: Im Namen der Biene
Ein Volksbegehren will in Bayern das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier stoppen. Mehr als 170 Bündnispartner unterstützen den Plan. Doch der mächtige Bauernverband läuft dagegen Sturm. Und die Regierung wartet ab
Aus Miesbach und München Dominik Baur
Miesbach, Mittwoch, 20 Uhr. Im Hinterzimmer des Bräuwirt wird der Kampf für die Bienen organisiert. Die Kellnerin serviert Erbsensuppe und Wiener Schnitzel, an der Wand steht in großen Buchstaben ein, sagen wir, Aphorismus: „Am liabsdn bin i do, wo scho garbad, awa no ned gessn is.“ Von wegen, hier wird gearbeitet und gegessen. Aus allen Ecken des Landkreises sind sie zusammengekommen, um die Begleitmusik für das Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ vorzubereiten. Rund drei Dutzend Aktivisten sind es, die meisten Mitglieder von ÖDP, Grünen oder SPD, vom BUND oder dem Tierschutzverein.
Unter dem wachsamen Auge der Muttergottes, die in Holz auf einem kleinen Vorsprung neben der Tür steht, muss zunächst ein Ansprechpartner für jede Gemeinde bestimmt werden. Wer übernimmt Valley, wer Bad Wiessee? „Wir haben alle 17 Gemeinden angeschrieben“, erzählt der ÖDP-Mann und Sprecher des Aktionskreises, Peter Limmer. Die Ärmel seines Ringelpullovers hat der Briefträger hochgekrempelt. In welchem Umfang Werbung für das Volksbegehren möglich ist, bleibe der jeweiligen Gemeinde überlassen. So dürfe man in Bayrischzell fünf Plakate aufhängen, in Gmund dagegen 50. Jetzt werden Transparente, Plakate, Flyer an die Helfer verteilt.
Natürlich geht es nicht nur um die Biene, wenn dieser Tage rund 80 solcher Aktionskreise in Bayern um Unterschriften kämpfen. Aber die Biene ist das Maskottchen dieses Volksbegehrens, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Artenschwund in Bayern aufzuhalten. Es geht um alle Insekten, aber auch um das Rebhuhn, die Ringelnatter oder den Feldhasen. Es geht schlicht um eine „enkeltaugliche Zukunft“, wie es die Initiatoren des Volksbegehrens nennen.
Seit Donnerstag liegen nun in den Rathäusern zwei Wochen lang Unterschriftenlisten aus. Unterschreiben in dieser Zeit mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten – in Bayern sind das knapp eine Million Menschen –, kommt es zum Volksentscheid. Im vergangenen Jahr haben in einer ersten Zulassungsphase bereits knapp 100.000 Wähler für das Volksbegehren unterschrieben – fast viermal so viel wie notwendig.
Die Macher des Volksbegehrens fordern mehrere Neuregelungen im Naturschutzgesetz, etwa die Schaffung eines Biotopverbundes, den Erhalt von Hecken, Bäumen und kleinen Gewässern in der Landwirtschaft, blühende Uferstreifen an allen Bächen, die Umwandlung von zehn Prozent aller Wiesen in Blühwiesen, die Aufnahme des Naturschutzes in die Ausbildung von Land- und Forstwirten. Und schließlich soll der Anteil des ökologischen Landbaus bis 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ausgebaut werden. Derzeit sind es noch nicht einmal zehn Prozent.
Die Initiatoren des Volksbegehrens berufen sich auf mehrere Untersuchungen, etwa die sogenannte Krefeld-Studie. Diese hatte Ende 2017 belegt, dass die Masse der Fluginsekten in Deutschland über 27 Jahre hinweg um 75 Prozent zurückgegangen ist. Gern zitiert wird auch eine Studie des WWF, wonach wir gerade das „größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier“ erleben.
Nun ist eine Biene zwar etwas kleiner als ein Brachiosaurus; ihre Bedeutung dürfe man aber nicht unterschätzen, warnt Agnes Becker, die Beauftragte des Volksbegehrens. „Die Biene, das kriegt man im Tiermedizinstudium beigebracht, ist das drittwichtigste Nutztier nach Rind und Schwein.“ Über 80 Prozent der Nutzpflanzen würden von ihr und anderen Insekten bestäubt. Dazu kommt, dass mit den Insekten natürlich auch andere Arten verschwinden. So lebten in Bayern heute nur noch halb so viele Vögel wie vor 30 Jahren.
Becker sitzt in der Gondel einer Seilbahn – mitten in München. Das ausrangierte Teil gehört zum Interieur einer Kommunikationsagentur, in der die Aktivisten für die Dauer der Kampagne Unterschlupf gefunden haben: zwei kleine Zimmer zur Untermiete, Bienenbüro nennen sie es. Die Kommandozentrale liegt in einem Hinterhof im Bahnhofsviertel, umgeben von Architektenbüros und Computerläden. Hier wird der Nachschub der Aktionskreise draußen im Land organisiert, rund ein Dutzend Ehrenamtliche tüten hier Material ein, geben Aufträge an die Druckerei weiter.
Noch im Oktober ist Becker als Spitzenkandidatin der ÖDP zur Landtagswahl angetreten. Schlappe 1,6 Prozent bekam die Partei. Doch der Frust war schnell verflogen, als kurz darauf bekannt wurde, dass das Innenministerium das Volksbegehren zugelassen hat. Den Gesetzentwurf und die erste Unterschriftensammlung dazu hat die ÖDP noch alleine auf den Weg gebracht. Nach dem Okay aus dem Innenministerium wuchs das Bündnis innerhalb weniger Wochen jedoch massiv. Mittlerweile gibt es einen Trägerkreis, dem neben der ÖDP auch die Grünen sowie mehrere Naturschutzverbände angehören. Das gesamte Bündnis zählt bereits über 170 Partner – von der Bayern- bis zur Linkspartei, von der Spardabank bis zu den Methodisten, und ja, sogar der Ortsverband Bogenhausen der CSU ist mit dabei. Auch zahlreiche bayerische Lokalgrößen rühren die Werbetrommel, beispielsweise die Schauspieler Michaela May und Udo Wachtveitl, die Band LaBrassbanda und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick.
Entsprechend gut gelaunt sitzt Agnes Becker jetzt hier in dieser Gondel. Die 38-Jährige kommt aus Augsburg, lebt aber schon seit zwanzig Jahren im Bayerischen Wald. Schreinerin hat sie gelernt, und Tierärztin. Außerdem hat sie einen 140 Jahre alten Bauernhof geerbt, den sie nebenbei noch bewirtschaftet. Fünf Hektar Grünland, acht Hektar Wald, zwei Pferde, etwas Kleinvieh. „In Bayern wird bei dem Schutz unserer Lebensgrundlagen eine Freiwilligkeitsideologie verfolgt“, klagt Becker. „Das ist ein bisschen so, wie wenn man sagt: Da ist eine rote Ampel, wäre schön, wenn du stehen bleiben tätst, das kann schließlich Leben retten. Aber wenn’s dir pressiert, dann fahrst halt drüber.“ Im Gesetzentwurf des Volksbegehrens bleibt es daher nicht bei der Freiwilligkeit.
Und genau davon hält der Bayerische Bauernverband herzlich wenig. Die Landwirte trügen bereits viel zur Artenvielfalt bei, heißt es auf seiner Website. Viele Bauern beteiligten sich an dem Kulturlandschafts- und dem Vertragsnaturschutzprogramm, die umweltschonende Landwirtschaft mit Ausgleichszahlungen förderten. Dass es 80.000 der insgesamt 100.000 in Deutschland heimischen Arten auch in Bayern gebe, beweise, dass freiwilliges Engagement ausreichend sei, um das Artensterben zu stoppen. Findet zumindest der Verband. „Bauernbashing“ wirft er Becker und ihren Mitstreitern vor. In einem Offenen Brief warnt Verbandspräsident Walter Heidl vor einem drastischen Preisverfall für regionale Bioprodukte, wenn der Anteil der Ökoflächen erhöht würde, da es an der entsprechenden Nachfrage fehle. Eine Gesprächsanfrage der taz blieb jedoch ohne Antwort.
„Ich finde es traurig, dass der Bauernverband dieses Horrorszenario an die Wand malt“, entgegnet Becker. Das 30-Prozent-Ziel sei keineswegs utopisch, in Österreich würden schon jetzt 27 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet. „Da müssen einfach nur politische Entscheidungen getroffen werden.“ Der Staat sei ja beispielsweise selbst auch ein wichtiger Einkäufer. Wenn dieser seine Einkaufsentscheidung massiv ändern würde, komme man dem Ziel schon ein großes Stück näher. „Stellen Sie sich vor, wie viele Leute täglich in staatlichen Kantinen essen.“
Auf Freiwilligkeit habe man lange genug gesetzt – und gesehen, dass sie nicht funktioniere. Der Gesetzesentwurf sei aber nicht gegen Bauern gerichtet. Im Gegenteil: Die Bienen-Retter sehen neue wirtschaftliche Perspektiven für sie. „Die Leistung, die der Landwirt erbringt, indem er bestimmte Dinge nicht mehr tut, die muss ihm die Gesellschaft natürlich entgelten.“ Um etwa Grünland in Blühwiesen umzuwandeln oder den geforderten Biotopverbund zu schaffen, müsse die Staatsregierung den Bauern lukrative Angebote unterbreiten.
Markus Söder, der aktuelle Chef dieser Regierung, hält sich noch zurück. Natürlich will der Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende die Funktionäre des Bauernverbands nicht vor den Kopf stoßen. Gleichzeitig hat er sich nach dem großen Erfolg der Grünen bei der Landtagswahl auf die Fahnen geschrieben, auch die eigene Partei grüner zu machen. Man müsse eben beide retten – Bienen und Bauern, meint Söder. Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein, dürfte die Landtagsmehrheit aus CSU und Freien Wählern dem Wähler auch einen eigenen Gesetzentwurf zur Wahl stellen. Söder spricht vorsorglich schon einmal von einem „größeren Wurf“. In jedem Fall dürfte es ein größerer Spagat werden.
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