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Neues Buch von David GraeberGeistlos und nervig

Der Erfolgsautor untersucht in „Bullshit-Jobs“ sinnlose Arbeit. Die scheint trotz Automatisierung nicht weniger, sondern eher mehr zu werden.

Fallen diese drei vielleicht in die Kategorie der „Lakaien“? Foto: Icons8 team/Unsplash

Er weiß die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu benennen, der US-amerikanische Anthropologe, Anarchist und Aktivist David Graeber. Eine der prominenten Figuren der „Occupy Wallstreet“-Bewegung, trat Graeber vor einigen Jahren mit „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ als Chronist der finan­ziell schuldenhaften globalen Verstrickungen in Erscheinung und war fortan international berühmt.

Auch in seinem neuesten Buch kratzt er hartnäckig an einer der kollektiven mentalen Wunden der westlichen, postindustriellen Gesellschaft: „Bull­shit-Jobs“ ist die auf Buchlänge gebrachte Erweiterung eines Artikels, den Graeber 2013 für das Magazin Strike! schrieb. Die zahlreichen Zuschriften, die er zu jenem Text bekam, bilden eine Art empirische Grundlage für das Buch.

Es geht, kurz gefasst, darum, dass sehr viele Menschen eine Arbeit ausüben, die sie eigentlich hassen, weil sie sie für sinnlos halten, und dass die Gesellschaft dieses massenhafte Phänomen gleichzeitig weitgehend tabuisiert. Graeber beschränkt sich zur Illustration dieser Tatsachen nicht darauf, aus den Mails zu zitieren, die seine LeserInnen ihm geschickt haben, sondern nennt auch Zahlen: In der Umfrage eines britischen Meinungsforschungsinstituts, das im Anschluss an den ursprünglichen Artikel Menschen die Frage stellte, ob ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag für die Welt leiste, antworteten 37 Prozent der Befragten mit Nein. Eine niederländische Studie kam mit einer ähnlich formulierten Frage sogar auf 40 Prozent Neinsager.

Es ist in der Tat merkwürdig: Einerseits sind viele Vorgänge automatisiert worden, die als geistlose, nervtötende Tätigkeiten gelten. Aber dadurch ist nicht das allgemeine Freizeitvolumen gestiegen, sondern es haben an anderer Stelle solche Posten zugenommen, die die Ausführung anderer geistloser, nervtötender Tätigkeiten be­inhalten und jenen, die sie bekleiden, hauptsächlich das Gefühl vermitteln, ihre Zeit mit Scheinbeschäftigungen zu vergeuden.

Manager-Feudalismus

Warum ist das so? Auch David Graeber findet keine wirklich befriedigende Antwort. Auf jeden Fall enthält sein Buch anregende Denkansätze und beleuchtet das Thema aus verschiedenen interessanten Per­spektiven. Es bewegt sich dabei allerdings fast ausschließlich auf der Beschreibungsebene – der Originaltitel „Bullshit Jobs: A Theory“ ist auf jeden Fall stark übertrieben. Eine Klassifizierung des Bullshits nimmt Grae­ber allerdings vor. Angenommen, sie stimmte, so wäre eine vollständige Theoriebildung schon deshalb recht schwierig, weil die Bullshit-Jobs, die er identifiziert, durchaus sehr verschiedenen Kategorien angehören.

Graeber unterscheidet fünf Haupttypen: die „Lakaien“, die „Schläger“, die „Flickschuster“, die „Kästchenankreuzer“ und die „Aufgabenverteiler“. Rein vom Textvolumen her scheinen die „Lakaien“ ein besonders häufiges Phänomen zu sein: Dieser Begriff umfasst solche Jobs, deren Existenz dazu dient, jemand anderen wichtig aussehen zu lassen – zum Beispiel ist das Ansehen eines Managers oder einer Managerin innerhalb eines Unternehmens daran abzulesen, wie viele Untergebene seiner/ihrer Abteilung angehören. Ob sie tatsächlich sinnvolle Arbeit ausführen, ist dabei irrelevant.

taz am Wochenende 8./9.9.2018

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Graeber sieht und zieht hier in einem historischen Exkurs viele Parallelen zur feudalistischen Gesellschaft und findet für diese neue Form des Dienerwesens den schönen Begriff des „Manager-Feudalismus“.

Ganz anders gelagert ist dagegen das Phänomen der „Flickschuster“ – sie machen Jobs, deren Existenz nötig, aber im Grunde absurd ist, weil sie nur dazu dienen, einen an anderer Stelle entstandenen Mangel zu beheben. Als klassischer Fall für einen solchen Flickschuster zieht sich durch Graebers Buch der IT-Entwickler, der sein bezahltes Arbeitsleben damit verbringt, schlecht funktionierende Programme zu fixen, und seine eigentliche Qualifikation nur dann einsetzen kann, wenn er in seiner Freizeit unentgeltlich Open-Source-Software entwickelt.

Sinnlosigkeit unterschiedlichen Ursprungs

Schon an diesen beiden Kategorien ist aber zu erkennen, dass der Bullshit, der diese Jobs jeweils auszeichnet, aus sehr unterschiedlichen Quellen stammt. Im Fall der Flickschusterei kann von neofeudalistischer Willkür wohl kaum die Rede sein, dafür aber von Missmanagement und fehlender digitaler Kompetenz aufseiten des Managements in einer Arbeitswelt, die den immer weiter wuchernden Entwicklungen im IT-Sektor schlicht nicht gewachsen ist.

Ganz abgesehen davon, dass der Bullshit-Begriff, da mit eindeutig polemischen Absichten belegt, schon deshalb nur schwer einer objektiven Definition zu unterwerfen ist, ist also bei näherer Betrachtung das Leiden der Menschen an der Sinnlosigkeit ihrer bezahlten Tätigkeiten äußerst unterschiedlichen Ursprungs.

Im Übrigen ist dieses Leiden kein neues Phänomen im Zeitalter des Finanzkapitalismus, wie Graeber nebenbei durchaus zugibt. So erwähnt er den mittlerweile historisch überholten Posten des footman, der einst in englischen Adelskreisen an junge Männer vergeben wurde, die allein dazu da waren, in Livree gut auszusehen und dabei „neben der Kutsche herzulaufen und die Straße nach Unebenheiten abzusuchen“.

Aber es ist ja wahr: Obwohl heutzutage so viele Prozesse automatisiert sind, dass es durchaus möglich wäre, die verbliebene sinnvolle Arbeit auf weniger Stunden für alle zu verteilen, geschieht das nicht. Warum nur? Eine wichtige Rolle spielt dabei unsere komplizierte Beziehung zur Arbeit. Abgesehen von der Arbeitswerttheorie, die Graeber kurz streift und die das Verhältnis der aufgewendeten Arbeit zum Produkt, also einen quantifizierbaren Wert, betrifft, besitzt Arbeit auch einen ideellen, sozialen Wert.

Obwohl heutzutage so viele Prozesse automatisiert sind, dass es durchaus möglich wäre, die verbliebene sinnvolle Arbeit auf weniger Stunden für alle zu verteilen, geschieht das nicht. Warum nur?

Gegen Bezahlung zu arbeiten wird als unabdingbarer Teil eines vollwertigen Erwachsenenlebens angesehen; und je mehr man arbeitet, desto besser. Zudem herrscht das tief verwurzelte Gefühl vor, dass „Arbeit“ etwas ist, das man lieber nicht täte, das also keinen Spaß macht.

Daher, so Graeber, führe es auch nicht zu einem allgemeinen Aufschrei, dass generell ein proportional umgekehrtes Verhältnis zwischen der Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit und der Entlohnung, die dafür zu erwarten ist, bestehe. Denn Menschen, die in Pflegeberufen, als ErzieherInnen oder bei der Müllabfuhr arbeiten, erführen in den Augen der Gesellschaft schon so viel Belohnung durch den ideellen Wert ihres Tuns, dass dafür eine geringere Entlohnung als akzeptabel gelte.

Sehr viel in diesem Buch ist gut beobachtet und klar benannt. Ja, genau!, denkt man immer wieder zustimmend – vor allem in jenen Passagen, in denen Graeber aus Zuschriften von Menschen zitiert, die er als Reaktion auf seinen ursprünglichen Artikel bekam. So sehr viel weiter geht das Denken dann allerdings nicht. Die Fallbeispiele und ihre Kommentierung bilden einen überdurchschnittlich großen Teil des Buches. Manches wiederholt sich. Der ökonomische, kulturhistorische, gesellschaftspolitische Hintergrund wird im Verhältnis dazu eher flüchtig vermessen. Anschaulichkeit geht hier eindeutig vor Analyse.

Das Buch

David Graeber: „Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit“. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 464 S., 26 Euro

Graeber als populärer Autor schwankt hier spürbar zwischen verschiedenen sozialen Rollen, und im Bemühen, sie gleichzeitig auszufüllen, kann keiner sich voll entfalten, weder der Aktivist noch der Wissenschaftler.

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6 Kommentare

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  • Es passt doch alles wunderbar zusammen.

    Bereits als Kind werden viele Menschen in der Schule mit Themen konfrontiert, die veraltet sind und nach einmaligem Bulimie-Lernen (für einen Test) garantiert nie wieder im Leben gebraucht werden.

    Später im Beruf tauschen dann viele Menschen ihre Zeit gegen sinnlose Arbeit, die eine Maschine schneller und effizienter erledigen könnte. Die genaue Anzahl der Jahre bis zur Rente ist ein steter Begleiter im Hinterkopf.

  • Zitat: "Im Fall der Flickschusterei kann von neofeudalistischer Willkür wohl kaum die Rede sein [...]"

    Oh doch! Wenn Leute, die das dürfen, obwohl sie keinen blassen Schimmer haben, Programme in die Welt entlassen, die grobe Fehler aufweisen, ist das neofeudalistische Willkür. Es ist einfach ein Zeichen von Macht, wenn man nicht zugeben braucht, dass man „den immer weiter wuchernden Entwicklungen im IT-Sektor schlicht nicht gewachsen“ ist. Wer sogar nackt noch hofiert wird, der darf sich halt wie einst der Kaiser fühlen.

    Katharina Granzin irrt sich, wenn sie meint, „bei näherer Betrachtung“ wäre „das Leiden der Menschen an der Sinnlosigkeit ihrer bezahlten Tätigkeiten äußerst unterschiedlichen Ursprungs.“ Der Ursprung ist stets ein und derselbe. Es sind die menschlichen Hierarchien, die in einer komplexe, komplizierten Welt wie unserer versagen (müssen).

    Die Unsitte, Leute aus reinem Egoismus und schierer Dummheit mit Aufgaben zu betrauen, denen sie nicht gewachsen sind (Ausüben einer zweckdienlichen Herrschaft über Leute, die es besser wissen), ist die Gemeinsamkeit, die hinter allen Bullshit-Jobs steckt. Eine objektive Definition ist deswegen gar nicht so schwer.

    Und warum wird denn nun die nach Abzug des Automatisierungsgewinns verbliebene sinnvolle Arbeit noch immer nicht auf weniger Stunden für alle umverteilt? Ganz einfach: Weil die, die für die Umverteilung sorgen müssten, es weder tun wollen noch tun können – und auch nicht zu tun müssen.

    Wissenschaftler, Aktivisten und Journalisten sind sich ja weitgehend einig: Es ist unsere (private, individuelle, widersprüchliche) Beziehung zur Arbeit, die Probleme macht. Gesellschaftliche Verhältnisse? Was soll das sein? Frau Thatcher kennt so etwas nicht. Es wird so etwas also auch nicht geben.

    Ich bin mir ziemlich sicher: Die Entlohnung, die für diesen Artikel und vor allem für dieses Buch erwartet und gewährt wurde, steht in einem „proportional umgekehrte[n] Verhältnis“ zur Sinnhaftigkeit des Ganzen. ;-)

  • Irreführender Titel :D Ich dachte schon, das Buch sei geistlos und nervig.

    Das Thema ist allerdings sehr interessant. Vor allem im Hinblick darauf, dass die Frage, was als einen sinnvollen Beitrag für die Welt betrachtet wird, nirgends näher erläutert/ beantwortet wird. Geht es ums Geldverdienen an sich, um das Bewegen von Menschen/ Gütern/Tieren/ Geld, um das Aufrechterhalten von Strukturen/ Situationen/ Macht/ Identitäten, um die AUsbeutung der Ressourcen der Erde, um das Nichtaussterben der Menschheit, um ideele, materialistische Handlungen? Was ist ein sinnvoller Beitrag für die Welt (welche, wessen Welt)? Wieso soll dies gekoppelt sein an Lohnarbeit, um in einem kapitalistischen System an Nahrungsmitteln etc. zu gelangen?? Sind solche Fragen nicht irgendwo auch "Luxusfragen"? Ich will damit das negative Gefühl, durch die Arbeit keinen sinnvollen Wert für die Welt beizutragen, relativieren. Doch wüsste ich nicht, wie in einem durch Angebot-sowie Nachfrage-basierten, kapitalistischen Weltsystem die Arbeit so gestaltet werden kann, dass alle Leute ein gutes Verhältnis zur eigenen haben. Außerdem finde ich es logisch, dass im derzeit gelebten, globalen Kapitalismus Menschen den Eindruck haben, durch ihre Arbeit (mit der sie ja Geld verdienen müssen, um sich Nahrungsmittel etc. zu kaufen) keinen sinnvollen Beitrag zu Welt zu leisten (weil viele ja dazu immer mehr begreifen, was für Folgen ihre Arbeit auch für Mensch, Natur und Welt hat). Der Kapitalismus ist des Weiteren nicht für die Menschen da. Es geht ja ums Geldverdienen, nicht darum, "sinnvolle" Arbeit zur Verfügung zu stellen. Dann kommen noch Angebot- und Nachfrage-Dinge hinzu. Werttheorien spielen ja auch noch rein. Insofern finde ich trotzdem die Tatsache aufschreienswert, dass Pflegeberufe, ErzierherInnen etc. viel zu schlecht entlohnt werden. Da fragt man sich doch, wer da eigentlich die Macht hat...der Mensch oder das Kapital... :D

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Nach meiner Erfahrung sind Entwickler tatsächlich Flickschuster, nicht weil sie eine Software ausbessern, sondern weil sie sie aus Zeitgründen schon von vornherein nicht richtig konzipieren können und dann auch keine Zeit mehr haben, Fehler von Grund auf zu korrigieren. Also finden Sie einen Workaround oder bügeln das irgendwie ab, was bei sorgfältiger Entwicklung, die man ihnen verbietet, nicht nötig gewesen wäre.

    Die andere Komponente der Bullshit-Arbeit ist m.E. das, was die Frankfurter Schule schon als "Verwaltete Welt" erkannte. Beispiel: um eine Zertifizierung zu erhalten, kommen "wichtige" Leute ins Unternehmen, befragen die Manager und schreiben hinterher ein X-seitiges Dokument, aus dem man ersehen kann, dass sie entweder das hineingeschrieben haben, was ihnen souffliert wurde oder dass sie das, was ihnen gesagt wurde, nicht verstanden haben. Dieses im Grunde sinnlose Dokument, das den Zustand und die Lösungsoptionen schlechter beschreibt, als es die Arbeitnehmer selbst es hätten tun können, wird dann noch für viel Geld ins Englische übersetzt und ist dann Grundlage für die Erteilung der Zertifizierung. Kosten für die Firma fallen in einer Höhe an, für den man mindestens einen Mittelklassewagen bekommt.

    Es gibt einfach zuviele Häuptlinge, die sich ständig gegenseitig ihrer Wichtigkeit versichern müssen, und zu wenige Indianer, an welchen die ganze "wirkliche" Arbeit hängenbleibt. Und da der Lohn umso höher ist, je "unwirklicher" die Arbeit, darf es nicht verwundern, wenn immer mehr Menschen danach streben, selbst einen Bullshit-Job zu "bekleiden". Und wenn sie erst mal auf einem solchen sitzen, tun sie ihr möglichstes, um dem Eindruck entgegenzuwirken, in Wahrheit "nackt" zu sein.

    • @849 (Profil gelöscht):

      "Und da der Lohn umso höher ist, je "unwirklicher" die Arbeit"

      Was ist unwirkliche Arbeit.



      Jemand der etwas greifbares herstellt wie ein Schreiner arbeitet wirklich und ein Anwalt unwirklich



      oder meinen Sie damit Arbeit, die kein sinnvolles Resultat liefert sondern z.B. nur jemand anderen wichtig ausshen lässt, oder meinen Sie etwas ganz anderes?

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @BluesBrothers:

        Ich meine die Arbeit, die für unsinnige Verwaltungsakte draufgeht, kein sinnvolles Resultat liefert und vor allem fürs Prestige dazusein scheint. Davon gibt es heute eine Menge: je unwirklicher, also je weniger "wirksam" die "Arbeit", desto höher wird sie bezahlt.