humboldt forum berlin: Ngonnso will nach Hause
Im Humboldt Forum sollen Artefakte zu sehen sein, die aus Afrika und Asien entwendet wurden. Die Debatte über eine Rückgabe ist voll entbrannt
Gouri Sharmaarbeitet seit 15 Jahren für unterschiedliche internationale Medien. Sie hat fünf Jahre im Newsroom der „Listening Post“ gearbeitet, einer medienkritischen Sendung von Al Jazeera. Davor war sie mehrere Jahre bei indischen Zeitungen. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist Rassismus und Dekolonialismus.
Wer Ende letzten Jahres rund um das Baugelände des Humboldt Forums gelaufen ist, kam kaum umhin, von der Größe und dem Ehrgeiz des Projekts beeindruckt zu sein. Ich war Teil einer Besuchergruppe, und so wie die anderen hat mich die schiere Größe des Ganzen ziemlich umgehauen. Ein international renommiertes Team aus Architekten und Planern, eine stilistische Fusion aus alt und neu und eine Kulturstätte, die als „Basislager für die Welt“ dienen soll – das waren alles Teile des Pakets, das unser enthusiastischer Guide unbedingt promoten wollte.
Mit Kosten von rund 600 Millionen Euro ist der Nachbau des Stadtschlosses von Kaiser Wilhelm II. eine der teuersten jemals in Deutschland errichteten Kulturstätten, die schon lange vor ihrer geplanten Eröffnung im kommenden Jahr für reichlich Gesprächsstoff gesorgt hat.
Denn das Konzept ist nicht unproblematisch. Viele der Stücke, die im Humboldt Forum zu sehen sein werden, kommen aus Berlins wichtigsten Kulturinstitutionen einschließlich des Völkerkundemuseums. Dort gibt es Sammlungen aus Asien, Afrika und Ozeanien, viele der Objekte sind während der Zeit des europäischen Kolonialismus angeschafft worden. Wie eine wachsende Zahl von Kritikern betont, wurden etliche Objekte damals einfach ohne jede Erlaubnis außer Landes gebracht, mit anderen Worten: Sie wurden gestohlen.
Die sich daraus entwickelnde Kolonialismus-Debatte bringt die Humboldt-Organisatoren in eine schwierige Lage; eine effektive Handlungsstrategie haben sie noch nicht gefunden. Für mich trifft die Kritik allerdings genau ins Schwarze, wie mir ein Interview mit dem Aktivisten Gad Samaiya Shiynyuy aus Kamerun klarmachte.
Shiynyuy, ein Angehöriger des Nso-Volkes aus dem Nordwesten Kameruns, berichtete mir, was mit seiner Gemeinschaft passierte, als die Region im frühen 20. Jahrhunderts von Deutschland besetzt war. Über Generationen haben die Nso einen Gott namens Ngonnso angebetet, im Glauben, dass dessen Statue über spirituelle und heilende Fähigkeiten verfügte. 1909 wurde Ngonnso außer Landes geschafft, und viele Jahre wusste niemand, wo er hingekommen war. Erst als Shiynyuy vor zehn Jahren nach Deutschland zog, fand er heraus, dass sich die Statue in einem Lagerraum des Berliner Völkerkundemuseums befindet.
Für die Nso ist die Statue so wichtig, dass sie auch hundert Jahre später noch über den Verlust trauern. Shiynyuy, der seither dafür wirbt, dass die Statue zurückgegeben wird, sagt, dass ihre Enttäuschung durch die Weigerung der Berliner Kulturinstitutionen, eine Rückgabe überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, noch viel größer geworden ist
Nach dem Interview mit Shiynyuy fragte ich mich, wie viele solcher Geschichten es wohl noch gibt, wie viele Objekte ihren rechtmäßigen Besitzern wohl einfach weggenommen wurden, und wie viele Gemeinschaften wohl noch den Verlust eines Objekts betrauern, das ihnen so viel mehr bedeutet als der ökonomische Wert, den europäische Kulturinstitutionen ihm beimessen.
Seine Geschichte hat mich nicht nur als Journalistin interessiert, sondern mich auch persönlich betroffen gemacht. Ich bin als Tochter indischer Eltern in London geboren worden und bin in vielerlei Hinsicht ein Produkt des britischen Empires. Die Familie meiner Mutter musste nach der Teilung Indiens aus dem heutigen Pakistan fliehen und kam Anfang der 60er Jahre nach London. Mein Vater wurde in Kenia unter britischer Herrschaft geboren. Er reiste später mit seinem britischen Pass nach Großbritannien.
Im Geschichtsunterricht erfuhr ich nichts darüber, wie die Briten Indien ausgebeutet haben. Was ich aber sah, waren indische Nationalschätze – Manuskripte, hinduistische Gottesfiguren und Juwelen, die in verschiedenen Einrichtungen der Hauptstadt ausgestellt wurden, als gehörten sie zu Großbritannien. Damals habe ich das Gleiche gespürt wie heute: dass die indische Gesellschaft zu Unrecht auf viele ihrer nationalen Kulturschätze verzichten muss.
Deutschland und Großbritannien haben Kamerun und Indien vor langer Zeit verlassen, aber solche Geschichten zeigen, wie Kolonialismus und Fremdherrschaft sich weiter fortsetzen. Viel zu lange haben europäische Mächte und ihre Kultureinrichtungen die wirtschaftlichen Erträge aus Ressourcen und Gütern eingestrichen, die aus den von ihnen kolonisierten Ländern gestohlen wurden. Ein wirkliches Ende des Kolonialismus würde bedeuten, genau hinzuschauen, wie sich Kolonialismus heute ausdrückt, und die Machtstrukturen zu beseitigen, die er mit sich bringt.
In Großbritannien gibt es eine schwer zu knackende Nostalgie rund um das Empire. In Deutschland ist die Bereitschaft größer, sich kritisch mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Die Kontroverse um das Humboldt Forum trifft auf ein wachsendes Bewusstsein darüber, dass auch Deutschland eine gewalttätige Kolonialgeschichte hatte.
Ebendeshalb haben die Humboldt-Organisatoren eine einzigartige Chance: Sie können einige Vergehen, die ihre Vorfahren begangen haben, wiedergutmachen und den Schmerz beenden, den Shiynyuy und andere Völker nach wie vor empfinden. Das kann mit der symbolischen Rückgabe bestimmter Objekte an ihre rechtmäßigen Besitzer beginnen und damit, intensiver mit den Gemeinschaften in ehemaligen Kolonien zu arbeiten, um jene Version der Geschichte zu erzählen, die weit über die eurozentristische Sichtweise des Kolonialismus hinausgeht. Das Forum hat einige kleine Schritte in die richtige Richtung unternommen, aber viel mehr kann – und sollte – gemacht werden.
Wird das Forum seiner Verantwortung gerecht werden? Ich jedenfalls werde das definitiv beobachten.
Aus dem Englischen von Bernd Pickert
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