ZDF-Krimiserie „Nachtschicht“: Eine Nacht mit Gangstern auf St. Pauli
Fünfzehn Jahre, fünfzehn Folgen. Wie immer überzeugt die „Nachtschicht“ nicht mit einem genialen Plot, sondern mit der Starbesetzung.
Da variieren sie diesmal also das Motiv aus „Immer Ärger mit Harry“, jenem lustigsten aller Hitchcock-Filme, in dem eine Leiche – Harry – mehrfach wieder ausgebuddelt wird und irgendwie immer im Weg ist. Nur das Harry hier eben Johnny heißt. Gestorben ist er einen Tod, wie Berlins peinlichster Playboy Rolf Eden ihn sich wünschen würde: beim Beischlaf. Der Johnny war ein ganz ähnlicher Aufreißer wie Eden, nur hat er sein Geld nicht mit Nachtclubs gemacht, sondern mit Möbelmärkten.
Nun stört Johnnys Leiche den Betrieb im Puff und muss weg. Keine große Sache, sollte man meinen, wenn die Bullen von der Nachtschicht eine Leiche nicht mal erkennen, wenn sie vor ihnen an der Bar sitzt: „Wir sind die Nachtschicht. Wir sind die Müllabfuhr. Wir können doch nicht jeden Betrunkenen erst mal umdrehen und gucken, ob er noch lebt!“ Keine große Sache, meinen auch die Zuhälter und erörtern Fragen wie, wer die Schaufel trägt. Keine große Sache, meinen sie auch noch, als sich herausstellt, dass die Leiche gar keine Leiche, sondern quicklebendig und außerdem geschäftstüchtig ist.
Statt Schweigegeld kassiert Johnny einen Schuss in den Rücken. „Nur nach Gehör“, will sagen: Der Zuhälter macht das offenbar nicht zum ersten Mal. Seine Gangsterkollegen von der Abteilung „Finanzberatung“ unterhalten sich indes auf dem Weg zur Arbeit über die Menopause wie einst John Travolta und Samuel L. Jackson über Hamburger.
Apropos: Wir sind natürlich in Hamburg, und irgendwann begrüßt sie alle Armin „Bierchen“ Rohde alias Erich Bo Erichsen in der gläsernen Zelle auf seinem Kiez-Revier: „Jetzt habt ihr noch freie Sitzplatzwahl. Unser maximal zugelassenes Sitzplatzvermögen beträgt zwölf Leute. Aber heute ist Freitag, da kann’s richtig voll werden!“
Seit 15 Jahren die gleichen Ermittler
Die „Nachtschicht“ geht nach fünfzehn Jahren in die fünfzehnte Folge – da weiß man, was man bekommt, wie beim „Traumschiff“. Ja was eigentlich – außer den Ermittlern Rohde und Minh-Khai Phan-Thi, die alleine von der Ur-Besetzung noch dabei sind, und Barbara Auer, die in Folge vier dazukam? Ganz so gemütlich und menschelnd wie am Vorabend im „Großstadtrevier“ geht’s nicht zu, obwohl dem Personal nichts Menschliches fremd ist.
Montag, 12.11., 20.15 Uhr, ZDF
Doch, es hat schon auch etwas von Millowitsch, pardon, wir sind ja in Hamburg – sagen wir also Ohnsorg, in jedem Falle: Volkstheater. Die Derbheit. Die Nummernrevue. Der Slapstick und die Kalauer, mal mehr, mal weniger, in dieser Folge: mehr als genug. Die Figuren, die wahnsinnig authentisch, doch auch immer gnadenlos überzeichnete Kunstfiguren sind. Das Spielerische, die Schaustellerei, der Spaß an der Räuberpistole. Keine überambitionierte Milieu-Kolportage-Kiez-Saga à la „Der König von St. Pauli“, sondern eine nur etwas aus dem Ruder gelaufene Nachtschicht auf St. Pauli eben.
„Nachtschicht“-Erfinder, -Autor und -Regisseur Lars Becker hat sich über die Jahre sein eigenes Genre geschaffen, das er souverän bespielt. Der Plot ist relativ egal, die Priorität liegt bei der Besetzung und den Auftritten des Ensembles, also vor allem Rohdes, und toller Gastschauspieler, die sich von Becker offenbar nicht lange bitten lassen. In dieser Folge: Natalia Wörner („Unter anderen Umständen“) als coole Ex-Prositutierte/Witwe, als Frau mit Vergangenheit, auch mit Erichsen: „Ich war 20 Jahre auf der Meile, Schätzchen, jede fucking Nacht“; Gustav-Peter Wöhler („Erleuchtung garantiert“) als schmieriger Gangster-Anwalt und Porschefahrer, der erklärt: „Solange es Polizisten wie Sie gibt, Erichsen, arbeite ich sogar umsonst!“; Philipp Hochmair („Vorstadtweiber“) als Vogelkundler; Frederick Lau („Victoria“) und Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) in ihren Paraderollen als Proll vom Dienst und als Gangster vom Kiez, St. Pauli statt Neukölln.
Ach so, und am Ende wird Johnny tatsächlich wieder ausgebuddelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution