Trotz Jubelparteitag wachsen die Zweifel am Erfolg der CDU: Wider die blinde Euphorie
Es wäre Angela Merkel zu wünschen, dass sie all die Huldigungen, all den Beifall richtig genossen hat. Immerhin war der gestrige CDU-Parteitag der Höhepunkt ihrer Karriere. Was kann eine Politikerin Schöneres erleben, als im Jubel ihrer Anhänger zu baden – siegesgewiss, aber noch unbelastet von der Verantwortung der Regierung? Genau deshalb dürfte es sich die Fast-schon-Kanzlerin verboten haben, euphorische Gefühle zuzulassen. Merkel ist viel zu misstrauisch, um nicht die Vorahnung der Enttäuschung zu spüren, die ihre perfekt inszenierte Krönungsmesse jetzt schon auslöst.
Alles andere als eine klare Mehrheit für Union und FDP am 18. September wäre für Merkel inzwischen eine Niederlage. Zu den übersteigerten Erwartungen hat auch ihr perfider Partner Edmund Stoiber beigetragen, indem er 45 Prozent für die Union als Wahlziel ausgab. Am meisten aber hat sich die Kandidatin selbst unter Druck gesetzt: mit ihrer immer wieder bekräftigten Ankündigung, das Land „grundlegend“ zu verändern und für „Politik aus einem Guss“ zu sorgen. Dieser ehrgeizige, nein, anmaßende Anspruch Merkels dürfte sich rächen. Spätestens nach der Wahl, vielleicht vorher.
Schon jetzt tritt die Unmöglichkeit ihres Unterfangens, Deutschland „durchregieren“ zu wollen, täglich deutlicher zutage. Ungeniert kritisieren die Ministerpräsidenten der Union Merkels Steuersenkungspläne. Unbeholfen muss Merkel einräumen, dass ihr Gesundheitskonzept auf Sand – sprich: doch wieder höheren Steuern – gebaut ist. Diese Widersprüchlichkeiten lösen Zweifel aus. Bei Gutverdienern, die zur FDP abwandern könnten. Aber auch bei weniger betuchten Arbeitnehmern, die aus Frust über Rot-Grün zur Union gewechselt waren – in der Hoffnung, eine durchsetzungsstärkere Kanzlerin könne schon durch ihre pure Existenz für einen Aufschwung sorgen. Schwindet der Glaube daran, schwindet auch die Bereitschaft, gegen die eigenen Interessen (Nachtschichtzuschlag, Kündigungsschutz sind nur einige davon) die Union zu wählen. Die gestrigen Jubelbilder dürften kaum genügen, die wachsenden Zweifel nachhaltig zu übertünchen. LUKAS WALLRAFF
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