piwik no script img

SPD-Vorschlag zur Unfallverhütung„Die 15 Sekunden in Kauf nehmen“

Die Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion wollen getrennte Ampelphasen für FußgängerInnen und RadfahrerInnen sowie abbiegende Autos – um Leben zu retten.

Freie Fahrt für Räder – aber eben meist auch für abbiegende Autos oder Lkws Foto: dpa

taz: Herr Schopf, die Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion haben einen Antrag formuliert, der getrennte Ampelphasen für rechtsabbiegende Autos sowie für RadfahrerInnen und FußgängerInnen fordert. Wie kommen Sie darauf?

Tino Schopf: Das Mobilitätsgesetz, das wir im Sommer verabschiedet haben, verpflichtet uns zur „Vision Zero“. Das heißt, es soll künftig niemand mehr im Straßenverkehr zu Tode kommen. Wir müssen also unsere Verkehrswege sichererer machen und insbesondere Unfallschwerpunkte entschärfen. Dabei handelt es sich ganz oft um Kreuzungen, wo Rechtsabbieger den Rad- und Fußverkehr gefährden, weil alle gleichzeitig Grün haben. Separate Ampelphasen können das Problem entschärfen.

Sie und Ihre Kollegen haben „alle dafür geeignete lichtsignalgeregelte Kreuzungen“ im Visier, welche sind das denn Ihrer Meinung nach?

Natürlich wären zuerst die gefährlichsten Kreuzungen zu prüfen. Da kann uns die Unfallkommission weiterhelfen, die die entsprechenden Daten sammelt und auswertet. Wie viele Kreuzungen es am Ende werden könnten, kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Es wird nicht in der gesamten Stadt notwendig sein, aber mit Sicherheit an den großen Knotenpunkten. Es gibt ja auch bereits Stellen, an denen das so geregelt ist, etwa beim Autobahnanschluss auf dem Spandauer Damm – da habe ich heute schon als Radfahrer eine separate Grünphase, und niemand regt sich darüber auf.

Tino Schopf,

44, ist verkehrs­politischer Sprecher der SPD-Frak­tion. 2016 wurde er für den Wahlkreis 9 (Pankow) direkt ins Parlament gewählt.

Separate Ampelphasen würden bedeuten, dass alle länger auf Grün warten müssen – das gibt doch heftigen Gegenwind!

Ich kann mir schon vorstellen, dass es Gegenargumente geben wird, aber da frage ich: Was ist uns ein Menschenleben wert? Wenn es eine Möglichkeit ist, Schwerstverletzte oder Tote zu vermeiden, sollte man sie am Schopfe packen und 10 oder 15 Sekunden Wartezeit in Kauf nehmen. Am Ende geht es doch um die Sicherheit aller: Heute sitze ich im Auto, morgen bin ich der Fußgänger, der an der Ampel wartet – oder mein Kind. Und für mich als Auto- oder Lkw-Fahrer schaffen separate Phasen ja auch mehr Sicherheit.

Aus der Opposition kam schon Kritik, die FDP fordert stattdessen die baldige Einführung des elektronischen Abbiegeassistenten.

Dessen verpflichtenden Einbau in alle Lkws fordern wir als Koalition auch. Wir haben dieses Jahr dazu erfolgreich eine Bundesratsinitiative eingebracht, und Landesunternehmen wie die BSR schaffen auch schon neue Lkw mit Abbiegeassistenz an. Nur: Es muss ja für alle gelten, und das wird auf Bundes- und europäischer Ebene entschieden. So schnell wird das nicht gehen. Separate Ampelphasen könnten viel schneller kommen, wenn auch vielleicht nicht von heute auf morgen.

Wie Sie schon sagten, das ist jetzt erst mal nur die Position von einigen Fraktionsmitgliedern. Wie geht es jetzt weiter?

An diesem Dienstag diskutieren wir den Antrag in der Fraktion. Letzten Donnerstag hatten wir den Antrag im Rahmen einer Sitzung der SPD-Verkehrspolitiker diskutiert und einstimmig beschlossen. Sofern auch meine Fraktion den Antrag unterstützt, findet im Anschluss die Beratung mit unseren Koalitionspartnern statt. Danach erfolgt die Beratung und Abstimmung in den Ausschüssen und im Plenum des Abgeordnetenhauses.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich bin mir nicht sicher, ob das pauschal für Fahrradfahrer positiv oder negativ ist. Wenn die Ampelphasen so geregelt werden, dass Fußgänger und Fahrradfahrer nicht weniger Zeit haben, bin ich (als Fahrradfahrer) natürlich dafür. Mir würde das z.B. jeden morgen beim Queren der Holzmarktstraße/Stralauer Platz helfen. Hier stehen Linksabbieger in der Kreuzung und fahren gleichzeitig mit den Radfahrern los. Dabei wird grundsätzlich in den Radweg trotz durchgezogener Linie eingeschert. Besser als Ampeln fände ich hier die Poller. Aber bis es soweit ist, wäre schon einer verzögerten Grünphase für den für den Autoverkehr geholfen. In entgegengesetzter Richtung steht schon ein Kreuz, wobei ich nicht weiß, ob hier ein Radfahrer von einem ausscherenden Fahrzeug umgenietet wurde.

  • Fußgänger brauchen vor allem Ampelphasen, die lange genug sind, um über die ganze Straße zu kommen. Das ergab die Befragung und Analyse des BUND in Berlin, an der sich Hunderte von Fußgängern beteiligten. Auch häufiger könnten die Phasen gerade an den großen Kreuzungen sein.

    Es bringt gar nichts, jetzt Fußgänger und Radfahrer gegeneinander auszuspielen. Das tut die Autolobby in Deutschland immer wieder sehr gern. Damit die MINDERHEIT der Autofahrer - das sind sie in den Großstädten! - weiterhin 97% des Gelds und 90% der Ampelzeit bekommt.

    Fußgänger und Radfahrer brauchen gar keine Ampeln. Die gibt es nur wegen der Autos. Betrachte Städte mit sehr wenig Autoverkehr: sie sind fast ampelfrei, sehr leise, sehr entspannt und gut für Kinder und für die Atemwege.

    Betrachte Städte mit sehr viel Autoverkehr: Sie sind Laster-frei!



    Kürzlich in Paris ist mir das aufgefallen. Es gibt fast keine LKW in Paris bis auf wenige Ausnahmen. Das war auch ein Grund, warum der Fahrradverkehr innerhalb weniger Jahre von tatsächlich 'Null' auf 'Allgegenwärtig' in Paris wachsen könnte.

    In wirklichen Weltstädten gibt es keine Laster. Sie müssen am Stadtrand bleiben und ausladen - oder um die Weltstadt herum fahren. Will die SPD abstreiten, dass Berlin eine Weltstadt ist?

  • Sicherheit und Kosten (weniger finanziell, eher Zeitverluste) sind ein Trade-off. Jede Gesellschaft definiert implizit einen Preis fürs menschliche Leben, in westlichen Wohlstandsgesellschaften liegt er höher als in Emerging Markets. An den richtigen Kreuzungen kann eine weitere Gefahrenreduktion durchaus gerechtfertigt sein.