Die Wahrheit: Alles bleibt, wie es nicht ist
Die exklusive Wahrheit-Vorschau auf ein sich jetzt schon total unübersichtlich gerierendes Jahr 2019 folgt hier in voller Schönheit.
Futurologen, Konjunkturforscher und Leitartikler sind sich endlich einmal einig – 2019 wird „unser Jahr“! Schön für diese drei Berufsgruppen – doch wie sieht es für die Restbevölkerung (immerhin 29 Prozent) aus? Diese Änderungen erwarten uns konkret:
Löhne
Schade – die Löhne werden auch 2019 nicht steigen! Damit verharren sie real das fünfzehnte Jahr in Folge auf dem Niveau von 2004. Angesichts wichtiger konjunktureller Belastungen (Dieselkrise, Fall Relotius, Merkels Köln-Panne) haben sich die Tarifpartner darauf geeinigt, weiter Zurückhaltung zu wahren – und auch im kommenden Jahr den ganze Laden auf niedrigstem Niveau weitertuckern zu lassen. „Bis einer heult“, so Verdi-Chef Bsirske gewohnt burschikos.
Wohnen
Immer mehr Menschen müssen über ein Drittel ihrer kärglichen Einkünfte auf Miete und Obdach verwenden. Einerseits! Andererseits gibt es 2019 im Vergleich zum Vorjahr noch weniger Gründe, die heimischen vier Wände zu verlassen. „Wohnen wird teurer, aber dafür intensiver“, so eine Sprecherin des deutschen Immobilitätsverbands. Sie rät, stärker erlebnisorientiert zu wohnen, um aus den gestiegenen Kosten mehr Lebenswert zu generieren: „Machen Sie auch mal verrückte Sachen: Schlafen in der Küche, Zähneputzen im WC oder Panikattacken im Arbeitszimmer. Man kann so vieles tun!“
Amerika
„Haha, der Trump wieder!“ Diesen Satz wird man auch 2019 vermehrt hören müssen – von Leuten, die sich für politisch kundig halten, weil sie die „Heute-Show“ gucken. Experten rechnen mit einem stark steigenden Aufkommen an trumpkritischem Kopfschütteln, Augenrollen und Zum-Alltag-Übergehen. Ein großes Plus: Trump soll 2019 nur mehr für 49 Prozent sämtlicher Weltprobleme verantwortlich gemacht werden – so will es ein Beschluss der Vereinten Nationen. Die restlichen 51 Prozent sollen gleichmäßig auf andere unsympathische Regierungschefs verteilt werden.
Journalismus
Der Fall Relotius hat die deutsche Presse aufgerüttelt – für zirka zehn Tage. Inzwischen kann der Verband der deutschen Presswirtschaft die Kunden wieder beruhigen: Natürlich wird auch 2019 erneut sturheil der gleiche besinnungslose Gefühligkeitsjournalismus gemacht, nur mit schlechterem Gewissen und noch niedrigeren Honoraren. Unsere einzige Hoffnung: irrlichternde Querfront-Blogs, die garantiert keine finanziellen Interessen haben, nur einen Paypal-Account.
Hunde
Die öffentliche Anteilnahme im Fall des ermordeten Kampfhundwelpen Chico hat die Bundesregierung nicht kalt gelassen. Ab 2019 wird die Ermordung unschuldiger Kampfhundwelpen mit Geldstrafe nicht unter 90 Frolic gestellt, Kampfhunde werden auf die Liste bedrohter Arten gesetzt. Wer damit ein Problem hat, ist für die Bundesreigerung „ganz übler menschlicher Abschaum“, erklärte Regierungssprecher Seibert in einem Facebook-Drunterkommentar. In der CDU selbst ist man bereits weiter – und baut einen Kampfhund direkt als Merkel-Nachfolger auf.
Deutsche Bahn
2018 konnte die Bahn ihr Kerngeschäft weiter verdichten – über 7.500 Kilometer Strecke wurden erfolgreich stillgelegt. „Davon profitieren vor allem die Bahnkunden“, so Bahnchef Richard Lutz. „Auf einer stillgelegten Strecke können Verspätungen und Ausfälle um bis zu 95 Prozent gesenkt werden.“ 2019 soll das Schienennetz noch stärker verdichtet werden, bis schließlich sämtliche Reisen über die Strecke Köln–Frankfurt abgewickelt werden: Ein weitreichendes Netzwerk von Bahn-Taxis, Bahn-Leihwagen und Bahn-Mitfahrgelegenheiten wird das Angebot ergänzen und schließlich die Umbenennung in „Deutsche Auto-Bahn“ begründen helfen.
Böller
Die Böller-Debatte bleibt auch nach Jahresbeginn ein ganz heißes Eisen! Wirtschaftsminister Altmaier möchte das Böllern am Liebsten ganzjährig gestatten, „um Silvester den Druck rauszunehmen“. Am liebsten wäre ihm eine Imagekampagne, die das Böllern an die deutschen Waffenexporte koppelt, die auch 2019 leider, leider wieder nötig werden: „Es kann nicht sein, dass wir Deutschen es überall auf der Welt knallen lassen dürfen, nur nicht im Inland.“
Brückenteilzeit
Ab 2019 gelten für die Brückenteilzeit neue Bestimmungen: Arbeitnehmer, die in einem Betrieb mit mindestens 45 und höchstens 200 Mitarbeitern beschäftigt sind, können Brückenteilzeit beantragen – dies gilt jedoch nur für jeden fünfzehnten Mitarbeiter. Jeder zwanzigste Mitarbeiter kann seine Brückentage als Brückenteilzeit anrechnen lassen, jeder dreißigste kann eine Tagesmutter als Brückentagesmutter gering beschäftigen. Geschenke, die man der Brückentagesmutter zum Brückentagesmuttertag macht, können steuerlich geltend gemacht werden, sofern sie nicht weniger als 45 und nicht mehr als 200 Euro gekostet haben. Gefallen diese Geschenke der Brückentagesmutter nicht, so kann sie jedes fünfzehnte Geschenk bis zu fünf Jahre lang zurückgeben (Kassenzettel aufbewahren!). Menschen ohne Arbeit können auch in die Brückenvollzeit gehen und den Schlafplatz unter der Brücke als Arbeitszimmer absetzen. „Hier hat sich die SPD endlich mal durchsetzen können“, so Parteichefin Andrea Nahles, „wenn ich nur wüsste womit!“
Der Osten
2018 waren noch einige wichtige Bundesminister in ostdeutsche Städte gefahren, um zu gucken, ob irgendwas kopfmäßig zu retten ist – 2019 wird dieser alte Brauch aus Kostengründen eingestellt. Gleichzeitig braucht es den Osten noch als Grusel- und Drohkulisse – so erwägt die SPD-Fraktion im Bundestag die Einführung eines „Solidaritätsumzugs“, bei dem renitente Hartz-IV-Bezieher aus dem Westen bei einer ungenügenden Anzahl von Bewerbungen in eine ostdeutsche Kleinstadt zwangsumgesiedelt werden. „Da können sie dann mal schauen“, gab sich SPD-Generalsekretär Klingbeil angriffslustig.
Friedrich Merz
Nach dem Scheitern seiner Ambitionen zum Parteivorsitz ist für die millionenschwere Nachwuchshoffnung Friedrich Merz noch lange nicht Schluss. Selbstgestreuten Gerüchten zufolge will Merz auch 2019 wieder seinen Hut in den Ring werfen – in welchen, ist ihm herzlich gleich: „Ob Konzernherr, Generalfeldmarschall oder selbstständiger Subway-Subunternehmer mit Sandwich-Lebenslauf – wo immer Führung gebraucht wird, bin ich gern bereit, Verantwortung zu übernehmen. Notfalls könnte ich mir auch vorstellen, mich, sag ich mal, zum Papst krönen zu lassen. Hauptsache, Merkel kommt weg!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug