Studierendenproteste haben Erfolg: Mehr Geld für Unis in Kolumbien
Nach monatelangen Protesten hat die kolumbianische Regierung zugestimmt, die Ausgaben für die öffentlichen Universitäten zu erhöhen.
Die Bilder aus Popayán verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Wenige Stunden später lenkte die Regierung ein. Am Freitag unterzeichnete Präsident Iván Duque in Anwesenheit von Studierendenvertretern ein historisches Abkommen: 5,8 Billionen Pesos (1,62 Milliarden Euro) wird Kolumbien in den kommenden vier Jahren in die Hochschulbildung investieren. So viel wie noch nie.
Bis Freitag hatte sich Präsident Iván Duques strikt geweigert, mehr als 500 Milliarden Pesos (140 Millionen Euro) zusätzlich für die Hochschulbildung auszugeben, von denen auch nur gut die Hälfte den öffentlichen Universitäten zugute gekommen wären.
Die Studentenvereinigungen nennen die jetzige Vereinbarung einen ersten wichtigen, aber unzureichenden Schritt. Allein bei den Betriebskosten haben die öffentlichen Unis ein Defizit von 3,2 Billionen Pesos (896 Millionen Euro) angesammelt. Noch größer ist die „historische Schuld“: Seit 25 Jahren ist das Budget für die öffentlichen Unis gleich geblieben, während die Studentenzahlen sich fast vervierfacht haben.
Einstürzende Bildungsbauten
So fehlen 15 Billionen Pesos (4,2 Mrd. Euro), die sie hätten in Infrastruktur und Qualität der Bildung investieren müssen. Die Folge: Kolumbiens öffentliche Universitäten brechen zusammen. Wortwörtlich. Immer wieder stürzen Gebäude ein, weil sie baufällig sind. Allein an der Universidad Nacional in Bogotá sind 72 Prozent der Gebäude in einem desaströsen Zustand – in einer Stadt, in der regelmäßig die Erde bebt und es in der Regenzeit zu sintflutartigen Güssen kommt.
Das Geld reicht nicht einmal, um die Gehälter zu bezahlen. Selbst ein Verwaltungsgericht hat daher den finanziellen Forderungen der Studenten Recht gegeben. Es verdonnerte im November die Regierung dazu, das Recht auf Bildung endlich zu gewährleisten und ausreichend Geld ins System zu stecken – und zwar ins öffentliche.
Seit Oktober hatten Studierende, DozentInnen und RektorInnen von 27 der 32 öffentlichen Universitäten gestreikt. Das Semester fiel praktisch aus. Hunderttausende gingen in zehn landesweiten Demonstrationen auf die Straße, um für die Rettung des Bildungssystems zu demonstrieren. Auch SchullehrerInnen, Eltern, Großeltern und Gewerkschaften schlossen sich den Protesten an, die mit Gesängen, Tanz und buntbemalten Plakaten bei allem Ernst durchaus kreativ waren.
Nicht nur die Bildungsmisere machte die Demonstranten wütend. Die Korruption frisst immer noch das nötige Geld. Laut dem Think Tank Dejusticia verschwinden in Kolumbien so alljährlich 14 Milliarden Euro. Die Regierung, so die Kritik, setze außerdem falsche Prioritäten. Nach mehr als 50 Jahren bewaffneten Konflikts zwischen Staat und Farc-Guerilla sei nun Bildung der wichtigste Schritt zu dauerhaftem Frieden. Stattdessen werden im Haushalt 2019 die Militärausgaben erhöht.
Völlig unverhältnismäßige Polizeigewalt
Mitglieder der Regierungspartei und Ex-Präsident Uribe verunglimpften die Studierenden. Präsident Duque weigerte sich, mit ihnen zu reden. Statt dessen fand er Zeit für Popstars. Zuletzt forderten die Demonstranten, ihr Recht auf friedlichen Protest zu respektieren.
Denn obwohl selbst die Stadtverwaltungen mehrfach betonten, dass die Demonstrationen überwiegend friedlich verliefen, reagierte der Staat mit unverhältnismäßiger Gewalt. Der Esmad, die berüchtigte Antiaufstandseinheit, die die Polizei bei Demos einsetzt, ging mit Tränengas und Wurfgeschossen auf Demonstrierende los. Fotos und Videos belegen, dass es sich nicht um „Zusammenstöße“ handelte, wie viele Medien beschönigend sagten, sondern dass die Polizisten tatsächlich Demonstrationszüge angriffen.
Zivilpolizisten mischten sich unter die Demonstrierenden, versuchten, diese anzustacheln, oder warfen Gegenstände auf Polizisten. Wohl um die Polizeigewalt als Reaktion zu rechtfertigen. Auch Journalisten wurden an der Arbeit gehindert. Wie viele zeitweise Festgenommene und Verletzte es insgesamt gab, lässt sich nicht genau sagen. SprecherInnen der Studentenorganisationen erhielten Morddrohungen und daher Personenschutz.
Die landesweiten Proteste haben einiges verändert. Zum ersten Mal seit 1971 saßen Regierung und Studierendenorganisationen an einem Verhandlungstisch. Obwohl Studentenvertreter noch vor einer Woche pessimistisch waren, haben sie Rekordinvestitionen erreicht. „Das zeigt, dass Kämpfen etwas bewirkt“, sagte Jennifer Pedraza, eins der prominentesten Gesichter der Studentenvertreter.
Sie und ihre Mitstreiter kündigten an, dass damit längst nicht Schluss sei. Das Geld sei nicht ausreichend. Auch fehle eine wirkliche Bildungspolitik. Über zinsfreie Bildungskredite gibt es auch keine Vereinbarung. Diese sind eine Hauptforderung der Studierenden, weil wegen horrender Zinsen derzeit etwa 50.000 KolumbianerInnen hoffnungslos verschuldet sind.
Außerdem müsse im kommenden Jahr weiter verhandelt und kontrolliert werden, wie das zugesagte Geld verteilt wird. Denn auch im Bildungssystem sind wegen Misswirtschaft und Korruption Ressourcen versickert. Auch die Polizeigewalt müsse Konsequenzen haben.
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