: „Wir sind weltweit Schlusslicht“
Das Schulgeld ist für angehende Therapeut*innen ein Problem, sagt Dagmar Karrasch vom Bundesverband für Logopädie. Sie starten mit Schulden in den Beruf.
taz: Frau Karrasch, in Niedersachsen wird zukünftig kein Schulgeld für therapeutische Ausbildungen mehr erhoben. Was bedeutet das für den Beruf?
Dagmar Karrasch: Da lohnt sich zunächst einmal ein Blick auf den Status quo: Die Ausbildungen logopädischer, ergo- und physiotherapeutischer Berufe wird derzeit vorwiegend an privaten Schulen vorgenommen. Die Folge ist, dass man mit Schulden in einen Beruf startet, bei dem man in Niedersachsen aber auch nur rund 2.300 Euro verdient. In Kombination mit dem bestehenden dokumentierten Fachkräftemangel in unserem Bereich wird hier eine große Unverhältnismäßigkeit sichtbar. Dagegen hilft nur Nachwuchs – doch die Einstiegshürde Schulgeld ist nicht gerade Werbung für die Ausbildung.
Und die Schulgeldfreiheit hilft dagegen?
Natürlich. Allerdings ist sie, so finde ich, nicht als Geschenk für den Beruf zu verstehen. Die Therapeut*innen sind jahrelang in Vorleistung gegangen, um eine gute Patientenversorgung zu sichern. Im Prinzip ist die Frage, was gesellschaftlich gebraucht wird. Wollen wir therapeutische Arbeit, dann müssen wir sie auch bezahlen. Das bedeutet dann, mit der Schulgeldfreiheit endlich Verantwortung zu übernehmen und Ressourcen bereitzustellen, an einer Stelle, an der eine Investition längst aussteht.
Wie viel investiert Niedersachsen jetzt in die Ausbildung?
Ich denke, da geht es um Bedarfsplanung: Was brauche ich, um bestimmte Leistungen sicherzustellen? Sollen potenzielle Patienten versorgt werden? Dann muss ich auch gut investieren und darf die Möglichkeit der Therapie niemandem vorenthalten. Von einer konkreten Summe wird derzeit noch nicht gesprochen.
Was bedeutet das für die betroffenen Therapeut*innen?
Es geht um Existenzabsicherung im Job, aber auch um Anerkennung. Die Politik übernimmt ihre Verantwortung.
39, ist ist staatlich geprüfte Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin. Sie ist Präsidentin des Deutschen Bundesverbands für Logopädie.
Auch bundespolitisch wird derzeit über Maßnahmen zur Schulgeldfreiheit diskutiert. Finden Sie eine bundesweite Lösung unterstützenswert?
Der Bund kann sicher Richtlinien vorgeben. Ich sehe die Verantwortung im föderalen System, aber am Ende bei den Ländern. Bildungspolitik ist Länderkompetenz, also sollten hieraus Lösungen gestaltet werden. Was wir aber haben, ist ein Interesse an einer Ausbildungsstandardisierung.
Das bedeutet?
Der weltweite Standard in der Ausbildung unserer Berufe ist weit höher als er es in Deutschland ist. Die logopädische, aber auch die physio- und ergotherapeutische Ausbildung ist in der hochschulischen Bildung angelegt, wird also im Studium angeboten. Wir sind in dieser Entwicklung Schlusslicht und sollten uns den weltweiten Standards anpassen, um gleichwertige Abschlüsse zu generieren. Und die hochschulische Ausbildung muss ebenso seitens des Staates finanziert werden, wie es im Bereich der Medizin und anderer Gesundheitsberufe bereits gang und gäbe ist.
Wieso sollte diese Standardisierung ausgerechnet an der Universität passieren?
Denken wir zum Beispiel an therapeutische Forschung, die derzeit wirklich wenig betrieben wird. Dafür brauchen wir Berufsausbildungen an Hochschulen und Universitäten, die auch zu Forschung befähigen. Die politische Unterstützung für solche Ideen ist derzeit leider noch nicht ausreichend. Es sollten mehr Möglichkeiten zu logopädischer Forschung geschaffen werden.
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