Internationales Filmfestival Braunschweig: Verloren im Harz
Das Internationale Filmfestival Braunschweig zeigt in der Programmschiene „Heimspiel“ Filme mit lokalem Bezug – und kleinen Fehlern.
Bei einigen von ihnen ist der Bezug zur Heimat Braunschweig sehr weit hergeholt: So hat bei der französisch/türkisch/deutschen Koproduktion „My Favorite Fabric“, die in Damaskus spielt und auf den Filmfestspielen von Cannes Premiere hatte, der Braunschweiger Peer Kleinschmidt die Filmmusik komponiert und die deutschpolnische Komödie „Whatever Happens Next“ wurde von Stefan Gieren aus Salzwedel produziert.
Ein bisschen heimeliger wird es in Philipp Hirschs „Raus“, der zu einem großen Teil im Harz gedreht wurde. Es ist erstaunlich, wie viel filmisches Kapital hier daraus geschlagen werden kann, dass fünf Jugendliche einfach nur durch den Harz wandern. Die fünf Protagonisten haben sich durch einen Internetaufruf zu ihrem analogen Ausflug verführen lassen.
Ein charismatischer Naturbursche namens Friedrich ruft dort dazu auf, alles stehen und liegen zu lassen, ihm auf eine Schnitzeljagdtour zu seiner Hütte zu folgen, ohne Smartphone und GPS. Die Fünf raufen sich zusammen und haben bald die Polizei auf ihren Fersen. Jeder der fünf Jugendlichen hat ein Geheimnis, das sie während der Wanderung durch das deutsche Mittelgebirge an ihre Grenzen bringt.
Leider sind den Filmemachern ein paar gravierende Anschlussfehler unterlaufen. So kraxeln die Protagonisten etwa am Ende des Films im Hochgebirge oberhalb der Baumgrenze herum – diese Szenen wurden in Südtirol gedreht – sind dann plötzlich aber an einem sommerlichen See im Harz und gleich danach wieder zurück auf einem hohen Passweg. Solche handwerklichen Schnitzer verderben ein wenig den Spaß an dieser modernen Rattenfängergeschichte.
Das Gegenteil zu „Raus“ ist „Am Fenster“ des Braunschweiger Künstlers Michael Ewen. Er hat einen 74 Minuten langen Film gedreht, ohne dabei die eigene Wohnung zu verlassen. Jedenfalls fast, doch dazu gleich. Ewen hat ein Jahr lang mit seiner Kamera entweder aus den Fenstern seiner Atelierwohnung gefilmt, oder sie nach innen gedreht, um seine Arbeiten zu zeigen. Objekte aus Draht und Pappmaschee, die wie Felsen aussehen und im Stil von Collagen mit Zeitungsausschnitten und Fotos beklebt wurden.
Almosen für den Leierkastenmann
Aber die meiste Zeit zeigt Ewen, was in der Zeppelinstraße in Braunschweig so passiert ist. Schnee im Winter, Gewitter, Schönwetterwolken im Sommer, Stürme im Herbst – und erstaunlich viele Handwerker, die Häuser in der gutbürgerlichen Wohngegend sanieren oder im Kanalschacht schuften. Als dokumentarische Aufnahmen von Belang sind eigentlich nur die Bilder von einem der wohl letzten Leierkastenmänner in diesem Land, der von den Kindern und Hausfrauen in der Straße erstaunlich viele Almosen einsammelt. Er scheint als Einziger den Aufnehmenden an seinem Fenster zu bemerken.
Einmal schummelt Ewen und geht ein paar Schritte vor die Tür, denn dort wurden gerade „Stolpersteine“ des Aktionskünstlers Gunter Demnig in den Gehweg eingesetzt. Große Filmkunst ist „Am Fenster“ ganz gewiss nicht. Immerhin die Filmmusik hat sich der Künstler von Vlady Bystrov (und gar nicht schlecht) komponieren lassen, aber dann macht er sich selber diesen Soundtrack mit Allerwelts-Klassik von Chopin, Schuhmann und Bach wieder kaputt.
Schwacher Regionalbezug
Der Regionalbezug des Dokumentarfilms „Die Seele der Geige“ besteht darin, dass der Filmemacher Benedikt Schulte an der Universität von Hildesheim seinen Abschluss gemacht hat. Das reicht aus, um in die „Heimspiel“-Reihe aufgenommen zu werden. Zum Glück, denn seine Dokumentation ist es wert, auf einem Festival und auf einer großen Leinwand gezeigt zu werden. Die 52 Minuten lange Arte-Produktion versucht in zwei parallel geschnittenen Erzählsträngen zu vermitteln, warum Geigen in der klassischen Musik zum Teil kultisch verehrte Instrumente sind.
Der Film beginnt im Wald mit dem Fällen eines Baumes. Nur das Holz von einem unter Tausend Bäumen eignet sich für eine gute Geige, erzählt der Geigenbaumeister Martin Schlecke.
Die Geige „Lady Inchiquin“ ist eine im Jahr 1711 gebaute Stradivari und rund 5,8 Millionen Euro wert. Der Virtuose Frank Peter Zimmermann spielte sie, bis die Bank, die sie ihm geliehen hatte, in Geldnot geriet und das Instrument verkaufen musste. Nach zwei Jahren bekam er die Geige zurück und die Kamera dokumentiert diese Wiedervereinigung. Bei all der Geigenverehrung in diesem Film bleibt Schulte sachlich und es gelingt ihm ein kleines Soziogramm von Menschen, die von und mit der Geige leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!