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Doku über Social MediaLöschen. Ignorieren. Löschen

„Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners“ zeigt jene Menschen, die von Manila aus die sozialen Medien für uns aufräumen.

Enthauptungen, Suizid, Kindesmissbrauch: Die Content-Moderatoren sehen sich alles an, damit wir es nicht tun müssen. Foto: arte

Haben Sie sich jemals gefragt, warum ihr Foto gelöscht wurde? Ihr Video? Warum Ihr Konto gesperrt wurde, als Sie diesen Post likten? Die Dokumentation „The Cleaners“ hat Antworten. Auch wenn es keine einfachen sind.

„Ignorieren. Löschen. Löschen. Löschen. Ignorieren. Löschen. Ignorieren.“

Dieses mantraartige Gemurmel der Content-Moderatoren, es ist der Beat dieses Films. Und jene Menschen, die von Manila aus die sozialen Netzwerke für uns aufräumen, vor die Kamera gebracht zu haben, ist wohl die größte Leistung der Filmemacher Hans Block und Moritz Riesewieck. Enthauptungsvideos, dokumentierter Kindesmissbrauch, Suizid im Livestream – sie sind es, die sich all das ansehen, damit wir es nicht müssen. Aus Furcht davor, als Müllsammlerin zu enden, oder um die Familie durchzubringen.

„Ignorieren. Ignorieren. Löschen.“

So banal das ist: Am meisten überrascht vielleicht, in welch wimpernschlagschneller Geschwindigkeit routinierte Moderatoren ihre Entscheidungen fällen. Manchmal brauche er lang, um eine Entscheidung zu treffen, sagt einer der Moderatoren. Und lang, das ist für ihn acht Sekunden lang. Ein anderer beziffert die Anzahl der Bilder, die er jeden Tag sichtet, auf 25.000 Bilder. Allein dies, diese irrsinnige Taktung, erklärt wahrscheinlich besser als jeder theoretische Essay, warum es bei Löschungen, Sperrungen und Rauswürfen bei Facebook und anderswo keine präzisen Erklärungen gibt, woran es gelegen hat. Die Zeit fehlt schlicht.

"Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners"

Läuft am 28.8.2018 um 21.50 Uhr auf arte und am 11.9.2018 um 22:45 Uhr in der ARD.

„Löschen. Löschen. Löschen.“

Einem der Moderatoren wird in einer Reihe von Bildern eine Karikatur gezeigt: Erdoğan, der den Twitter-Vogel von hinten nimmt. Klarer Fall von Sodomie, sagt der Moderator. Ein alter Mann mit einem Vogel: löschen. Erdoğan oder der Zusammenhang dieses Bildes scheinen ihm nicht bekannt. Eine Content-Moderatorin, die immer wieder beim innigen Gebet in christlichen Kirchen gezeigt wird, entscheidet angesichts eines Gemäldes von Donald Trump mit Mikropenis: löschen. Ein Foto eines toten Kindes, das im Wasser schwimmt. Kann man so nicht zeigen, befindet der Moderator. Löschen.

Mitverantwortlich für Genozid?

Schnitt. Der Fotograf dieses Bildes, ein Künstler und nach Berlin geflüchteter Syrer, druckt das Bild großformatig aus. Er habe versucht, bei Facebook jemanden zu erreichen, zu Fragen, warum das Bild gelöscht wurde. Gerne würde er sich mal mit denen unterhalten, die das entscheiden, sagt er und raucht. Und es klingt nicht aggressiv, wie er das sagt, sondern verzweifelt.

Um die Fotos trotzdem verbreiten zu können, entfernt er nun die Kinderkörper mit einem Cutter fein säuberlich aus dem Bild, sodass nur der Hintergrund um die weiße Silhouette bleibt. „Ich will dem Kind eine laute Stimme geben“, sagt er. „Wir dürfen nicht aufhören, die Welt zu verstören, in einem guten Sinne.“

Aber auch Kritik daran, dass zu wenig gelöscht werde, gibt es selbstverständlich. Der Genozid an den Rohingya in Burma, inzwischen machen selbst UN-Experten Facebook mitverantwortlich dafür. Weil sie den in Burma grassierenden Hass nicht stoppten. „Wir sollten uns wirklich in Acht nehmen vor dem, was wir da geschaffen haben“, sagt ein junger Mann, der einmal als Ethik-Beauftragter bei Google arbeitete.

Unverantworliches Outsourcing

Genau hier sieht man aber auch eine der größten Schwächen dieser Dokumentation: Sie hat niemanden vor die Kamera bekommen, der heute noch die Regeln macht und vertritt. Facebook, YouTube, Twitter, all sie haben Interviewfragen an sich abperlen lassen. Und kommen daher nur in Ausschnitten von Anhörungen vor politischen Gremien in Washington vor – oder von wenigen Ehemaligen repräsentiert.

„The Cleaners“ funktioniert als Dokumentation, weil sie sich weigert, einfache Antworten anzubieten. Klar wird, wie falsch und unverantwortlich es ist, die Ausmistung von Social-Media-Plattformen an Drittfirmen in Manila und anderswo outzusourcen, die dafür oberflächlich geschulte Mitarbeiter in Vollzeit den übelsten Schund sichten lassen, den das Internet zu bieten hat. Aber andererseits: Wie sollten sie denn aussehen, die universalgültigen Regeln für Inhalte von Plattformen, die auf der halben Welt populär sind? Und wer soll sie denn umsetzen?

Zu löschenden von zulässigem Inhalt zu unterscheiden – dieses Problem werden auch mehr Geld, festes Personal und bessere Algorithmen für die großen sozialen Netzwerke nicht auf die Schnelle lösen können.

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5 Kommentare

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  • Ich bin nicht bei facebook. Nicht mehr. Ich war 5 Monate dabei, 2007. Ja, da gab es facebook eben gerade in USA. Mir ging es auf die Nerven, dass fast alles Monologe waren. Eine Reaktion war höchstens ein Like oder Dislike. Niemals etwas ausformuliertes. Also raus... ach, geght ja gar nicht! Nur ruhen lassen war möglich! Umständlich über das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) fand ich eine Adresse heraus, bei der man den account LÖSCHEN lassen konnte. Das tat ich dann per Einschreiben. Obs gelöscht wurde, wer weiß! Seither bin ich niemals mehr dabei gewesen. Bekomme das sehr oft vorgeworfen, auch bin ich manchmal bei Infos außen vor, wenn sie per Whatsapp verteilt werden. Trotzdem habe ich meist mehr Infos, nämlich durch direkte Kontakte, als andere, die sich auf diese Systeme nicht nur verlassen, sondern ihnen verfallen sind. Was sie nicht merken: Wer viel Zeit dort verbringt, hat keine mehr für richtige Freunde und richtigen Austausch, mit ausformulierten Antworten.

  • Wie die Erfindung der Schrift oder der Buchdruck sich auswirken würde auf die Welt, konnten sich die Sumerer 4.000 v.Ch. bzw. die Zeitgenossen Gutenbergs damals nicht vorstellen. Die Folgen des Internets sind für die heute Lebenden genau so wenig abzusehen.

    Die größten Social-Media-Plattformen sind viel zu schnell viel zu groß geworden, als dass noch irgendwer sie auf herkömmliche Weise kontrollieren könnte. Die vier Säulen der westlichen Demokratie (Legislative, Judikative, Exekutive und freie Presse) werden das Gebäude nicht mehr lange halten können. Der „Fortschritt“ hat sich verselbständigt. Er überfordert die Systeme einfach. Niemand kann 8 Milliarden Menschen auf herkömmliche Art unter Kontrolle halten. Schon gar nicht so, dass es noch irgend eine Art Sinn ergibt. Daraus ergeben sich Dynamiken, die völlig unbekannt sind bisher und auf die nie jemand vorbereitet worden ist. Macht muss also vollkommen neu gedacht werden.

    Das Internet wird auch „uns“ im „Westen“ zwingen, alle Fragen, die „wir“ längst für abschließend beantwortet gehalten haben, ganz neu zu stellen. Auf manche dieser Fragen werden wir bald neue Antworten finden. Viele Fragen werden sehr lange unbeantwortet bleiben und einige werden sich so, wie bisher, gar nicht mehr stellen. Wäre ich Hellseher, würde ich mich schwer hüten, mein Wissen auszuplaudern. Es würde eh sämtliche Horizonte sämtlicher Zuständiger hoffnungslos übersteigen.

  • „Wie sollten sie denn aussehen, die universal-gültigen Regeln für Inhalte von Plattformen, die auf der halben Welt populär sind? Und wer soll sie denn umsetzen?“

    Was für eine Frage! Die Betreiber der Internetinfrastruktur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Das verursacht Kosten, welche selbstverständlich an die Nutzer weitergegeben werden. Im „echten“ Leben außerhalb des Internets ist es ja auch nicht anders. Der Staat erlässt Gesetze welche von den Rechtsorganen umgesetzt werden. Dafür sorgen Polizei, Justiz, etc… . Finanziert wird dies durch Beiträge der Nutznießer, sprich jedem der Steuern zahlt. Natürlich ist es schwierig dies International durchzusetzen, aber national durchaus möglich, siehe China wo diese Möglichkeiten allerdings zur „willkürlichen“ Zensur missbraucht werden. Das Internet kann und darf kein Rechtsfreier Raum sein. Privatsphäre und Meinungsfreiheit selbstverständlich, aber bitte mit klaren Regeln.

  • Hinzu kommt, dass diese Angebote ihr Geld aus der puren Masse der gesammelten Daten generieren. Facebook hat 2017 4,7 Mrd. $ Gewinn gemacht. Und das mit 2 Mrd. aktiven Facebook-Nutzern. Oder anders gesagt 2,35 $ pro Nutzer pro Jahr. Durchschnittlich werden allein 350 Millionen Bilder pro Tag hoch geladen.

    Das da nicht wirklich Ressourcen für eine eingehende Prüfung der veröffentlichten Inhalte verbleiben wird kaum verwundern. Selbst wenn hier Algorithmen schon vor sortieren.

  • Nun, wir alle könnten schon unsere Macht demonstrieren. Indem wir konsequent unsere Facebook und Twitteraccounts löschen.



    Und auch gelöscht lassen.



    Seit Zuckerberg sich weigert, Holocaustleugner zu verbannen, habe ich meinen Account gelöscht und das bleibt er auch.

    Wir machen uns zunehmend viel zu abhängig von den sozialen Netzwerken; Ja, es ist ja mittlerweile so schlimm, daß Personen als "Freunde" bezeichnet werden, die man nie live gesehen hat!



    Absolutes NoGo!

    Kommunikation unter echten Freunden geht auch anders.....