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Vietnamesische RegimekritikerBei Facebook rausgetrickst

Wegen konstruierter Regelverstöße löscht Facebook die Konten kritischer Blogger aus Vietnam. Dahinter steckt der Staat, glaubt Reporter ohne Grenzen.

Gerade in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit ist die Bedeutung von Facebook groß Foto: dpa

Berlin taz | Facebook hat seit Jahresbeginn zahlreiche Beiträge vietnamesischer Nutzer gelöscht und Benutzerkonten gesperrt. Allen gemeinsam war, dass sie sich in ihren Posts kritisch mit der Regierung in Hanoi auseinandersetzen. Das hat die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) recherchiert. Betroffen sind nach taz-Recherchen auch mindestens vier Vietnamesen aus Deutschland sowie je einer aus Belgien und Frankreich. Beschwerden der Betroffenen bei Facebook waren ins Leere gelaufen, bevor RoG sich eingeschaltet hatte.

Die Sperrungen und Löschungen hatten System: Regierungskritische Blogger wurden ohne ihr Wissen von Unbekannten als Administratoren von Facebook-Gruppen hinzugefügt, die gegen die Gemeinschaftsregeln von Facebook verstießen – beispielsweise von pornografischen Seiten. Dabei scheint es sich um Gruppen zu handeln, die eigens für diesen Zweck angelegt wurden. Daraufhin löschte Facebook nicht nur die anrüchige Gruppe, sondern auch sämtliche anderen Seiten, die über den Namen der Betroffenen liefen. So verloren regierungskritische Blogger ohne eigenes Verschulden ihre Facebook-Seiten.

„Methodik und Versiertheit der Angreifer sprechen nach unseren Recherchen für einen politischen Hintergrund“, heißt es in einer Erklärung von RoG. Vietnams Regierung gehört laut der internationalen Organisation zu den größten Feinden der Pressefreiheit. In der Rangliste der Pressefreiheit von RoG steht das südostasiatische Land auf Platz 175 von 180 Staaten der Welt. Im Januar hat eine 10.000 Personen starke ,militärische Cybereinheit ihre Arbeit aufgenommen. Deren Aufgabe ist es, „falsche“ Informationen und „Propaganda gegen den Staat“ im Netz zu bekämpfen. Seit Januar gibt es auch die beschriebenen Facebook-Sperrungen.

Zu den Betroffenen zählt der Blogger und Schriftsteller Bui Thanh Hieu, der im Berliner Exil lebt. In Vietnam ist sein Blog hinter einer Firewall versteckt – und zählt dennoch zu einem der meistgelesenen in Vietnam. Über 160.000 Menschen haben es abonniert und lassen sich per Mail über neue Einträge informieren. Bui Thanh Hieu saß wegen seiner publizistischen Tätigkeit in Vietnam mehrfach in Haft, bevor er 2013 mit einem PEN-Stipendium nach Deutschland reisen durfte. Seit Januar ist der Facebook-Account, den er zusätzlich zu seinem Blog unterhält, öfter gesperrt gewesen als frei zugängig. Im Oktober wurde er als „Wiederholungstäter“ endgültig gelöscht.

Seine Mails wurden ignoriert

Bui Thanh Hieu hat mehrfach versucht, Facebook zu kontaktieren und darzulegen, dass die dort unzulässigen Fakeseiten, auf denen er nach oben beschriebenem Modus als Admin geführt wurde, nichts mit ihm zu tun haben. Seine Mails wurden aber ignoriert. Erst als sich RoG einschaltete, wurde seine Facebook-Seite wieder online gestellt.

Methodik und Versiertheit der Angreifer sprechen für einen politischen Hintergrund, so Reporter ohne Grenzen

Der Autor wurde auch Opfer einer anderen Methode von Facebook-Sperrungen. Ihm wurden Urheberrechtsverletzungen vorgeworfen. Das funktionierte laut RoG so: Die Angreifer hätten seine eigenen Bilder kopiert, „auf ihren Seiten hochgeladen und ihm dann gegenüber Facebook vorgeworfen, das Urheberrecht an diesen Bildern nicht zu besitzen – obwohl es genau umgekehrt war“. Auf den strittigen Fotos waren die Söhne des Bloggers zu sehen, die mit ihm in Berlin leben. Der Mann, der gegenüber Facebook die Urheberschaft reklamiert, lebt in Vietnam.

Nachdem Betroffene aus Deutschland RoG, die Bundestagsabgeordnete Katrin Budde (SPD) und den Petitionsausschuss des Europäischen Parlamentes eingeschaltet hatten, untersuchte Facebook die Vorwürfe mit großer Ernsthaftigkeit. „Wir arbeiten hart daran, unsere Community vor Hackern, Identitätswechslern und anderen bösartigen Angriffen zu schützen“, sagte eine Facebook-Sprecherin der taz. Sie erklärt, dass diese Attacken von außen kämen und nicht auf Mitarbeiter von Facebook Vietnam zurückgingen.

Das soziale Netzwerk schloss in Folge der Kritik für weltweit zwei Milliarden Nutzer eine Sicherheitslücke: Seitdem kann niemand mehr ohne sein aktives Zutun als Administrator einer Seite hinzugefügt werden. RoG hat Facebook zudem eine Liste von 24 Betroffenen willkürlicher Sperrungen übergeben, die Facebook prüft. Einige zu unrecht gesperrte Konten wurden bereits wieder hergestellt und Facebook hat sich sogar offiziell bei einzelnen Nutzern entschuldigt. Die Aufklärung führte dazu, dass sich eine hohe dreistellige Zahl weiterer Geschädigter meldeten. Doch nicht alle Betroffene haben ihren Fall öffentlich gemacht.

Facebook-Sprecherin dementiert einen Zusammenhang

Einer, der lieber schweigt, ist ein in Vietnam lebender Journalist, der auch in der taz nur anonym zitiert werden möchte. „Die Löschung meines Facebook-Profils sehe ich als Warnung der Regierung, dass ich zu weit gegangen bin“, sagt er der taz. „Würde ich mich wehren, würde ich meinen Job verlieren und eine Haftstrafe riskieren.“ Wenige Monate nach der Sperrung durch Facebook legte er sich ein neues Profil mit den Daten seiner Tochter an. „Ich poste aber nur noch über Familienthemen. Ich bin ja gewarnt worden“, sagt er.

Die Chefin von Facebook Vietnam, Le Diep Kieu Trang, hatte während der Untersuchungen überraschend erklärt, das soziale Netzwerk zum Jahresende zu verlassen. Offiziell aus persönlichen Gründen. Eine Facebook-Sprecherin dementiert gegenüber der taz einen Zusammenhang zu den Vorfällen.

„Unsere Recherchen zeigen, dass die vietnamesische Regierung offenbar den digitalen Raum missbraucht, um kritische Stimmen auch im Ausland zu unterdrücken“, sagte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Verantwortlichen müssen diese Angriffe beenden und die Pressefreiheit achten.“ Mihr fügte hinzu: „Es braucht endlich eine demokratische Kontrolle des Konzerns Facebook, um die Rechte der Nutzer wirksam zu stärken.“

Gerade in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit ist Facebook sehr populär, weil es mit rein technischen Mitteln nur sehr schwierig gezielt zu zensieren ist. Wenn Regierungen wie die in Hanoi Facebook nicht ganz sperren wollen, haben sie nur die Möglichkeit, Nutzer wegen angeblicher Verletzung der Gemeinschaftsregeln zu melden. Selbst wenn diese Verletzungen konstruiert wurden.

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