Göttinger Antifaszene: V-Mann aufgeflogen
Fast zwei Jahre lang hat eine „Vertrauensperson“ des Niedersächsischen Verfassungsschutzes die Gruppe „Basisdemokratische Linke“ ausspioniert.
Für die Enttarnung habe der Verfassungsschutz die nötigen Hinweise „unfreiwillig selbst“ geliefert, sagte eine Sprecherin der „Basisdemokratischen Linken“: Im Zuge eines Auskunftsersuchens seien versehentlich Dokumente mit „vertraulichen Informationen“ herausgegeben worden, die der Öffentlichkeit normalerweise vorenthalten blieben. Diese Unterlagen hätten es ermöglicht, den V-Mann zu identifizieren.
Demnach war der Enttarnte bereits während seiner Schulzeit an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen politisch interessiert. Nach seinem Abitur im Jahr 2015 sei er nach Göttingen gezogen, wo er zunächst bei der linken Jugendgruppe „solid/Your Turn“ aktiv war. Über einen öffentlichen Einstiegsabend sei er im Herbst 2016 der „Basisdemokratischen Linken“ beigetreten.
Teilnahme an Protesten
Die „Basisdemokratische Linke“ entstand im November 2013 als Zusammmenschluss der Basisgruppen Germanistik und Geschichte an der Göttinger Universität sowie verschiedener Einzelpersonen. Themenfelder sind vor allem Antifaschismus, Antirassismus und Unipolitik.
Der V-Mann soll sich zunächst mit antifaschistischen, später jedoch auch mit hochschulpolitischen Themen befasst haben. „Während dieser Zeit nahm er sowohl an antifaschistischen Gegenprotesten als auch an bundesweiten Treffen teil“, so die „Basisdemokratische Linke“. In Diskussionen habe er allerdings „so gut wie nie Stellung“ bezogen, stattdessen habe er häufig „Strukturaufgaben“ übernommen. In der Gruppe sei er „sozial kaum angebunden“ gewesen: „Freundschaftliche Verhältnisse zu anderen Mitgliedern der Gruppe interessierten ihn nicht sonderlich.“
Der Verfassungsschutz habe über den V-Mann „zwei Jahre lang in unseren privatesten und persönlichsten Bereichen herumgeschnüffelt“, so die Sprecherin der „Basisdemokratischen Linken“. Gleichzeitig lasse sich den Akteninhalten entnehmen, dass antifaschistisches und politisches Verhalten akribisch beim Verfassungsschutz gesammelt werde, „um im weiteren Verlauf unser Engagement zu kriminalisieren“. Entmutigen lassen will sich die Gruppe aber nicht. „Wir setzen uns weiterhin für unser Ziel einer offenen Gesellschaft, einer Gesellschaft der vielen ein“, sagte die Sprecherin.
Die Überwachung linker Organisationen in Göttingen ist nicht neu. Bereits Ende der 1970er Jahre schleuste das Landeskriminalamt zwei Spitzel in den Arbeitskreis gegen Atomenergie ein. Einige Jahre später wurden die Namen, Daten und Kontakte zahlreicher Aktivisten im Spurendokumentationssystem (Spudok) der politischen Polizei registriert.
30 Betroffene klagen
Mindestens bis 2015 sammelte der Staatsschutz in einer Papierakte Namen, Adressen, Religionszugehörigkeit, Arbeitsstelle und Social-Media-Profile von links orientierten Göttinger BürgerInnen. Knapp 30 Betroffene haben dagegen geklagt. Im April dieses Jahres räumte die Polizeidirektion Göttingen ein, dass diese Akten niemals hätten angelegt werden dürfen.
Der Niedersäschsische Verfassungsschutz teilt auf Anfrage der taz mit, dass er „keine Auskünfte zu operativen Angelegenheiten gibt“, die „Basisdemokratische Linke“ aber „im Jahresbericht 2017 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes aufgeführt ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen