Koalition CSU und Freie Wähler: Eine wunderbare Männerfreundschaft
Bayern hat eine neue Regierung. Söder und Aiwanger sind nach wüsten Beschimpfungen im Wahlkampf nun ein Herz und eine Seele.
Denn auch hier wurden wenige Minuten zuvor neue Mitglieder in eine Art Männerbund aufgenommen. Der bayerische Ministerpräsident saß dort mit drei weiteren Herren, seinem Fraktionschef Thomas Kreuzer sowie den beiden Politikern der Freien Wähler, Hubert Aiwanger und Florian Streibl.
Vor ihnen die dunkelblauen Mappen, die sie so lange reihum reichten, bis jeder von ihnen unter jedes der Schriftstücke seine Unterschrift gesetzt hatte. Das Ergebnis: Die Freien Wähler, erst seit zehn Jahren überhaupt im Parlament, dürfen künftig mitregieren.
Somit ist es am Ende tatsächlich ein historischer Tag. Zumal es auch der Tag ist, an dem der bayerische Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt. Ein Landtag, der erstmals aus sechs Parteien besteht, der erstmals auch eine AfD in seinen Reihen ertragen muss.
Söder ist die krachende Niederlage nicht anzusehen
Und es ist der größte Landtag, den es in Bayern je gab: 205 Sitze hat er, 25 mehr als bisher. Es ist eng im Plenarsaal. Und es ist ein bisschen wie der erste Schultag: Die einen kommen aus den großen Ferien zurück, begrüßen sich, die anderen schauen erst mal, wo es langgeht.
Söder ist einer der Ersten, die sich im Saal einfinden, er unterhält sich mit ein paar Fraktionskollegen, posiert auch mal für ein Selfie. Helmut Markwort, einst Focus-Chef und jetzt FDP-Abgeordneter, begrüßt Ilse Aigner mit Küsschen, bevor er sich auf dem Platz niederlässt, der bald der ihre sein wird, dem der Parlamentspräsidentin.
Um 15.04 Uhr schwingt Markwort die Glocke, denn heute darf er, mit 81 Jahren Alterspräsident des Parlaments, die Sitzung eröffnen. Er doziert ein wenig über demokratische Spielregeln und verständliche Sprache, bevor schließlich die ersten Wahlen stattfinden. Am Dienstag soll dann bereits Markus Söder zum Ministerpräsidenten gewählt werden.
Der ist an diesem Montag gut gelaunt, strahlt, wirkt keinesfalls wie einer, der vor drei Wochen eine krachende Wahlniederlage eingefahren hat. „Die erste Koalition zwischen CSU und Freien Wählern, die es weltweit gibt“, scherzt Söder am Morgen im Akademiesaal und lobt dann das ausgehandelte Vertragswerk.
Aus dem Flirt könnte was Dauerhaftes entstehen
Der Auftrag des Wählers sei klar, Stabilität wolle er, andererseits auch Erneuerung und Veränderung. Die Koalition, die man hier in nur zweiwöchiger Verhandlung auf die Beine gestellt habe, sei „ein guter Kompromiss“, „ein schöner Kompass“.
Dass sich da wirklich zwei gefunden haben, dass aus dem Flirt vielleicht tatsächlich mehr, vielleicht sogar etwas Dauerhaftes entstehen könnte, wird deutlich, als Söder und Freie-Wähler-Chef Aiwanger dann zu den gegenseitigen Lobhudeleien ansetzen: Die Freien Wähler hätten viele gute Ideen eingebracht, erzählt Söder.
Die Zusammenarbeit mit ihnen werde die Regierung bereichern. Bereichern. Söder spricht nicht von einem schmerzlichen, aber notwendigen Kompromiss, nein, sondern von einer – Bereicherung? Sprich: Eine Regierung ohne Freie Wähler, also etwa eine CSU-Alleinregierung, wäre ärmer als eine mit ihnen? Meint er bestimmt nicht so. Sagt man halt so, der will bestimmt nur nett sein. Oder?
Auch Aiwanger hält sich mit freundlichen Worten nicht zurück, dankt der CSU für die gute Arbeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Man wolle jetzt offene Baustellen abarbeiten, aber schon auch an Bewährtem festhalten. Man müsse ja nicht ein Haus neu bauen, sagt Aiwanger, nur weil ein Dachziegel verrückt sei. Moment mal! Ein Dachziegel? Die Freien Wähler wollten so unbedingt in die Regierung einziehen, um einen Dachziegel geradezurücken?
Luft- und Raumfahrtprogramm darf bleiben
Nur mal so zur Erinnerung: Hubert Aiwanger, das ist der Mann, der Söder noch im Wahlkampf als Diktator beschimpft, ihm Größenwahn unterstellt und die CSU als korrupt hingestellt hat. Und Markus Söder, das ist der Mann, der in seiner ersten Regierungserklärung erklärte, Dialekt mache schlau, um dann mit Blick auf Aiwanger zu ergänzen, es gebe auch Ausnahmen. Das ist also nun der Beginn einer wunderbaren Männerfreundschaft.
„Für ein bürgernahes Bayern“ lautet der Titel des 62 Seiten langen Koalitionsvertrags, und zumindest der klingt wie der Slogan auf einem Wahlplakat der Freien Wähler. Es ist aber natürlich auch keiner, mit dem die CSU fremdeln würde.
Seehofer, der stets von der „Koalition mit dem Bürger“ sprach, spielt in der bayerischen Politik zwar kaum noch eine Rolle, aber auch seinem Ministerpräsidentennachfolger Söder macht in Sachen demonstrativ zur Schau gestellter Bürgernähe keiner etwas vor. Es sind nicht viele Menschen in Bayern, die von sich behaupten können, noch nie Söders Hand geschüttelt zu haben.
Was dem nahen Bürger nun blüht, ist nichts, was einem der Koalitionäre wehtun müsste. Grundlage des Koalitionsvertrags bleibt der Maßnahmenkatalog, mit dem Söder im Frühjahr in seiner erste Amtszeit gestartet ist. Seine Prestigeprojekte, etwa das Luft- und Raumfahrtprogramm, aber auch das Familiengeld und die bayerische Grenzpolizei, darf er behalten.
Grüner Erfolg findet sich auch in Plänen wieder
Bei ihrer Kernforderung nach kostenfreier Kinderbetreuung konnten sich die Freien Wähler durchsetzen. Auch die Straßenausbaubeiträge werden, wie von ihnen gefordert, abgeschafft. Und dass ihm die Freien Wähler für seine angekündigte bayerische Kavallerie statt der geplanten 200 nur 100 Pferde zugestanden haben – Söder wird’s verkraften. Dafür bekommt er mehr Polizeihunde. Und die umstrittene dritte Startbahn? Kommt erst mal fünf Jahre lang nicht. Und dann wird wieder gewählt.
Schwestern und Brüder, auf zur Sonne, auf nach Bayern: Diesen Artikel lest Ihr/lesen Sie im Rahmen des weißblauen Sonderprojektes der taz zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern. Unter der zünftigen Federführung des Obermünchners Andreas Rüttenauer haben sich nur die besten bayerischen Kräfte der taz an die Recherche gemacht: alle Texte. Ein Prosit auf Sie und auf uns!
Sogar der enorme Wahlerfolg der Grünen findet seinen Niederschlag im Koalitionsvertrag. „Bayern kann grüner werden – auch ohne die Grünen“, findet Söder. Gemeint ist damit etwa das Vorhaben, im umstrittenen Polizeiaufgabengesetz einen zentralen Kritikpunkt, den Begriff der „drohenden Gefahr“, einer Überprüfung zu unterziehen. Oder auch die Begrenzung des Flächenverbrauchs auf fünf Hektar. Allerdings bleibt es bei Absichtserklärungen.
Nur ein Satz, der steht da tatsächlich ohne Wenn und Aber: „Die Änderungen im Alpenplan werden wir rückgängig machen.“ Söder selbst hatte diese Änderungen als Heimatminister durchgesetzt, um die Skischaukel am Riedberger Horn zu ermöglichen.
Bei der Opposition stieß das Werk aus dem Hause Söder/Aiwanger erwartungsgemäß auf wenig Begeisterung. Von einer „schwarz-schwarzen Koalition“ sprach SPD-Landeschefin Natascha Kohnen, und der neue FDP-Fraktionschef Martin Hagen gratulierte: „Glückwunsch an Markus Söder! Er kann trotz seiner historischen Wahlniederlage die Politik der CSU-Alleinregierung nahtlos fortsetzen.“
Dreckiges Lachen von Söder
Katharina Schulze befand auf Twitter: „Die Menschen haben Aufbruch und Veränderung gewählt, und es gibt ein Weiter so.“ Eine bemerkenswerte Aussage, denn letzten Endes unterstellt die Grünen-Fraktionschefin den Wählern von CSU und Freien Wählern damit entweder, sie hätten aus Wunsch nach Aufbruch und Veränderung just diese Parteien gewählt, oder, sie seien keine Menschen. Schwer zu sagen, welche der beiden Thesen gewagter ist.
„Viel Spaß in der Regierung“, sagt Söder dann noch zu Aiwanger und lässt ein ziemlich dreckiges Lachen vernehmen. Es könnte gespielt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung