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Der rechte Propagandakrieg

Wie Europas RechtspopulistInnen versuchen, mithilfe der Medien ihre Macht auszubauen – und dabei voneinander lernen

Illustration: Eléonore Roedel

Von Malene Gürgen, Patricia Hecht, Christian Jakob und Sabine am Orde

Es gibt kaum ein europäisches Land, in dem die RechtspopulistInnen nicht an Einfluss gewinnen. Ein wichtiger Teil ihrer Strategie: der Kampf um die öffentliche Meinung. Ein zentrales Mittel ist dabei der Angriff auf die freie Presse. Stellt man sich diesen Angriff als kontinuierliche Entwicklung vor, steht Deutschland noch ziemlich am Anfang, weit fortgeschritten ist sie in Ungarn. Dazwischen liegen Frankreich, Italien, Österreich, Polen.

Die AfD beobachtet die erfolgreichen Strategien der Rechten in anderen Ländern mit großem Interesse – die des Rassemblement National in Frankreich, der früher Front National hieß und dessen Chefin Marine Le Pen im vergangenen Jahr nur knapp die Präsidentschaft verfehlte.

Der Lega in Italien, seit dem Sommer Teil der Regierung. Der österreichischen FPÖ, seit gut einem Jahr Koalitionspartner in Wien. Der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit 2015 Polen allein regiert. Und der Fidesz in Ungarn, die seit 2010 mit Viktor Orbán den Regierungschef stellt.

Die öffentlich-rechtlichen Medien unter Kontrolle bringen, die privaten diffamieren und unter Druck setzen – das ist ein Teil der Medienstrategie von Europas RechtspopulistInnen. Ein weiterer ist der Aufbau einer eigenen Medienlandschaft, die sie Gegenöffentlichkeit nennen. Das Praktische für die RechtspopulistInnen: All dies geht Hand in Hand. Denn je mehr die Glaubwürdigkeit der etablierten Medien untergraben wird, desto bessere Chancen haben die rechten Propagandaorgane, Gehör zu finden.

1. Tägliche News aus der Migrationshölle: Wenn der ungarische Staatsfunk sendet

Eine Frau, die scheinbar im Vorraum einer Kirche steht. Zwei dunkelhaarige Männer, die hereinstürmen und die Frau niederschlagen. „Allahu Akbar“-Rufe aus dem Off. Und der Schriftzug: „Europa 2017 – wollen wir das wirklich?“ Die Botschaft ist klar: Muslimische Männer greifen unschuldige christliche Frauen an.

Das Video wurde im März bei Origo hochgeladen, einer der reichweitenstärksten Onlinezeitungen Ungarns. Doch es spielt nicht in Europa und die Tat ist nicht islamistisch motiviert. Zu sehen ist ein Raubüberfall in den USA im Jahr 2015. Das ungarische Partnermedium der taz, hvg, hat das im März enthüllt. Das Video ist Hunderttausende Male geklickt worden. Es steht noch immer online – und es ist eine bewusste Falschmeldung.

Origo war früher regierungskritisch und deckte Korruption im Umfeld von Regierungschef Viktor Orbán auf. Dass es damit vorbei ist, hat nicht nur mit ungarischer Politik, sondern auch mit deutschen Wirtschaftsinteressen zu tun: Origo gehörte der ungarischen Telekom, einer 100-prozentigen Tochter des deutschen Unternehmens. Im Dezember 2015 verkaufte die Telekom das Onlineportal an das fidesz-nahe Unternehmen New Wave Media.

Eine Win-win-Situation: Die Telekom bekam kurz darauf Mobilfunkfrequenzen und einen milliardenschweren staatlichen Auftrag zum Ausbau des Breitbandnetzes. Und der neue Inhaber, ein enger Freund Orbáns, brachte Origo auf Regierungslinie. So oder so ähnlich erging es zahlreichen Medienunternehmen.

Andere oppositionelle Medien wurden dichtgemacht. 2016 wurde die linksliberale Népszabadság über Nacht eingestellt, bis dahin die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung Ungarns. In April 2017 musste die konservative Magyar Nemzet schließen – die letzte überregionale Tageszeitung, die nicht von der Regierung kontrolliert wurde oder einem Vertrauten Orbáns gehört.

Nirgends sind die Angriffe der europäischen RechtspopulistInnen auf die freie Presse weiter vorangeschritten als in Ungarn. Hier werden Falschmeldungen, Propaganda und rassistischer Hass von Medien verbreitet, die entweder direkt vom Staat kontrolliert werden oder bereits auf Regierungskurs gebracht worden sind.

Im April 2011 ist der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, bereits damals prominenter Orbán-Gegner, zu Besuch in Budapest. Ein Reporter fragt ihn auf einer Pressekonferenz nach seinen angeblichen pädophilen Neigungen. Im öffentlich-rechtlichen ungarischen Fernsehen stürmt Cohn-Bendit nach dieser Frage aus dem Saal. Tatsächlich aber hat er die Frage beantwortet – und noch eine weitere halbe Stunde mit den JournalistInnen gesprochen.

Den Beitrag fürs Fernsehen hat Dániel Papp verfasst, ehemaliger Sprecher der rechtsextremen Partei Jobbik. Nach dem manipulierten Schnitt wird er zum Nachrichtenchef befördert. Seit Oktober 2018 leitet Papp den kompletten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Ungarn, den „Media Services and Support Trust Fund“ (MTVA).

Der MTVA ist der ungarischen Medienbehörde unterstellt, die vom Parlament nach dem Vorschlag des Ministerpräsidenten gewählt wird. Die Gruppe bekommt für ungarische Verhältnisse unerhört viel Geld: 250 Millionen Euro im letzten Jahr.

Schon seit der Regierungsübernahme 2010 hat Orbán die öffentlich-rechtlichen Medien neu organisiert und zum Staatsfunk umgebaut. Fernsehsender, Radioanstalten und die Presseagentur verloren ihre Eigenständigkeit. Alle Nachrichten werden heute zentral produziert und an verschiedene Plattformen verteilt. Eine einzige Redaktion beliefert fünf Fernsehkanäle, vier Radiosender und bietet gratis Agenturberichte an. Die private ungarische Konkurrenzagentur ging deshalb pleite. Heute gibt es in ungarischer Sprache nur Agenturberichte vom MTVA. Die Folge: Nachrichten bestehen vor allem aus dem Lob der Regierung und Neuigkeiten aus der angeblichen Mi­grantenhölle Westeuropa.

Dabei helfen RechtspopulistInnen einander medial auch schon mal länderübergreifend aus. Während des Wahlkampfs wies der ungarische Außenminister die Botschaften an, negative Geschichten über MigrantInnen in anderen EU-Ländern zu sammeln. Die Staatsmedien nahmen diese Themen auf. Beliebtes Horrorszenario: Deutschland.

Europe’s Far Right

Das Projekt

Wie stellt sich Europas Rechte für die EU-Wahl im Mai 2019 auf? Dieser Frage wird sich die taz in den nächsten Monaten schwerpunktmäßig widmen. Dafür hat sie gemeinsam mit fünf Partnermedien den Rechercheverbund „Europe’s Far Right“ gegründet: Wir recherchieren gemeinsam, tauschen uns aus und veröffentlichen die Ergebnisse dann gleichzeitig in Beiträgen, die auf die LeserInnenschaft der einzelnen Länder zugeschnitten sind. Online finden Sie das Projekt künftig unter taz.de/efr. Bei der grafischen Umsetzung und der Online-Präsentation haben uns die Agenturen Infotext Berlin und Zoff Collective geholfen.

Die Finanzierung

Recherche kostet Geld. Geld, das gerade bei denjenigen unserer Partnermedien, die von den Regierungen finanziell unter Druck gesetzt werden, immer öfter fehlt. Wir freuen uns deswegen, dass wir mehrere externe Förderer für unser Projekt gewinnen konnten: Die Mercator-Stiftung unterstützt uns mit ihrem „Fleiß und Mut“-Stipendium, von der Robert-Bosch-Stiftung haben wir das Stipendium „Reporters in the Field“ erhalten, das grenzüberschreitende Recherchen fördert. Auch die Otto-Brenner-Stiftung, die in diesem Jahr bereits unser Rechercheprojekt „Netzwerk AfD“ förderte, ist wieder dabei. Pressefreiheit, gerade auch jenseits von Deutschland, ist eins der Kernthemen der taz Panter Stiftung, die das Projekt deswegen ebenfalls unterstützt.

Dorthin blickt am 20. März 2018, kurz vor den ungarischen Wahlen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk. In dem Bericht klagt ein scheinbar zufällig ausgewählter Mann, dass er seine Wohnung aufgeben musste, weil dort MigrantInnen einquartiert wurden. Eine Frau berichtet, sie gehe nur noch bewaffnet mit Pfefferspray aus dem Haus. Die angeblichen PassantInnen sind jedoch AfD-Politiker. Eine aus Ungarn stammende Journalistin, die inzwischen beim deutschen Rechercheportal Correctiv arbeitet, wies nach, dass im Staatsfernsehen auf diese Weise mindestens siebenmal AfD-PolitikerInnen zu Wort kamen, ohne ihre Parteizugehörigkeit zu benennen.

Die Journalistin hat früher selbst als Deutschland-Korrespondentin für den ungarischen Rundfunk gearbeitet. Als der zuständige Redakteur aus einem Bericht über die AfD einfach den Satz „In den Reihen der AfD finden sich auch Rechtsextreme“ herausschnitt, stellte sie ihre Arbeit ein.

2. „Lebenszeitverschwendung“: die Diffamierung der etablierten Medien

Anfang September 2018: AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, Fraktionschef in Thüringen, ist im oberbayerischen Peiting zu Gast. Er steht auf der Bühne, hält die aktuelle FAZ hoch und liest die Schlagzeile vor: „Teile der AfD werden vom Verfassungsschutz beobachtet“, steht da. Eine „Falschmeldung“ sei das, ruft Höcke in den Saal. Die Landesverbände der Jugendorganisation, um die es hier geht, seien formaljuristisch nicht Teil der AfD. Doch natürlich kann man die Junge Alternative als Teil der AfD bezeichnen, die Schlagzeile ist korrekt. Aber Höcke geht es ohnehin um mehr: „Tagespresse zu lesen ist Lebenszeitverschwendung“, sagt er in Peiting. Und: „Ich empfehle: Kündigen Sie Ihre Zeitung!“

Am Tag zuvor hatte AfD-Chef Jörg Meuthen auf dem Marktplatz im niederbayerischen Hengersberg geredet, Landtagswahlkampf. Gerade erst war ein Teil der AfD-Spitze in Chemnitz gemeinsam mit Neonazis marschiert. „Ich bin stolz auf viele dieser Menschen, die in Sachsen auf die Straße gegangen sind“, sagt Meuthen. Gewalt, rassistische Beschimpfungen und Hitlergrüße aber lehne er ab. „Einen Journalisten haben wir überführt“, sagt Meuthen: „Der hat in Chemnitz den Hitlergruß gezeigt und dann wird das mit uns in Verbindung gebracht.“ Dass diese Geschichte, die im Netz kursiert, erfunden ist, ist zu diesem Zeitpunkt schon klar. Auf Nachfrage der taz räumt Meuthen später ein, dass er eine Falschinformation verbreitet hat: „Eine nachträgliche Überprüfung hat ergeben, dass das so nicht stimmt.“

Diese Verleumdung der „Mainstreammedien“ zeugt von Doppelmoral: Natürlich weiß die AfD, dass sie auf die klassischen Medien nicht verzichten kann. Ein Titel in der Bild zu ihrem Lieblingsthema „Gewalt von Migranten“ ist Gold wert. Ein Auftritt von Meuthen in der ARD-Talksendung „Hart aber fair“, ein Gastbeitrag von Gauland in der FAZ, ein Interview mit Weidel in den „Tagesthemen“ – unbezahlbar. Trotzdem tut die AfD alles, damit die Menschen das Vertrauen in die eta­blierten Medien verlieren.

Laut der Forsa-Jahresumfrage vertrauten zuletzt nur noch 40 Prozent der Befragten der Presse insgesamt. Als die Flüchtlingszahlen in den 1990er Jahren nach oben schnellten, stimmten die Republikaner, die Bild und der Spiegel denselben Sound an, druckten Bilder überfüllter Schiffe. Viele glauben, dass die großen Medien so den Pogromen jener Zeit den Weg mit bereiteten. Als 2015 die Flüchtlinge kamen, war der Tonfall jedoch zunächst ein anderer. Sogar Bild-Chef Kai Diekmann ersetzte sein privates Profilbild auf Twitter durch ein „Refugees Welcome“-Logo. Für die Rechten war das „Volksverrat“.

Merkel hätte, so deren Lesart, ihre Flüchtlingspolitik niemals so lange durchhalten können, wenn die Medien sie dabei nicht gestützt hätten. Auf den islamfeindlichen Pegida-Demos beschimpfen die RednerInnen oft gleich zu Beginn die Medien, beim gemeinsamen Skandieren von „Lügenpresse“ kommt Stimmung auf. Kamerateams müssen heute teils mit Sicherheitsleuten zum Dreh nach Dresden fahren.

Die AfD bedient sich vielfältiger Mittel, um ihren Teil zur Delegitimierung der Medien beizutragen. Mal werden manche, mal pauschal alle Medien als „Lügenpresse“ diffamiert. Mal die Presse insgesamt von Parteitagen ausgeschlossen, mal einzelne nicht genehme JournalistInnen nicht akkreditiert. Auch kommt es vor, dass AfD-PolitikerInnen vom Podium aus einzelne JournalistInnen auf Pressekonferenzen oder AfD-Veranstaltungen gezielt angehen. Zuletzt war der Angriff auf die Presse fester Bestandteil im bayerischen Landtagswahlkampf.

In Frankreich ist die Situation anders: Seit Marine Le Pen 2011 den Vorsitz des Front National von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernommen hat, bemüht sich die Partei um einen Imagewechsel. Um für breitere Schichten wählbar zu werden, versucht sie sich in einem weniger aggressiven Ton. Teil davon ist, dass der Front National sich im Juli in Rassemblement National (RN) umbenannt hat. Sammlungsbewegung klingt versöhnlicher als Front. Teil davon ist auch, dass Marine Le Pen darauf verzichtet, Medien direkt anzugreifen. Der Ruf der Presse ist in Frankreich insgesamt noch deutlich besser als in Deutschland oder Österreich, verbale Angriffe auf JournalistInnen bedeuten deswegen auch ein höheres politisches Risiko.

Das bedeutet aber nicht, dass das Verhältnis zwischen RN und der französischen Presse gut wäre. Einzelne JournalistInnen und Medien, die besonders unliebsame Artikel veröffentlichen, werden sehr wohl angegriffen. Als die Libération, unser französisches Partnermedium, über sexuelle Belästigung durch einen RN-Politiker berichtete, bezeichnete Le Pen die Zeitung als „fachlich äußerst unprofessionell und menschlich würdelos“.

Auch in Frankreich gibt es unzählige Onlinemedien, Blogs und Internetseiten, auf denen genau die rechten und verschwörungstheoretischen Inhalte verbreitet werden, mit denen sich WählerInnen für den RN gewinnen lassen. „Fachosphère“ heißt diese Medienlandschaft in Frankreich. Dort wimmelt es nur so vor Diffamierungen der etablierten Medien, die dort nur „merdias“ genannt werden, eine Kombination der französischen Wörter für Medien und Scheiße. Eine Arbeitsteilung, die offenbar gut funktioniert: Marine Le Pen kann die Sauberfrau geben, die Schlammschlachten führen andere für sie

3. Sie nennen es Gegenöffentlichkeit: der Aufbau rechter Alternativmedien

Raum 6630 im Berliner Jakob-Kaiser-Haus, eines der Gebäude im Regierungsviertel, in denen die Büros der Bundestagsabgeordneten und ihrer MitarbeiterInnen untergebracht sind. „Social Media Studio“ steht auf dem Schild neben der Tür.

In dem kleinen Raum dahinter sind vor einer blauen Stellwand mit dem Schriftzug der AfD-Bundestagsfraktion eine Kamera und ein Scheinwerfer aufgebaut, daneben steht ein sogenannter Greenscreen, auf den verschiedene Hintergründe projiziert werden können. Dazu ein kleiner Schreibtisch mit einem Laptop darauf, dahinter ein Mitarbeiter – fertig ist das, was die AfD gern ihr Fernsehstudio nennt. „AfD-TV“, wie das Ganze heißt, soll nach österreichischem Vorbild aufgebaut werden.

„Hier nehmen wir einen Teil unserer Videos auf“, sagt Jürgen Braun, der als zweiter Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Bundestag verantwortlich für den Medienbereich ist – und damit für etwas, das Fraktionschefin Weidel im Februar als „Newsroom“ angekündigt hat. Von dort will die AfD ihre PR verbreiten, gesendet werden soll laut Weidel 24/7. Ob das klappen wird, ist fraglich: Für den gesamten Bereich Social Media sind gut zehn Planstellen vorgesehen, von denen mehr als gedacht für die Moderation von Kommentaren gebunden sind, sagt Braun. Man müsse die „Trolle oder Provokateure“ ja unter Kontrolle halten.

Was die AfD mit ihrem Newsroom und mit AfD-TV vorhat, damit hält sie nicht hinterm Berg: „Unser ambitioniertes Fernziel ist es“, sagt Alice Weidel, „dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen.“

Mai 2017, ein Altbau in der Schlösselgasse im achten Wiener Bezirk, das Haus gehört der Burschenschaft Gothia. Die deutsche RTL-Reporterin Stefanie Albrecht klingelt an der Tür. Sie hat sich undercover als neue Mitarbeiterin eingeschleust und lässt eine versteckte Kamera mitlaufen.

Alexander Höferl nimmt sie in Empfang. Der ist damals PR-Chef der FPÖ und inoffizieller Chefredakteur der Propagandaseite unzensuriert.at. Die Seite hat 2017 einen deutschen Ableger gegründet. Deswegen ist RTL-Frau Albrecht hier. Sie fragt: „Was ist das Ziel der deutschen Seite?“ „So weit können wir das ja zugeben“, antwortet Höferl: „Im Prinzip wollen wir versuchen, dass wir uns mittelfristig vor allem gegenüber der AfD ähnlich positionieren, wie wir in Österreich gegenüber der FPÖ positioniert sind – eine reine Positiv-Berichterstattung zu fahren.“

Was man sich darunter vorzustellen hat, zeigt Albrecht anhand einer „unzensuriert“-Meldung über Hamburg: Im Mai 2017 hatte eine Lokalzeitung dort von der ersten „Zwangsvermietung“ von sechs Wohnungen berichtet. Der Bezirk Mitte hatte sie treuhänderisch sanieren und vermieten lassen, weil der Besitzer sie verkommen ließ, das ist erlaubt. Auf dem rechten Portal „Pressefreiheit 24“ wird daraus: „Es ist so weit: Staat beschlagnahmt Wohnungen zur Unterbringung von Migranten.“

Dass Flüchtlinge die Wohnungen bekamen, ist eine Erfindung. Undercover-Reporterin Albrecht fragt Chefredakteur Höferl: „Müssen wir da nicht noch mal nachhaken?“ Höferl titelt bei „unzensuriert“: „Hamburg: Wohnungen zur Unterbringung von Migranten zwangsweise beschlagnahmt.“

Beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz heißt es über „unzensuriert“, die veröffentlichten Inhalte seien „zum Teil äußerst fremdenfeindlich“ und wiesen „antisemitische Tendenzen“ auf. Außerdem vertrete „unzensuriert“ „verschwörungstheoretische Ansätze“.

Bedenklich aber ist vor allem: „unzensuriert“ ist kein rechtes Verschwörungsmedium am Rand der Presselandschaft. Die Seite hat beste Verbindungen zur österreichischen Regierung. Gegründet wurde „unzensuriert“ vom FPÖ-Politiker Martin Graf, damals Nationalratspräsident. Der ehemalige „unzensuriert“-Chefredakteur Höferl ist inzwischen im Zentrum der Macht angekommen. Er ist Pressesprecher des FPÖ-Innenministers.

Neben ihrer eher unbedeutenden Parteizeitung Neue Freie Zeitung gibt es seit vielen Jahren Medien im Umfeld der FPÖ, die ihr offiziell nicht gehören, aber unter ihrem Einfluss stehen: Die Wochenzeitung Zur Zeit, die Monatszeitung Aula, die Magazine Info direkt, Wochenblick, Der Uhrturm, alles roger? und eben „unzensuriert“.

In diesen Redaktionen arbeiten FPÖler und extrem rechte Burschenschafter. Es wird von einer „Vorbürgerkriegsphase“ und „rassischer Durchmischung“ geraunt, KZ-Häftlinge werden diffamiert, auf Titelseiten wird verlangt: „Wir brauchen einen wie Putin“. Die Publikationen strotzen nur so vor Migrantenhass, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit – und sind die PR-Armada für die FPÖ.

4. Ganz einfach auf Sendung gehen: Facebook

Etablierte Medien auf Linie bringen, Öffentlich-Rechtliche kontrollieren und eigene Publikationen aufbauen – so beeinflusst die FPÖ die öffentliche Meinung nach ihren Vorstellungen. Das wichtigste Instrument, um ihre Botschaften zu streuen, sind jedoch die sozialen Medien.

Parteichef Heinz-Christian Strache bringt es auf über 766.000 Follower auf Facebook, der Verkehrsminister Norbert Hofer hat 333.000, die Facebookseite der Partei hat 117.000. Auffällig ist das Zusammenspiel zwischen der Strache-Facebookseite, den Facebookseiten der FPÖ-nahen Medien und den Boulevardzeitungen, besonders krone.at, dem Online-Ableger der größten österreichischen Boulevardzeitung.

krone.at-Chefredakteur Richard Schmitt hat selbst zugegeben, wie sehr seine Seite von der hohen Facebook-Reichweite von Strache profitiert: „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen.“

So verwundert es nicht, dass auch FPÖ-TV vor allem über Facebook verbreitet wird. In einer guten Woche erreicht FPÖ-TV über die Facebookseiten der FPÖ-Spitzen nach eigener Aussage bis zu 10 Millionen FacebooknutzerInnen.

Ein Vorbild für Mario Hau, der das Social-Media-Team der AfD leitet – und damit für AfD-TV zuständig ist. Sein Team, sagt Hau, produziere ein bis zwei Videos durchschnittlich am Tag. Das erfolgreichste bislang: Ein Video von Fraktionschefin Weidel zum Tod der ermordeten Susanna F. Darin wirft Weidel Kanzlerin Angela Merkel vor, am Tod des Mainzer Mädchens mitschuldig zu sein. 6,8 Millionen Mal wurde das Video allein auf Weidels Facebookseite aufgerufen, Hau geht davon aus, dass mehr als 10 Millionen Menschen es gesehen haben.

Hau hat vor zwei Jahren gemeinsam mit dem späteren AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul in Eigenregie „AfD-TV Rheinland-Pfalz“ gegründet – daraus hat sich später das bundesweite AfD-TV entwickelt. Wie das geht, hat Joachim Paul bei „unzensuriert“ gelernt. Er habe, hat Paul der NZZ erzählt, dort einige Zeit als „Mädchen für alles“ gewirkt.

Auch direkt mit der FPÖ wird der Austausch gepflegt. So hat etwa der engste Mitarbeiter von Fraktionschefin Weidel, der auch für die Pressearbeit zuständig ist, zuvor bei der FPÖ gearbeitet. Wäre es nach Weidel gegangen, hätte die Fraktion heute auch eine Geschäftsführerin mit FPÖ-Vergangenheit: Martina Schenk. Weidel konnte sich mit dieser Personalie aber nicht durchsetzen.

Weidel hat von der Führungsriege der AfD auf Facebook die meisten Follower: 245.000 Menschen haben ihre Seite abonniert. Bei Parteichef Meuthen sind es 109.000, Bea­trix von Storch hat 96.000 AbonnentInnen. Klingt nach viel, ist es im rechtspopulistischen Europa-Vergleich aber noch lange nicht: Marine Le Pen hat anderthalb Millionen Follower, Matteo Salvini von der italienischen Lega sogar mehr als drei Millionen.

5. „Unbedingt neutralisieren“: der Feldzug gegen die Öffentlich-Rechtlichen

Ein Dienstagabend im April, beim „Unternehmerempfang“ der AfD im Erfurter Landtag. Die Gäste sitzen an runden Tischen, auf denen weiße Decken liegen und Blumengestecke stehen. Vorn am Redepult steht Elmar Podgorschek, Landrat der FPÖ aus Oberösterreich und Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei. Sein Thema an diesem Abend lautet: „Was die AfD von der FPÖ lernen kann“. Ein Video des Vortrags hat die AfD im Netz hochgeladen. Fast 100 Leute seien gekommen, heißt es auf Nachfrage.

Podgorschek hat für seine deutschen FreundInnen zahlreiche Tipps mitgebracht – auch für den Umgang mit den Medien. „Was wir aus meiner Sicht unbedingt durchführen müssen, ist eine Neutralisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, sagt er an diesem Abend. „Auch auf die Gefahr hin, dass uns eine sogenannte Orbanisierung vorgeworfen wird. Das müssen wir durchziehen.“ Applaus an den runden Tischen.

Björn Höcke

2007 startete die FPÖ die Initiative „Weg mit den ORF-Gebühren“. Nach dem Regierungsantritt postet Heinz-Christian Strache ein Bild des ORF-Moderators Armin Wolf mit folgendem Text: „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“

FPÖ-Politiker Norbert Steger droht kurz darauf: „Auch von den Auslandskorrespondenten werden wir ein Drittel streichen, wenn diese sich nicht korrekt verhalten.“ Der ORF hat seiner Meinung nach zu orbán-kritisch über die Wahlen in Ungarn berichtet.

Kurz darauf wird Steger mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP zum neuen Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrats gewählt, des Aufsichtsgremiums des Senders. Das Gremium wählt die ORF-Führungsspitze und genehmigt das Budget.

Zeigt das schon Wirkung? Der Kultursender ORF III jedenfalls begleitete jüngst Vizekanzler Heinz-Christian Strache ins Fitnesscenter. Der FPÖ-Mann darf seinen Körper präsentieren und erzählen, wie er seinen Bauchspeck mit einer Low-Carb-Diät wieder loswerden will.

In Polen begann der Krieg gegen die öffentlich-rechtlichen Medien bereits wenige Wochen nach Regierungsübernahme. Seit drei Jahren regiert die PiS das Land, im Parlament kann sie auf eine absolute Mehrheit zählen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP und der Rundfunk Polskie Radio wurden zum ersten Opfer der Regierungspartei: Ein Gesetz, das der Regierung die volle Kontrolle über die Staatsmedien übertrug, wurde innerhalb weniger Sitzungstage verabschiedet und trat sofort in Kraft.

Seit Januar 2016 sind die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen deshalb nur noch Hülsen: Mehr als 200 polnische JournalistInnen wurden aus Rundfunk und Fernsehen entlassen oder zum Rücktritt gezwungen. Stattdessen wurden MitarbeiterInnen der mit der regierenden Partei verbundenen kleineren Fernsehsender und Internetportale eingestellt. In Nachrichtensendungen loben sie die Arbeit der „guten Regierung“, die das Land wieder aufrichten wolle.

6. Besser „ganz leise sein“: der Druck auf die Privaten

Im September 2018 wird eine „für den internen Gebrauch“ bestimmte Mail von Christoph Pölzl, Ressortsprecher im österreichischen Innenministerium, an die Landespolizeidirektionen bekannt. Pölzl verlangt darin, die Kommunikation mit „kritischen Medien“ auf „das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken“.

Ein wichtiger Hebel für die Einflussnahme der Rechten auf die Medien sind zudem staatliche Anzeigen: Im Juli etwa droht der Sprecher von FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer dem Chefredakteur unseres Partnermediums Falter, angesichts staatlicher Inserate im Falter solle dieser „eher leise“ sein.

Seit die FPÖ an der Regierung ist, werden die Regierungsinserate anders verteilt. Innenminister Kickl beispielsweise gab kürzlich 1,25 Millionen Euro für eine Anzeigenkampagne aus, um PolizeianwärterInnen zu rekrutieren. Das meiste ging an unkritische Boulevardzeitungen, die Qualitätstageszeitungen Standard und Presse bekamen nichts. Für insgesamt 15.200 Euro schaltete Kickls Ministerium dafür Inserate in extrem rechten Medien. Verkehrsminister Hofer gab 45.000 Euro für eine Kampagne zur Heraufsetzung des Tempolimits aus, rund 21.000 Euro bekam Wochenblick, ein FPÖ-nahes Blatt.

Einfluss nehmen, indem staatliche Anzeigen neu verteilt werden: Diese Strategie scheinen sich die ÖsterreicherInnen in Ungarn und Polen abgeschaut zu haben. Bereits seit dem Frühjahr 2016 schaltet die Regierung keine Anzeigen mehr in der Gazeta Wyborcza, dem polnischen Partnermedium der taz. Dasselbe gilt für Anzeigen von Unternehmen, die von der Regierung kontrolliert werden. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage musste die Wyborcza bereits JournalistInnen entlassen.

Gegen den bekannten Journalisten Tomasz Piątek, Kolumnist der Gazeta Wyborcza, ging der polnische Staat juristisch vor. Piątek hat ein vielbeachtetes Buch über merkwürdige Verbindungen zwischen Polens Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der russischen Mafia und den Geheimdiensten veröffentlicht. Dann prüfte die Militärstaatsanwaltschaft, ob Piątek versucht habe, mit dieser Veröffentlichung den Verteidigungsminister zu verleumden und „Gewalt“ auf ihn auszuüben. Das Verfahren ist eingestellt.

Piątek erhielt nun den renommierten Leipziger „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“. „Trotz immer schwierigerer Bedingungen für Journalisten lässt sich Tomasz Piątek auch durch Drohungen in seiner investigativen Arbeit nicht einschüchtern“, lautet die Begründung der Jury.

Derzeit arbeitet das polnische Kultusministerium zudem an einem neuen Mediengesetz, das die privaten Medien in Polen wieder in polnische Hände überführen soll. Das würde bedeuten, dass beispielsweise der Axel-Springer-Verlag, Besitzer mehrerer Pressetitel in Polen, per Gesetz dazu gezwungen würde, die Anteile seiner Medien an polnische Unternehmen zu verkaufen. Nach ungarischem Vorbild ist zu vermuten, dass diese Unternehmen mit der Regierung verbunden wären: Der erzwungene Ausverkauf wäre eine feindliche Übernahme.

Ein Ausblick

Die Situation in Deutschland ist bisher eine andere. JournalistInnen können frei arbeiten, müssen keine Verfolgung fürchten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird nicht ernsthaft in Frage gestellt.

Die Abwehrmechanismen der Zivilgesellschaft funktionieren noch. Die an Orten wie Chemnitz aufscheinende Pogromstimmung bleibt hierzulande nicht unbeantwortet. Gleichwohl schürt die propagandistische Verdammung von Flüchtlingspolitik, offener Gesellschaft und Europa die Feindschaft gegen die Eliten, gegen JournalistInnen und gegen MigrantInnen.

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