beiden Abstimmungen kommt. Die Premierministerin sprach davon, dass direkt nach dem Brexit am 29. März ein gemeinsamer „Workstream“ mit der EU Alternativen zum ungeliebten Nordirland-Backstop – der Großbritannien bis auf Weiteres in die EU-Zollunion zwingt – entwickeln werde, damit dieser nach Ablauf der vorgesehenen Übergangsfrist Ende 2020 erst gar nicht in Kraft trete.

Bei Labour ist unklar, was die Unterstützung für ein zweites Referendum konkret bedeutet. Einem solchen Parlamentsbeschluss stehen noch Hindernisse im Weg. Erst will Labour am Mittwoch einen eigenen Brexit-Vorschlag zur Abstimmung stellen, der eine permanente und umfassende Zollunion mit der EU fordert. Erst wenn dieser Vorschlag durchfällt, will Labour ein zweites Referendum herbeiführen, wobei auch dafür die Aussichten als gering eingeschätzt werden.

Unklar ist, worüber Labour abstimmen lassen will. Ein Referendum, bei dem Labours Brexit-Pläne nicht zur Wahl stehen, würde die Partei wohl nicht mittragen. Aber eine Wahl zwischen Labours Brexit-Modell und dem EU-Verbleib würde bedeuten, dass Labour für den Brexit eintrittt, während es den Referendumsbefürwortern in der Partei darum geht, den Brexit zu stoppen.

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