piwik no script img

Sozialleistungen in den NiederlandenUnangemessene Kleidung? Strafe!

In den Niederlanden werden Joblose bestraft, wenn ihr Äußeres eine Anstellung verhindert. Die Höhe der Buße setzen Sozialarbeiter*innen fest.

Ausreichend zugeknöpft ist diese Bewerberin – aber riecht sie auch gut? Foto: Unsplash/Tim Gouw

„Ist das sommerlich oder schon sexuelle Belästigung?“, fragt sich Twitter-Nutzerin Lissy täglich bei ihrer Outfitwahl angesichts der aktuellen Hitzewelle über Europa. Die über 1.300 Likes, die ihr Tweet bisher bekommen hat, zeigen, dass sie mit dieser Frage nicht alleine ist. Welche Kleidung ist ok und welche trotz tropischer Temperaturen nicht? Was enstpricht einem sogenannten Business-Knigge und dürfen Männer etwa nicht mal kurze Hosen tragen? Wer Zeit und Lust hat, kann sich zu diesem Thema die verschiedensten Meinungen und Tipps ergoogeln.

Ein ziemlich genaues Bild über ein angemessenes äußeres Erscheinungbild müssen Sozialarbeiter*innen in den Niederlanden haben – und zwar über den Sommer hinaus. Vor drei Jahren wurde dort das Gesetz zu Sozialleistungen überarbeitet. Dabei kamen vor allem viele Einschränkungen für die Empfänger*innen der Leistungen dazu.

Eine der damals neu eingeführten Regelungen sieht Geldstrafen vor, falls Kleidung, Körperpflege oder Verhalten dazu führen könnten, dass eine arbeitslose Person einen Job nicht bekommt. Dabei zählt allein die Einschätzung des oder der zuständigen Sozialarbeiter*in. Diese*r kann dann darüber entscheiden, wie hoch die Geldstrafe ist (bis zu mehrere hundert Euro) und für wie viele Monate sie fällig ist.

Wie oft diese Regelung bereits zu Sanktionen geführt hat, ist bislang noch nicht bekannt. Dafür haben zwei Soziologinnen herausgefunden, dass die Geldstrafen willkürlich und nach geschlechtsspezifischen Rollenklischees verhängt werden. Im Rahmen einer Studie interviewten die Forscherinnen 18 Sozialarbeiter*innen, in deren Verantwortung diese Sanktionen liegen.

Optimismus gibt's nicht durch Abschreckung

Ein Beispiel für geschlechterspezifische Entscheidungen: Frauen werden öfter für unangemessene Kleidung sanktioniert, beispielsweise für zu viel Dekolleté-Zeigen auf dem Bewerbungsfoto, Männer, von denen angenommen wird, dass sie sich gehen ließen, wenn sie arbeitslos und noch dazu single seien, öfter für schlechten Geruch.

Laut einer früheren Studie von einer der beiden Forscherinnen sei das Ziel des überarbeiteten Sozialleistungsgesetz, dass die Arbeitslosen weiterhin gut gelaunt durchs Leben gehen sollen, sich fleißig und positiv gestimmt auf Jobs bewerben und die eigene Hygiene und Pflege eben nicht vernachlässigen. Die Kleidungs- und Geruchsregel soll aber vor allem – abschrecken.

Betroffen sind von dieser Regel Langzeitarbeitslose, denn Sozialleistungen bekommt man in den Niederlanden erst nach 38 Monaten Arbeitslosengeldbezug. Abschreckung ist genau die falsche Methode, um sie weiter bei Laune zu halten. Und ohnehin ist es eine ziemliche Herausforderung, nach mehr als drei Jahren ohne Job noch optimistisch auf dem Arbeitsmarkt unterwegs zu sein.

Zu guter Letzt ist es durch eine solche Regelung leicht, aus der Langzeitarbeitslosigkeit ein individuelles Problem zu machen: „Wenn du dich anders anziehen oder mehr pflegen würdest, hättest du schon längst einen Job.“ Solche Sätze werden durch die gesetzliche Regelung gestützt. Oft sind es aber strukturelle Gegebenheiten, die, einmal in der Arbeitslosigkeit angekommen, den Betroffenen den Wiedereinstieg erschweren. Einen angeblich schlechten Geruch oder Kleidungsstil haben schließlich auch viele Menschen, die auf Chefsesseln hocken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Interessant ist ja nebenbei auch, wie hoch die Sozialleistungen in den Niederlanden sind?

    38 Monate Arbeitslosengeld in Höhe von? Und danach? Gibt es ähnliche Auflagen wie in D bei ALG II?

    Ich vermute, dass das dort anders gehandhabt wird - in Höhe und Auflagen.

  • Das ist das alte Lied der Sozialarbeit: Der Sozialarbeiter kommt, um zu helfen, aber er schafft ein Verhältnis der Kontrolle unter staatlichem Schirm.

    Nach der Ethik dieser Profession wäre es absolut nicht gestattet, so zu agieren, aber es werden genug Sozialarbeiter machen, weil sie selber ihre Existenz sichern müssen und am Ende sind die Klienten immer die Armen der modernen Wissensgesellschaft.

    Die Mitglieder dieser prekären, verarmten Schicht können auf dem Arbeitsmarkt nicht viel gewinnen. Dass so ein Instrument auch noch dazu kommt, macht aus den Sozialarbeitern sowas wie Bewährungshelfer für Arme oder / und Arbeitslose.