Kommentar Weltweite Rüstungsexporte: Waffenhandel außer Kontrolle
Der Prozess gegen Ex-Mitarbeiter der Waffenschmiede Heckler & Koch offenbart, dass die Rüstungskontrolle in Deutschland nicht funktioniert.
E s genügt ein Blick in Berichte von Amnesty International, um zu wissen: In Mexiko begehen Polizisten, Soldaten und kriminelle Banden schwere Menschenrechtsverletzungen. Sie foltern, entführen und morden. Wer dennoch Waffen in das Land liefert oder Lieferungen genehmigt, ist unweigerlich mitverantwortlich und ignoriert zugleich die deutschen Rüstungsexportrichtlinien. Schließlich heißt es dort, von einer Genehmigung sei abzusehen, wenn mit den ausgeführten Waffen die Menschenrechte verletzt werden könnten. So einfach ist das.
Das war auch schon vor zehn Jahren so. Dennoch verkaufte die Rüstungsschmiede Heckler und Koch (H&K) zwischen 2006 und 2009 etwa 10.000 Sturmgewehre vom Typ G36 an das mexikanische Verteidigungsministerium. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) genehmigte die Exporte. Um das Geschäft trotz einer vorsichtigen Intervention des Auswärtigen Amtes zu legitimieren, verstrickte sich die Behörde in kuriose Konstruktionen: Sie erklärte vier mexikanische Bundesstaaten für nicht belieferbar, während andere unproblematisch seien. Das ist so, als würde man den Export von Autos nach Hessen genehmigen, nach Hamburg sollten die Wagen aber bitte nicht gelangen. Abgesehen davon werden nicht nur in Chihuahua, Chiapas, Guerrero und Jalisco, sondern in den meisten anderen Bundesstaaten ständig die Menschenrechte verletzt.
Trotzdem muss man dem Wirtschaftsministerium fast dankbar sein. Oft genug werden Rüstungsexportanträge einfach akzeptiert, unabhängig von den mörderischen Konsequenzen, etwa in die Türkei und nach Saudi-Arabien. Beim Mexiko-Deal war immerhin ein Teil des Exportes nicht genehmigt und damit illegal. Nur deshalb findet seit Mai 2018 vor dem Stuttgarter Landgericht ein Prozess statt, in einzigartiger Weise die Untauglichkeit das deutschen Rüstungsexportsystem vor Augen führt.
Am 21. Februar soll nun das Urteil verkündet werden. Fünf ehemalige H&K-Mitarbeiter sitzen vor Gericht. Vier von ihnen wird ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- sowie das Außenwirtschaftsgesetz vorgeworfen. Sie sollen zusammen mit einem H&K-Vertreter in Mexiko verschleiert haben, dass die Hälfte der G36 in „verbotene“ Regionen geliefert wurden. Die Dokumente, mit denen Kunden den Verbleib gekaufter Güter nachweisen, seien gefälscht worden, so der Vorwurf. Die Beschuldigten hätten die „Endverbleibserklärungen“ so angepasst, dass die nicht zu beliefernden Bundesstaaten auf dem Papier verschwanden, obwohl die Waffen dort landeten.
Ob der Richter die Angeklagten verurteilt oder nicht, ist für die Bedeutung des Verfahrens zweitrangig. Zahlreiche Aussagen haben bestätigt, dass zumindest einige der Angeklagten genau wussten, dass das Geschäft nicht rechtens war. Viel wichtiger aber ist: Der Prozess und vorhergehende journalistische Recherchen haben offengelegt, wie eng Exportbehörden und Rüstungsunternehmen kooperieren, um fragwürdige Exporte durchzusetzen. So sprach der BMWi-Referatsleiter im Verfahren über wirtschaftliche Probleme von H&K. „Um das Unternehmen am Leben zu halten, mussten also Exportaufträge die Lücken schließen“, erklärt er. Objektive Kriterien? Menschenrechte? Pustekuchen.
Bereits vor dem Prozess hatte die taz einen internen Mailverkehr veröffentlicht, der nahelegte, dass BMWi-Beamte vorschlugen, Dokumente anzupassen. Die Möglichkeit einer Überprüfung beruhigte den Referatsleiter. Der angeklagte Ex-Geschäftsführer ergänzte, die Exportbehörden selbst hätten ihm den Tipp gegeben. „Wir würden vorschlagen, nehmen Sie das raus, dann geht das komplikationslos weiter“, habe man ihm gesagt.
Rechtsanwalt Holger Rothbauer vermutete schon 2012, dass die Fälschungen ein von den Waffenbauern und Ministeriumsmitarbeitern gemeinsam ausgeheckter Plan waren. Der Jurist, der H&K wegen des Mexiko-Deals angezeigte, weitete seine Klage deshalb auf das BMWi aus. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch ein. Spätestens nach den Aussagen im aktuellen Prozess stellt sich diese Entscheidung als verfehlt heraus.Für den Richter scheinen Endverbleibserklärungen ohnehin keine Relevanz zu haben. Seiner Auffassung nach sind sie gar nicht Teil der Genehmigung. Sollte er recht behalten, wäre das Rüstungsexportsystem ad absurdum geführt. Bislang galten die Dokumente als Beleg dafür, dass die tödlichen Waren nicht dorthin geraten, wo sie nicht landen dürfen. Sie waren die Garantie für die Legitimität der Exporte, auch wenn der reale Verbleib nie geprüft wurde. Alles wertlos?
Wahrscheinlich säße keiner der Angeklagten vor Gericht, hätte man die Ermittlungen allein den Strafverfolgern überlassen. Im April 2010 hatte der Anwalt Rothbauer im Namen des Friedensaktivisten Jürgen Grässlin Anzeige gegen H&K erstattet. Doch erst nachdem das SWR-Magazin „Report Mainz“ Polizisten zeigte, die G36-Gewehre in Chihuahua trugen, ließ die Staatsanwaltschaft die Firmenzentrale durchsuchen. Die taz veröffentlichte zudem Informationen des mexikanischen Verteidigungsministeriums, nach denen 4.796 der Waffen in die „verbotenen“ Regionen geliefert wurden. Das hatte der Kunde freimütig mitgeteilt. Die Strafverfolger hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal den Käufer gefragt.
Weitere taz-Recherchen bestätigten, dass die illegal gelieferten Gewehre bei einem Angriff von Polizisten und Kriminellen auf Lehramtsstudenten im Bundesstaat Guerrero zum Einsatz kamen. Sechs Menschen starben an jenem 26. September 2014, 43 wurden verschleppt. Erst im Herbst 2015, wenige Wochen nachdem die ARD über diesen Zusammenhang den Spielfilm „Meister des Todes“ und eine Dokumentation ausgestrahlt hatte, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Bleibt die Frage: Was muss nun noch passieren, damit endlich auch die Verantwortlichen des Bundeswirtschaftsministeriums vor Gericht gestellt werden?
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