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Die WahrheitDer Echse des Bösen auf der Spur

Die Georgien-Woche der Wahrheit: Eine Reise in die Abgründe des Weltversuchslabors am Kaukasus, wo alle Verschwörungen erfunden werden.

Illustration: Kittyhawk

Im Abitur und bei Jauchs Millionenquiz gilt derselbe Stoßseufzer: „Hoffentlich kommt keine Georgien-Frage!“ Wie die da sprechen, ob dieses Abchasien irgendwann Wiederdranchasien ist und wie es mit Ostwessetien weitergeht, weiß doch niemand. Aber erst recht kennt niemand die unglaubliche, die wahre Wahrheit über das kleine Land zwischen Asien und Europa, zwischen Kaukasus und Kaba fit, zwischen Reis und Nudeln, zwischen Wasser und Meer. Und genau deshalb wollten wir es wissen: Was ist dieses Georgien?

Am Anfang unserer Aufklärungsreise stand eine rätselhafte römische Nachricht. „Dieser Anruf vernichtet sich in fünf Sekunden selbst. Ihr müsst sofort herk … bssss!“ Der gute alte Dan, unser Verbindungs-Brownie im Vatikan – immer für Effekte zu haben! Was er in der Poststelle abgefangen hatte, ließ uns allerdings den Atem stocken: 1962 war in der georgischen Hauptstadt Tiflis ein Päckchen an den damaligen Papst Johannes XXIII. aufgegeben worden, das die italienische Post aus unerfindlichen Gründen erst jetzt zugestellt hatte. Es enthielt ein Video, das Menschen zeigt, die mit Smart­phones telefonieren. Im Jahr 1962!

Dan vermittelte uns einen konspirativen Kontakt nach Georgien. Treffpunkt war der Kaukasische Kreidekreisverkehr. Nichts wie hin! Tiflis calling! Nur eine gute halbe Stunde nach unserer Ankunft fuhr ein schwarzer Ro 80 vor. Ohne es zu wissen, waren wir damit bereits mittendrin im Thema: Der im Ro 80 verbaute Wankelmotor war ein Prototyp des Hybridantriebs. Leider klappte die Umstellung von Benzin- auf Elektroantrieb noch nicht, der Motor wusste einfach nie so recht, wo es langging, das Gerät war wirklich allzu wankelmütig.

Jetzt steigen wir ein, und die rasante Fahrt beginnt. Der Fahrer ist nicht zu erkennen. Verdunkelte Scheiben. Als wir wieder zu uns kommen, steht das Fahrzeug. Auf dem Armaturenbrett prangt nun Ro 60. Der Höhenmesser zeigt minus 450 Meter. Ein gut ausgeleuchteter Bergwerksstollen erstreckt sich vor uns. Auf dem Boden Kreidepfeile und der Hinweis: „Zum Whistle­blower“. Was wird hier gespielt? Werden wir hier etwa benutzt?

Informant im Schuppenkleid

Unser Informant – laut Namensschild: B2Y – hat eine ungesund grüne, schuppige Haut. „Ihr habt die Gerüchte über meine Halbschwester Angela und ihren Echs-Appeal sicher auch immer als krude Verschwörungstheorie abgetan, oder? Tja … Es war aber eher ein aus dem Ruder gelaufenes Experiment für Hollywood als die große Weltverschwörung der Echse des Bösen.“ Er berührt einen großen roten Knopf in der Rückwand seiner Zelle – und es öffnet sich der Blick auf einen riesigen, hell erleuchteten Laborkomplex.

„Georgien ist kein Land“, eröffnet B2Y uns fast beiläufig. „Wir sind das Welttestlabor. Wir arbeiten im Auftrag des Weltindustrieverbands. Und die Georgien AG hat einen geheimen Sitz im Weltsicherheitsrat – mit doppeltem Vetorecht. Na, schaut euch erst mal um.“

Direkt vor uns betätigen frustriert dreinschauende Wissenschaftler einen 4-D-Drucker. Auf dem Display leuchtet aber immer nur „Temporarily not available“ auf – und dann immer abwechselnd: „Yesterday I was“ und „Maybe tomorrow“.

„Funktioniert nicht!“, murmelt B2Y. „Taucht aber sicher trotzdem bald auf euren Märkten auf.“ Noch scheint er unsere komplette Verwirrung nicht zu bemerken, eifrig lotst er uns zum Labor für Mobilitätskonzepte. „Nach dem Erfolg mit der Arche haben wir vieles ausprobiert. Nicht alles hat funktioniert.“ So habe der Zappelin einfach zu unruhig in der Luft gelegen und der Fahrschrauber zu viel Platz beim Abbiegen gebraucht.

Tanz und Tresterbrand

„Aber – wieso? Seit wann? Und wieso weiß das niemand?!“ Wahllos stammeln wir unsere Fragen heraus. B2Y scheint zu begreifen, dass es systematischer vorgehen muss. Es erzählt uns, dass am Anfang die unbekümmerte Neugier der antiken Georgier stand: Bei jeder noch so abwegigen Idee sagten sie: „Komm, das probieren wir mal aus.“ So testete Georgien bereits um das Jahr 70 v. Chr. die moderne Zeitrechnung und den Kalender. Auftraggeber war eine mittelamerikanische Biene namens Maya.

Später, im 18. Jahrhundert, folgte übrigens der Doodlesack: Da warf jeder einen Zettel mit seinen freien Terminen rein, und georgische Klosterschüler rechneten dann blitzartig aus, wann der Schafkopfabend stattfinden konnte. Ein sehr frühes Testobjekt war auch das Christentum®– das wurde dann global ausgerollt. Dasselbe gilt für eine weltbekannte Comicserie. In der Nullnummer „Asteriswili in Georgien“ fällt Obeliswili in ein Fass mit Tschatscha, dem traditionellen georgischen Tresterbrand, und erfindet danach einen bekannten lateinamerikanischen Tanz.

Im Jahr 1921 brauchte die junge Sowjetunion dringend Devisen und besetzte das Laborland kurzerhand, um es an kapitalistische Unternehmen zu vermieten. Legendäre Testprodukte waren beispielsweise der Böse Blick, Hanuta und Glyphosat. Aber von Glyphosat ging das Sodbrennen auch nicht weg.

Bekannte Flops waren das Tchibo-Pfund à 400 Gramm, Jean-Claude Juncker und die Plüschverhüttung. Auch die DDR wurde hier simuliert – das eigentlich schon abgebrochene Experiment geriet dann leider irgendwann außer Kontrolle.

Schlimme Fälle im Korridor

Aber wie schützt Georgien sich gegen Kollateralschäden? B2Y zuckt mit den schuppigen Schultern: „Das ganze Land steht voll mit Betaversionen. Aber für schlimme Fälle haben wir den Georgischen Korridor. Alles, was aus dem Ruder läuft oder uns nicht gefällt, wird einfach außer Landes geschafft – zum Beispiel Plutonium, Contergan, Vokuhila, Miracoli und der Opel Corsa. Wirklich erleichtert waren wir, als die Strickpullover mit Norwegermotiv endlich draußen waren.“

Und warum weiß die Welt nicht längst Bescheid? „Nun, wir empfangen sehr gerne Journalisten und tun dabei schön konspirativ. Aber die meisten kaufen sowieso einen Anteilsschein an der Georgien AG und wollen die Dividende nicht gefährden. Und den wenigen aufrechten Kollegen glaubt natürlich niemand – ihre Texte landen maximal auf der Satireseite. Spätestens, wenn sie die Geschichte vom langnasigen Pinocchwili bringen, der die Nasa gegründet und die Legende in die Welt gesetzt hat, die Amerikaner seien auf dem Mond gewesen. Sie stehen übrigens im Meer der Ruhe. Geben Sie bitte acht auf Neil Armstrongs Fußabdruck.“

Es sind diese Geheimnisse über Georgien, die deshalb Geheimnisse bleiben müssen. Glauben Sie bitte nichts vom gerade Gelesenen.

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