Die Wahrheit: Jaulender Jeremias
Wenn aus der Kloschüssel eine Stimme spricht, muss ein Exorzist ans Werk und den Geist in die unheiligen Tiefen der Kanalisation zurücktreiben.
R aimund kam nicht. Es war der perfekte Abend für die Visconti-Nacht auf dem Marktplatz, und ich hatte mit einer Mischung aus Unverfrorenheit und Glück zwei sensationelle Plätze auf den Stufen des alten Brunnens ergattert. Aber Raimund kam nicht.
Ich klaubte das Handy hervor. „Wo bleibst du?!“, schnaubte ich. „Sorry“, flüsterte er, „aber in meinem Klo sitzt ein böser Geist.“ – „Waaas?!“ – „Du glaubst mir natürlich nicht. Hör’s dir an!“ Er betätigte die Spülung, und ein markerschütterndes Jaulen ertönte. „Da staunst du, was? Rudi sagt, der Fall ist klar.“ – „Rudi?“ – „Ich hab ihn angerufen. Er ist schon unterwegs und bringt sein Exorzistenwerkzeug mit.“
Ich war sprachlos. Wir hatten Rudi, dem Blödmann, immer einen Vogel gezeigt, wenn er behauptete, das übersinnliche Talent von seiner Tante Desideria geerbt zu haben. Als er aber neulich bei einer improvisierten spiritistischen Sitzung im Café Gum angeblich Kontakt zu Teresas Oma hergestellt und mit kreischender Greisenstimme beklagt hatte, dass im Jenseits striktes Alkoholverbot herrsche und es nicht mal einen Schwarzmarkt gäbe, auf dem sich ein anständiger Pfefferminzlikör organisieren ließe, hatte er mächtig Eindruck gemacht.
Auch Raimund blickte ihn anschließend bewundernd an und lud ihn auf ein Bier ein. „Wer weiß schon“, hatte er gesagt, „ob er nicht auch Connections zu den Schöffen beim Jüngsten Gericht hat, die einmal darüber entscheiden, wie oft wir in siedendes Öl getunkt werden.“
Nun hörte ich seine Türklingel bimmeln. „Das wird Rudi sein“, sagte er. Er legte auf, und ich beschloss, dass Burt Lancaster leider allein dem Tod des alten Italien zusehen musste, denn die Schöffen bei der finalen Gerichtsverhandlung hätten es sicher als strafverschärfend gewertet, wenn ich jetzt nicht aufgesprungen wäre, um meinen leichtgläubigen Freund aus den Fängen des esoterischen Taschenspielers zu retten.
Als ich bei Raimund ankam, tobte bereits der Kampf zwischen Gut und Böse. Aus dem Bad hörte man das Jaulen des Toilettengeists und die lateinischen Bannflüche, mit denen Rudi ihn in die unheiligen Tiefen der Kanalisation zurückzutreiben versuchte. „Rudi sagt, es ist der Jaulende Jeremias“, flüsterte Raimund mir zu. „Oha!“, machte ich, als wüsste ich, wovon er sprach. Der Lärm im Bad nahm weiter zu. Dann plötzlich – nach einem letzten langgezogenen Seufzer – herrschte Stille.
Nach einer guten Weile wagten wir, die Tür zu öffnen und hinein zu spähen. Das Badezimmer war leer! Rudi war verschwunden! Lediglich auf dem Boden lag eine Rohrzange. Wir sahen uns verdutzt an. Hatte sich Rudi durch die Rohre verflüchtigt? War er von Jeremias ins Reich der Geister gesogen worden?
Rudi blieb unauffindbar – bis Raimund schließlich einen Brief erhielt: eine Rechnung. Für Sanitärarbeiten. Unterschrieben von Burt Lancaster! Nicht nur der hatte wahrscheinlich im Jenseits zu viel am Weihwasserfläschchen genippt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!