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Nahrungsmittel, die als Superfood gelten, sind besonders reich an Nährstoffen. Zum Teil sorgen aber erst zahlreiche Verarbeitungsschritte dafür, dass Superfood genießbar wird
Von Kristina Simons
Die Kiwibeere ist der neue Verkaufshit in den Regalen von Bio- und Supermärkten. Außen ähnelt sie der Stachelbeere, innen der Kiwi. Die auch Kiwai, Kokuwa, kleinfruchtige Kiwi oder Mini-Kiwi genannte Frucht wird als das neue Superfood gehandelt. Denn sie enthält mehr Vitamin C als Zitronen und außerdem reichlich Vitamin E, Folsäure und Mineralien wie Kalzium und Kalium. Die Kiwibeere hat noch einen weiteren Vorteil: Sie kommt zwar ursprünglich aus dem östlichen Asien von Japan bis Sibirien, wird aber heute auch in europäischen Ländern wie Frankreich, Italien, Portugal und Deutschland angebaut. Das ist ein entscheidender Pluspunkt gegenüber Superfoods wie Quinoa, Goji-Beeren oder Avocado, die erst den langen Weg aus Südamerika, Asien oder Südafrika nach Deutschland antreten müssen. Superfood liegt im Trend. Doch die langen Transportwege der meisten Superfoods sorgen für eine miserable Ökobilanz. Der exportorientierte und dadurch intensivierte Anbau hat zudem oftmals negative Folgen für die lokale Bevölkerung (siehe Kasten).
In vielen Herkunftsländern einer Reihe exotischer Superfoods leiden Kleinbauern und Bevölkerung unter dem gestiegenen Konsum in westlichen Ländern. Beispiel Avocado: Seit 2008 hat sich der Import allein nach Deutschland mehr als verdreifacht – von etwa 19.260 Tonnen auf aktuell rund 71.000 Tonnen. Der Anbau führt in Mittel- und Südamerika sowie in Südafrika inzwischen zu einem bedrohlichen Trinkwassermangel. Für ein Kilo Avocado – etwa drei Stück – braucht es rund 1.000 Liter Wasser. Veränderte Kultivierungsmethoden führen zudem zu Monokulturen und weniger fruchtbaren Böden. Lokale Umweltorganisationen wie Gira beklagen immer wieder, dass insbesondere in Mexiko inzwischen Wälder illegal gerodet werden, um Platz für Avocadofelder zu machen.
Unter Superfood werden besonders nährstoffreiche Lebensmittel zusammengefasst, vor allem aus dem Bereich Obst und Gemüse. Was genau darunter fällt, ist lebensmittelrechtlich nicht definiert, es handelt sich um einen Kunstbegriff. Beliebte Superfoods sind Açai-Beeren, Algen, Amaranth, Avocado, Chia-Samen, Goji-Beeren, Kokosmehl, Mandelmehl, Matcha-Tee, Moringa und Quinoa. Immer wieder kommen neue Produkte dazu, andere fallen heraus. Doch ihnen allen werden wahre Wunderkräfte zugeschrieben: Sie sollen das Abnehmen unterstützen, Depressionen heilen, gegen Erkältungen, Alzheimer und Krebs helfen. Erstmals tauchte der Begriff Superfood 2009 in einem US-amerikanischen Ernährungsratgeber mit dem Titel „Superfoods: The Food and Medicine of the Future“ auf, wie Harald Seitz vom Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) recherchiert hat. Auf dem deutschen Markt finden sich Superfoods verstärkt seit 2015.
Laut einer Untersuchung der Marktanalysten von Mintel stieg die Anzahl der eingeführten Lebensmittel- und Getränkeprodukte, die als Superfood, Superfruit und Supergrain bezeichnet werden, zwischen 2011 und 2015 weltweit um 202 Prozent. „Superfood wurde sehr schnell als Marketingidee übernommen – schlicht, weil sich damit Geld machen lässt und die Verkaufszahlen in die Höhe schießen“, erläutert Seitz. Dieser Marketingtrick funktioniere nach wie vor, weil der Begriff Orientierung gebe: „Verbraucher sind oftmals überfordert vom Informationsdschungel rund um Lebensmittel und deren Erzeugung.“ Die vielen, teils widersprüchlichen Infos verunsicherten und machten die tägliche Essensentscheidung schwer. „Da hilft der ‚Leuchtturm Superfood‘ – man kann vermeintlich nichts mehr verkehrt machen.“
Tatsächlich sind die Nahrungsmittel, die als Superfood gelten, besonders reich an bestimmten Nährstoffen. So haben Chia-Samen zum Beispiel etwa fünfmal so viel Kalzium wie Milch, einen hohen Gehalt an Antioxidantien und Ballaststoffen. Ebenso die Açai-Beere: Sie strotzt nur so vor Proteinen, Antioxidantien, Kalzium und Vitaminen. „Allerdings werden in Untersuchungen häufig viel höhere Nährstoffmengen zugrunde gelegt, als es unter Alltagsbedingungen der Fall wäre“, sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Gesundheitsfördernd wirken vor allem die sogenannten sekundären Pflanzenstoffe. Einige von ihnen senken das Krebsrisiko, andere sind gut für das Herz-Kreislauf-System. „Doch kein Lebensmittel allein enthält alle lebensnotwendigen Nährstoffe, die wir brauchen“, betont Gahl. Gesundheitsfördernd sei vielmehr eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung, man solle sich daher keine Wunder durch Superfood erhoffen. „Die Effekte, wie zum Beispiel Anti-Aging, Schutz vor Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Anregung des Stoffwechsels, sind größtenteils nicht wissenschaftlich belegt.“ Auch mögliche negative Wirkungen bestimmter Superfood-Produkte sind bislang nicht ausreichend erforscht. „Beispielsweise sollten pro Tag nicht mehr als 15 Gramm Chia-Samen verzehrt werden, und auch bei Nahrungsergänzungsmitteln auf Basis von Superfood ist Vorsicht geboten“, warnt Gahl. Hinzu kommt, dass Superfood, das auf der anderen Seite der Erde angebaut wird, aus Transport- und Lagerungsgründen meist verarbeitet wird, also getrocknet oder pulverisiert. Dabei gehen sehr viele Nährstoffe verloren. Zum Teil sorgen erst zahlreiche Verarbeitungsschritte dafür, das Superfood überhaupt genießbar wird. Dazu gehören beispielsweise Extraktion, Trocknung, Zugabe von Zucker oder Aromen. „Der positive Effekt ist dann oft dahin“, sagt Harald Seitz. „Ganz abgesehen vom schlechten CO2-Fußabdruck bei Exportware aus fernen Ländern.“
Vor allem aus ökologischen und sozialen Gründen sollte die Wahl deshalb auf heimische Produkte fallen, die wegen ihrer positiven Inhaltsstoffe inzwischen ebenfalls oft als Superfood bezeichnet werden. Sie sind zudem deutlich günstiger als die meisten exotischen Varianten. Heimische Alternativen zu Chia-Samen mit ihrem hohen Gehalt an Ballaststoffen und wertvollen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sind beispielsweise Leinsamen, Rapsöl und Nüsse. Statt Goji-Beeren tun es auch Paprika, Rosenkohl, Spinat, Brokkoli, Milchprodukte, Orangen und schwarze Johannisbeeren. Letztere haben übrigens mehr Vitamin C und achtmal weniger Kalorien als Goji-Beeren. Wichtige Nährstoffe der Açai-Beere enthalten auch Heidelbeeren, Sauerkirschen, schwarze Johannisbeeren, Holunder und einigen rote Traubensorten sowie grünes Gemüse.
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