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Arbeitsmigration und PflegeGefakte Zeugnisse

In Bosnien kann man Fake-Zeugnisse von Pflegeschulen kaufen, auch für den deutschen Arbeitsmarkt. Sie taugen aber nichts.

Ohne Pflegekräfte aus dem Ausland ginge hier nichts mehr: Pflegerin im Altenheim Foto: dpa

Berlin/Sarajevo taz | Der Skandal begann mit einem Telefongespräch. „Ich habe ein Angebot für einen Job in Deutschland. Das Zeugnis bräuchte ich Mitte Januar“, hatte die Investigativreporterin Azra Omerović in Sarajevo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, am Telefon einem Vermittler gesagt. Der Mann versprach, zu helfen. Für 1.250 Euro sollte die Undercover-Reporterin ein Dokument über einen Abschluss an einer privaten medizinischen Fachschule bekommen.

Nach 17 Tagen hielt Omerović das Dokument einer Privatschule in Sanski Most in den Händen. Ihre Geschichte erschien im Internetportal Žurnal und löste einen Skandal aus. Gerüchte über gekaufte und gefakte Zeugnisse von privaten Schulen in der bosniakisch-kroatischen Föderation und in der serbischen Teilrepublik gibt es schon länger. Die Zeitung Žurnal rechnet mit 5.000 solcher Fälle. Besonders im Zwielicht stehen Abschlüsse von Privatschulen für angebliche UmschülerInnen im Pflegebereich, die in Deutschland gleichwertig wie hiesige examinierte Pflegekräfte arbeiten wollen.

Doch in Deutschland sind die Behörden misstrauisch geworden. Schon seit Juni 2018 vermittele man keine UmschülerInnen von privaten Pflegeschulen aus den Westbalkanstaaten mehr nach Deutschland, sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit der taz. BewerberInnen aus den Westbalkan­staaten können allerdings auch über einen direkten Kontakt zu Arbeitgebern nach Deutschland kommen. Sie müssen sich dann in den jeweiligen Bundesländern bei den Behörden um die Anerkennung ihres Berufsabschlusses be­mühen.

Doch „in Baden-Württemberg werden die außerordentlichen Ausbildungen beziehungsweise Umschulungen abgelehnt, da diese weder formell noch materiell gleichwertig sind“, erklärt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums in Stuttgart. Ähnliches berichtet eine Sprecherin der Aufsichtsdirektion Rheinland-Pfalz in Trier. Werden die vorgelegten Bildungsgänge aus Bosnien abgelehnt, „können die Frauen nur eine Ausbildung ganz von vorne machen“, so die Sprecherin. Für eine Pflegeausbildung oder einen Pflegejob in Deutschland ist der Nachweis von Sprachkenntnissen auf dem sogenannten B2-Niveau erforderlich – auch dies ist eine Hürde.

3.100 in Bosnien-Herzegowina und 2.400 in Serbien erworbene Berufsabschlüsse wurden im Jahre 2017 in Deutschland als vollständig oder als eingeschränkt anerkannt

Jedes Jahr kommen tausende Frauen aus den Westbalkanstaaten mit Zeugnissen nach Deutschland, die seriös sind, aber nicht ausreichen. „Bewerberinnen mit einem Diplom in der Krankenpflege aus den Westbalkanländern bekommen aufgrund fehlender Praxisanteile bei der Ausbildung im Herkunftsland in der Mehrzahl der Fälle nur eine Teilanerkennung in Deutschland“, sagt Robert Mittelstädt, Justiziar beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), „sie müssen dann einen Anpassungslehrgang von etwa einem Jahr, zumindest aber eine ausführliche Kenntnisprüfung mit Vorbereitungslehrgang absolvieren.“

Mittelstädt glaubt nicht, dass sich in Deutschland Frauen mit massenhaft gefälschten Diplomen durchmogeln könnten. „Es würde auffallen, wenn sich jemand mit einem Diplom vorstellt, der aber in Wirklichkeit gar nicht qualifiziert ist. Der Anpassungslehrgang würde auch kaum ausreichen, eine in der Regel dreijährige Krankenpflegeausbildung nachzuholen, da die grundlegenden fachlichen Pflegekenntnisse vorhanden sein müssen“, meint der Justiziar.

3.100 in Bosnien-Herzegowina und 2.400 in Serbien erworbene Berufsabschlüsse wurden im Jahre 2017 in Deutschland als vollständig oder als eingeschränkt mit der Auflage einer Nachqualifizierung anerkannt. Die meisten Anerkennungsverfahren betreffen medizinische Gesundheitsberufe.

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5 Kommentare

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  • Herrschaft(swissen) 3.0 in Zeiten des neuen Nationalismus und der globalisierten Marktwirtschaften, logisch entwickelt aus den (geringfügig) harmloseren Vorläufern.

    In Anlehnung an das Monopoly-Spiel könnte man sagen: Ziehe direkt 1.250 Euro ein. Gehe nicht ins Gefängnis und auch nicht über Los. Erspare dir und deinen Kunden den langen, anstrengenden und riskanten Weg einer Ausbildung. Liefere und kassiere just in Time. Und habe dabei nicht einmal ein lästiges Gewissen. Denn es sind schließlich nicht die eigenen Landsleute, auf die die „Absolventen“ losgelassen werden. Es ist die Konkurrenz, die dich nie richtig leiden konnte – und die zu doof war, rechtzeitig für sich selbst (vor) zu sorgen.

    Wie dem auch sei. Bezahlen werden wieder die, die irre Hoffnung hatten, im falschen Leben richtig wohlhabend zu werden. Und zwar gleich doppelt. Den Pflegebedürftigen aber, die mit ihrer Weigerung, sich nicht für ein sozialverträgliches Frühableben zu entscheiden, ursächlich verantwortlich sind für das seltsame Ineinanderfließen von Staat und Markt, ist leider überhaupt gar nicht geholfen mit (noch mehr) Misstrauen und Strafverfolgung. Sie brauchen ihre Pfleger nämlich jetzt, nicht erst in ein paar Jahren. Geholfen wäre ihnen gewesen, hätte man Pflegeleistungen hierzulande schon vor Jahrzehnten so gut entlohnt, dass sich auch ihre deutschen Landsleute massenhaft auf Jobs im Sozialsektor bewerben. Zum Beispiel bei der Bundesagentur für Arbeit.

    Offenbar passiert grade das Gegenteil dessen, was sinnvoll gewesen wäre. Man spart noch mehr Geld als bisher. Zum Beispiel, mit Teilanerkennungen. In der Praxis werden die Pflegekräfte aus den Balkanstaaten zwar ganz genau die selbe Arbeit machen wie ihre Kolleg*innen (und womöglich sogar noch mehr davon), bezahlen wird man sie allerdings aufgrund der fehlenden Anerkennung deutlich schlechter, auch wenn sie brav studiert haben.

    Schon traurig, wie unverschämt dieses Land anno 2019 zeigt, was Schwache, Kranke und Fremde ihm wert sind!

  • Es betrifft nicht nur die Balkanstaaten und die Pflegeberufe, -in vielen GUS-Ländern z.B. kann man jedes beliebige Diplom staatlicher (!)Hochschulen für wenig Geld bekommen, das sind dann Originaldokumente die von korrupten Hochschulmitarbeitern ausgestellt werden. Soviel zum Thema "vereinfachte Anerkennung von Abschlüsse" für ausländische Fachkräfte, die immer wieder gefordert wird: Mir graust vor solchen Ärzten, Krankenpflegern, Bauingenieuren, Architekten, Elektrikern etc. Der einzige Weg, hier gegenzusteuern, ist die Wiederholung der Abschlussprüfung bzw. des Examens durch den Bewerber in Deutschland. So machen es die USA schon immer!

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Gefakte Zeunisse?



    Das kann doch nun wirklich keine Überraschung sein.



    Das gibt es flächenübergreifend auch in anderen Bereichen und aus anderen Ländern.



    Fragt mal die Leute von der IHK, aber nur im "vertraulichen" Gespräch.

  • Es gibt in allen europäischen und außereuropäischen Schwellen- und Entwicklungsländern keine vergleichbare beruflichen Qualifikation für die notwendigen und erforderlichen Anforderungen auf dem deutschen, schwedischen, österreichischen und schweizerischen Arbeitsmarkt!

    Seltene persönliche Ausnahmen bei der Qualifikation und Eignung bestimmen nicht die Regel. Das gilt so fast für alle Personen und Berufsgruppen, die sich um einen qualifizierten Arbeitsplatz in Deutschland bemühen. Selbst für Arbeitskräfte aus den Vereinigten Staaten und aus anderen EU-Staaten sind die Voraussetzungen für eine Berufstätigkeit in Deutschland nur unzureichend vorhanden.

    Insbesondere werden auch die wenigen (ausreichend) Qualifizierten in ihren Schwellen- und Entwicklungsländern selbst dringend benötigt. Das gilt auch für die wenigen Fachkräfte in der Kranken- und Altenpflege in den Balkanstaaten. So aber auch für Asien. –

    So bemüht man sich auch um die Bewerbung von Pflegekräften aus der VR China, obwohl hier nicht einmal zu 10 % der erforderliche Bedarf für die (chinesische) Bevölkerung gesichert wurde.

    Auch in Albanien ist man bemüht, die wenigen geeigneten Pflegekräfte zu behalten, um einen Zusammenbruch der staatlichen Gesundheitsversorgung zu verhindern.

    PS: Es gibt keine auswärtigen vergleichbare ''Berufsabschlüsse'' wie in Deutschland. Aber die Aussicht auf ein vielfaches Einkommen schafft ''geeignete'' Qualifikationen. Dafür bleiben die schlecht versorgten Kranken und Alten auf der Strecke. Das könnte man auch als ein Renten-Einsparungsprogramm verstehen. Insbesondere für die unteren sozialen Schichten in Deutschland.

  • also wenn ich mir meinen arbeitsalltag in der altenpflege so ansehe, muss ich lachen. da ist das kredo "Hauptsache examen". egal wie schlecht jemand ist, bei der aktuellen fachkraftsituation muss schon viel passieren, dass jemand nachfragen zu befürchten hat. ebenso wäre es schön, wenn die azubis den b2 haben müssten, in der Realität lernen sie während der ausbildung irgendwie gebrochen deutsch, ob nun aus den balkanländern, oder geflüchtete aus allen möglichen anderen staaten. im krankenhaus mag darauf eher geachtet werden, in den desolaten Pflegeheimen sind wir da leider meilenweit entfernt, zu lasten des ohnehin überforderten, gestressten fachpersonals und der bewohner. gerade da kommunikation mit das wichtigste in dem bereich ist. waschen kann-nach Anleitung - jeder, aber nicht pflegen!