: „Eine Quote ist für Liberale wie Körper-verletzung“
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vize-Chefin der FDP. Sie findet, dass Seehofer zurücktreten sollte, und sagt, die Probleme in der Groko hätten sich schon bei den Jamaika-Verhandlungen angekündigt. Was die Frauenquote angeht, ist sie unentschieden
Interview Anja Maier
taz: Frau Strack-Zimmermann, Sie sind stellvertretende FDP-Vorsitzende, Ihre Fraktion sitzt seit einem Jahr im Bundestag. Wenn Sie sich das Gebaren der Regierungskoalition anschauen, denken Sie dann nicht manchmal, das würde mit uns aber laufen?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Im Gegenteil. Wir haben während der Verhandlungen das Chaos nicht nur im Ablauf schon kommen sehen. Die Situation zwischen der Kanzlerin und Herrn Seehofer war bereits während der Jamaika-Verhandlungen nicht nur spürbar, sondern erlebbar. Als Regierungspartner wären wir heute in der selben Abwärtsspirale, in der sich die SPD befindet. Die Sozialdemokraten zahlen ja aktuell auch die Zeche dafür, dass CDU und CSU sich heftig streiten.
Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner hat an dem dramatischen Abend des 19. November beim Abbruch der Koalitionsgespräche erklärt, es sei „besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Hätte er nicht ehrlicherweise sagen müssen „als jetzt schon zu regieren“?
Wir waren zuvor vier Jahre nicht existent, es haben sich viele gefreut, als wir aus dem Bundestag rausgeflogen sind. Erst kam Häme, dann folgte Mitleid, man weiß gar nicht, was schlimmer war. Wir haben uns diese Rückkehr also selbst hart erarbeitet. Selbstverständlich: Wer antritt, möchte gewinnen, und wer gewinnt, möchte regieren. Aber bei unseren Kernthemen Bildung, Digitalisierung und steuerliche Entlastung der Mitte stießen wir auf schwarz-grüne Ignoranz. Wie schlechte Kompromisse für den Regierungspartner ausgehen, sehen Sie an der SPD.
Sie sprechen von Macht. Seit einem halben Jahr ist die CSU Teil der Macht, ihr Innenminister steht stark in der Kritik, schon mehrfach wurde sein Rücktritt gefordert. Würde das überhaupt nützen?
Die CSU, die ja bei der Bundestagswahl so tat, als habe sie die absolute Mehrheit erreicht, liegt bundesweit bei gerade mal sechs Prozent. Trotzdem läuft Herr Seehofer breitbeinig durch diese Republik und meint, ohne ihn ginge es nicht.
Geht es denn mit ihm?
Offensichtlich nicht. Mir ist völlig schleierhaft, warum die CSU zugelassen hat, dass Herr Seehofer Minister geworden ist, und sie täte gut daran, ihn auszuwechseln und jemand anderen aufs Spielfeld zu holen. Ich bin überzeugt, dass da sonst keine Ruhe einkehrt. Persönliche Auseinandersetzungen zwischen Kanzlerin und Innenminister sind nicht das, was dieses Land braucht. Wir haben weiß Gott anderes zu tun.
Wie lange geben Sie dieser Koalition noch?
Solange Frau Merkel Kanzlerin bleiben will. Jede Form der Neuwahl wäre für die Union und vor allem für die SPD dramatisch. Ich kann nur sagen, wir als FDP machen unseren Job: konstruktive Opposition. Wenn die Koalition nicht mehr in der Lage ist, ihrer Arbeit nachzugehen, muss neu gewählt werden. Wir sind auf alle Fälle jederzeit bereit, uns dem Votum der Wählerinnen und Wähler zu stellen.
Schauen wir mal auf Ihre Fraktion. Wissen Sie, wie hoch aktuell der Frauenanteil in Ihren Reihen ist?
Wir sind 80 Mitglieder, davon 19 Frauen.
Das sind 23,7 Prozent. Sind Sie zufrieden damit?
Nein, natürlich nicht. Es dürften gerne mehr sein. Allerdings bin ich froh, dass wir so viele so engagierte Frauen in der Fraktion haben. Meine Kolleginnen machen einen exzellenten Job, von unseren drei Ausschussvorsitzenden sind zwei Frauen. Uns mangelt es also nicht an Selbstbewusstsein. Das Problem, Frauen zu motivieren, liegt aber viel tiefer. Wir bemühen uns sehr um weiblichen Nachwuchs. Als Kreisvorsitzende in Düsseldorf liege ich geradezu auf der Lauer, junge Frauen, die altersmäßig noch eine politische Zukunft vor sich haben, zu finden und diese dann zu fördern, so fern sie das überhaupt wollen. Es ist nämlich gar nicht so leicht. Frauen sind wesentlich selbstkritischer, viele haben einen Beruf und Familie …
Männer haben doch auch einen Beruf und eine Familie.
Ja, aber Männer … ich sag es mal so, Sie fragen einen Mann: Möchtest du diesen Job zusätzlich machen? Und er wird ja sagen. Dann wird er merken, das ist vielleicht doch ein bisschen viel Arbeit, aber er wird trotzdem weitermachen. Wenn Sie eine Frau fragen, sagt diese: Toll, dass ich gefragt werde, aber ich habe einen Job, Familie; ich weiß nicht, ob ich das hundert Prozent leisten kann. Da sind Frauen definitiv selbstkritischer und sagen leider häufig, ich möchte den Job lieber nicht, als ihn halb zu machen. Das ist die Realität.
Also sind die Frauen selber schuld?
Natürlich nicht, aber sie müssen auch wollen. Ich mache sehr gute Erfahrungen mit Frauen, die Mitte vierzig und älter sind. Die sind in einer Lebensphase, in der sie freier aufschlagen können. Junge Frauen zu motivieren ist schwierig. Das ist für uns auch deshalb bedauerlich, weil wir sie auch als Wählerinnen ansprechen wollen. Und die schauen natürlich, welche Partei wird auch von Frauen repräsentiert.
Seit Jahren sagt die FDP, man bemühe sich um Frauen. Mühe allein genügt ja offensichtlich nicht. Auf die Frage nach einer Quote hat Ihre Generalsekretärin einmal im taz-Interview geantwortet, die FDP brauche keine. Müssten Sie nicht langsam mal Regeln einführen?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, 60, ist seit 2013 stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP. Seit einem Jahr ist sie Abgeordnete des Bundestags und dort verteidigungs- und kommunalpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die promovierte Politikwissenschaftlerin ist verheiratet und Mutter dreier erwachsener Kinder.
Quoten haben etwas Bemühtes und sind nicht immer gerecht. Aber wenn man neu denkt, was die FDP für sich in Anspruch nimmt, würde ich eine Quote nicht grundsätzlich ausschließen. Das wäre dann aber die Ultima Ratio, dass man sagt: Liebe Kollegen, wenn das nicht langsam mal funktioniert, müssen wir auch darüber nachdenken. Aber offen gestanden ist eine Quote für Liberale ein bisschen wie Körperverletzung.
In der neu gewählten bayerischen FDP-Landtagsfraktion sind zehn Männer und lediglich eine Frau. Wo ist denn da jetzt das neue Denken Ihrer Partei?
In Bayern werden Erst- und Zweitstimmen zusammengezählt. Wir hatten dort mehrere Frauen auf der Liste. Die Wähler haben aber dann den Männern mehr Stimmen gegeben und sie dadurch an den Kandidatinnen vorbei nach vorne geschoben. In anderen Bundesländern gibt es Listen, da kann die Partei das besser steuern. Aber in Bayern geht das nicht. Das gehört zur Wahrheit dazu. Das ist, nebenbei bemerkt, sehr demokratisch.
Letzte Frage. Sie sind Mitglied im Verteidigungsausschuss. War das Ihr Wunsch, als Sie in den Bundestag kamen, in diesem männlich dominierten Themenfeld zu arbeiten?
Ja, das habe ich mir gewünscht.
Warum?
Ich bin 1958 geboren und habe mich schon sehr früh, noch vor dem Mauerfall, dafür interessiert, wie sich Deutschland außenpolitisch aufstellt. Meine Beobachtung war, dass wir nach dem Ende des Kalten Krieges die Verantwortung für unser Land und Europa unseren Verbündeten überlassen – salopp gesagt, uns einen schlanken Fuß gemacht haben. Wir können doch nicht ernsthaft den Partnern in der Nato und in der EU alleine, um ein Beispiel zu nennen, den Schutz der europäischen Außengrenzen überlassen – da hat Deutschland es sich jahrzehntelange ganz schön bequem gemacht. Es wird Zeit, dass auch wir neu denken und mehr Verantwortung übernehmen.
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