: Dasselbe in Grün?
„Bio“ ist in der Wahrnehmung selbstverständlich geworden. Und dann gibt es eine Vielzahl von Siegeln, deren Bedeutung Laien oft unklar ist. Mit dem Tierwohl-Label kommt ein weiteres hinzu – in mehrfacher Ausführung
Mit dem Tierwohl-Label wurde im Stall kein Neuland betreten. Denn das Label mit ebendiesem Namen – „Neuland“ –, das sich jenseits der Bio-Siegel auf artgerechte Nutztierhaltung fokussiert, gibt es bereits seit 1988: ein landwirtschaftlicher Fachverband „zur Förderung einer besonders tiergerechten, umweltschonenden, qualitätsorientierten und bäuerlichen Nutztierhaltung“. Der eingetragene Verein versteht sich als erstes deutsches Tierschutzlabel und damit als Vorreiter für das geplante nationale und EU-Tierschutzlabel: „Unsere Marke darf nur führen, wer mit unserem Verein einen Lizenzvertrag abgeschlossen hat und sich kontrollieren lässt. Die Überprüfung der Landwirte, Fleischer und Gastronomen erfolgt durch eine externe unabhängige Kontrollstelle.“ Zu seinen Leitlinien zählt Neuland „besonders tiergerechte Haltung, Umwelt- und Klimaschutz, bäuerliche Landwirtschaft, Regionalität und soziale Verantwortung, Glaubwürdigkeit und Transparenz“. Vorgeschrieben sind unter anderem: Haltung auf Stroh, Tageslicht im Stall, keine Spaltenböden und Auslauf ins Freie.
Von Manfred Ronzheimer
Immer mehr Bioprodukte kommen auf den Markt. Mit ihnen wächst auch die Zahl der Ökolabels und Biosiegel, die den Käufern eine biologisch korrekte Herstellung testieren sollen. Über 100 Qualitätssiegel für Biolebensmittel gibt es inzwischen, schätzen Experten. Eine Vielfalt, die Verbraucher auch irritieren kann.
Von den vielen Gütesiegeln für Lebensmittel ist in Deutschland das „Bio-Siegel nach der EU-Öko-Verordnung“, gerahmt von einem grünen Sechseck, das bekannteste. Es wurde im Jahr 2001 eingeführt. Zurzeit nutzen 5.197 Unternehmen das nationale staatliche Biosiegel auf 77.841 Produkten. Jedes Produkt mit dem Biosiegel muss zuvor bei der „Informationsstelle Bio-Siegel“ bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit Sitz in Bonn angemeldet werden.
Was es für viele auf den ersten Blick nicht einfacher macht: Im Jahr 2010 kam das EU-Biosiegel hinzu, mit Euro-Sternen in Blattform, das seitdem alle verpackten Ökolebensmittel tragen. Sie erfüllen den EU-Mindeststandard, nach dem beispielsweise 95 Prozent der landwirtschaftlich produzierten Zutaten aus Ökoanbau ohne Pflanzenschutzmittel stammen müssen. Der Code auf der Verpackung macht eine Rückverfolgung des Herstellungsweges möglich.
Viele Hersteller-Organisationen versehen ihre Waren mit eigenen Biosiegeln, wie etwa der Naturland-Verbund, der damit neben Lebensmitteln auch Holzprodukte und Textilien kennzeichnet. Auch Bioland – mit 5.500 Biobauern und 930 Lebensmittelherstellern als Mitgliedern der größte ökologische Anbauverband in Deutschland – verfügt über ein eigenes Label, dessen Gütekritieren noch über die EU-Standards hinausgehen. Produziert wird in einem geschlossenen Betriebskreislauf, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.
Fleisch rückt in den Fokus
Nach einer repräsentativen Umfrage für den Ernährungsreport 2019 des Bundeslandwirtschaftsministeriums achten die Verbraucher beim Lebensmittelkauf darauf, ob bestimmte Qualitätslabel ein Güte-Versprechen abgeben. Die höchste Beachtung findet das Biosiegel, das 50 Prozent der Verbraucher wahrnehmen und das sie „immer“ oder „meistens“ in ihre Kaufentscheidung einbeziehen. 2015 lag dieser Akzeptanzwert noch bei 47 Prozent. Zunehmende Beachtung findet auch das Tierwohl-Label für Fleischprodukte, die unter besonders tiergerechten Bedingungen hergestellt wurden, was für 42 Prozent der Konsumenten ein Kaufkriterium darstellt (2015: 36 Prozent). Ebenfalls 42 Prozent achten auf das „Fairer-Handel“-Siegel, das solche Produkte aus Übersee labelt, für die Bauern und Plantagenarbeiter eine angemessene, „faire“ Entlohnung bekommen haben.
In der politischen Debatte steht derzeit die Einführung eines gesetzlichen Tierwohl-Labels zum 1. April im Mittelpunkt. Weil sich dieser Prozess in behördlicher Schwerfälligkeit sehr lange hinzog, haben einige Supermarktketten wie Aldi, Edeka und Lidl auf die wachsende Verbrauchernachfrage reagiert und eigene Tierwohl-Label eingeführt, die mehr Transparenz bei Fleischprodukten versprechen. Ziel des staatlichen Kennzeichens ist es nach Worten von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, „dem Verbraucher sichtbar zu machen, bei welchen Produkten höhere Standards als die gesetzlichen eingehalten wurden, die ein Mehr an Tierwohl garantieren“. Derzeit liegt der deutsche Gesetzentwurf bei der EU-Kommission in Brüssel, von der er „notifiziert“ werden muss.
Die Qualitätssiegel sind ein Marketing-Instrument: So kooperiert Kaufland nun mit Demeter, Rewe und Edeka tun dies mit Naturland. Im Januar stellten Bioland und der Discounter Lidl ihre neue Kooperation vor, die in der Biobranche für Unruhe gesorgt hat. So wird Lidl für seine Eigenmarke „BioOrganic“ – unter der Käse, Milch, Butter und Joghurt angeboten werden – künftig von Bioland-Betrieben nach deren Standards beliefert.
„Für uns ist entscheidend, dass wir den Bioland-Standard und unsere Prinzipien ohne Kompromisse umsetzen können und dass unsere sozialen und ethischen Werte berücksichtigt werden“, verteidigt Bioland-Präsident Jan Plagge den Deal. Neben den Milchprodukten werden auch Äpfel und Gartenkräuter mit dem Bioland-Siegel in den 3.200 Lidl-Filialen angeboten. Mehle und Kartoffeln sollen in Kürze folgen. Das Biosiegel soll auch in den Discountgeschäften, wo sich neue Käufergruppen erreichen lassen, zum Umsatzbringer werden: „Wir erreichen mit Lidl ganz andere Käuferschichten“, begründete Plagge die Kooperation. „Das Mehr an Käufern sorgt auch für ein Mehr an Umweltschutz, da jedes heimisch und nach strengen ökologischen Richtlinien produzierte Erzeugnis einen Beitrag dazu leistet.“
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