Tag der Menschen mit Behinderung: Forderung nach Wahlrecht für alle
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung fordert, dass auch Menschen unter Vollbetreuung wählen dürfen. Die Regierung will handeln.
Vollbetreuung bedeutet, dass den Betroffenen „in allen Angelegenheiten“ ein Betreuer zur Seite gestellt wird. Dies betrifft beispielsweise die Wahl den Wohnsitzes sowie den Gang zu Arzt- und Behördenterminen. Der Großteil dieser Menschen ist zwar geschäftsfähig, wird jedoch von der Teilnahme zur Bundestags- und einigen Landtagswahlen ausgeschlossen. In sieben Bundesländern wurde ihnen in den letzten Jahren das Wahlrecht zugestanden. „Eine gute Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sie nicht inklusiv ist, wenn sie nicht Menschen in ihrer Vielfalt teilhaben lässt“, so Dusel weiter.
Auch im zwischen CDU, SPD und CSU verhandelten Koalitionsvertrag heißt es: „Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle.“ Der Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Vollbetreuung werde beendet. Aus dem Büro des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, hieß es dazu gegenüber der taz, dass sich die Verhandlungen zu den Details mit der Union dazu kurz vor dem Abschluss befänden.
Der Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der Unionsfraktion, Wilfried Oellers, teilte mit, dass an einer Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses gearbeitet wird: „Wir arbeiten zurzeit an einem Gesetzentwurf, der Anfang 2019 in den Bundestag eingebracht werden soll.“ Der Behindertenbeauftragte Dusel fordert, dass das Gesetzesvorhaben noch vor der Europawahl im Mai 2019 umgesetzt wird.
Gesetzentwürfe in Berlin und Thüringen
Die regierenden Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus, SPD, Linkspartei und Grüne, wollen im kommenden Plenum einen Antrag zur Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen einreichen. „Die inklusive Gesellschaft ist ein zentrales Leitbild der rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Dazu gehört auch die umfassende politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“, erklärten die behindertenpolitischen Sprecher der Koalition, Lars Düsterhöft (SPD), Stefanie Fuchs (Linke) und Fatoş Topaç (Grüne).
„Wir folgen damit dem Beispiel anderer Bundesländer und verbinden damit auch einen klaren Handlungsauftrag an die Große Koalition im Bund, die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zügig umzusetzen.“
Auch im rot-rot-grün regierten Thüringen wollen die Landtagsfraktionen der Linkspartei, SPD und Grünen in der kommenden Landtagssitzung einen Gesetzentwurf einbringen, der Menschen mit Vollbetreuung ein Wahlrecht auf Kommunal- und Landesebene zugestehen soll. „Auch Menschen in vollständiger gesetzlicher Betreuung für alle ihre Angelegenheiten haben das Menschenrecht, ihre politische Meinung durch ihre Wahlentscheidung zu manifestieren“, teilte die behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Karola Stange, mit.
Wichtig sei zudem, „dass bei Vorbereitung der Wahl die Informationsbedürfnisse gehandicapter Menschen berücksichtigt werden, z.B. durch Materialien in Leichter Sprache, durch Hörangebote sowie durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln wie z. B. Wahlschablonen, um die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Wahlhandlung von behinderten Menschen zu sichern.“
Forderung nicht neu
Auch die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, „dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden.“ Die Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention hatte auch Deutschland wiederholt darauf hingewiesen, dass die Wahlrechtsausschlüsse aufzuheben sind.
Die Forderung nach der Änderung des Wahlrechts ist nicht neu. Auch der taz-Kolumnist und Vorstand der Berliner Lebenshilfe, Christian Specht, ist von dem Ausschluss zur Bundestagswahl betroffen. „Ich wünsche mir, dass noch mehr Behindertenverbände gegen das Gesetz klagen und sich mehr Politiker dagegen einsetzen“, forderte Specht bereits im April 2017 in seiner Kolumne „Specht der Woche“. „Diese diskriminierende Regelung muss so schnell wie möglich abgeschafft werden!“ Specht ist seit Jahrzehnten politisch aktiv und war Mitglied verschiedener Parteien.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags war Christian Specht als Mitglied der Bundesvereinigung Lebenshilfe bezeichnet worden. Er ist jedoch Mitglied im Vorstand des Landesverbandes Berlin.
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