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Kolumne Jung und dummWeltgeschehen und Körpertemperatur

Der Sommer ist da – die Jahreszeit, zu der man abends die Rettung ruft und erfährt, dass doch kein Chemiewerk in Brand steht, sondern man schwitzt.

Der Sommer ist da – und man schwitzt

W as ist das eigentlich für eine Welt, in der die eine Hälfte der jungen Menschen auf die andere gehetzt wird mit dem Auftrag, sie ums Verrecken nicht durchgehen zu lassen, ohne ihr Flyer für vergünstigte Druckerpatronen in die Hand gedrückt zu haben?

Wie soll so etwas wie rationale Kommunikation möglich sein, noch dazu mit Leuten, die so vollständig in einem Zirkel aus Müdigkeit und Internetpornographie gefangen sind, dass es silbern knistert im Gehirn? Wie lange füllt die Industrie wohl noch unsere Zahnlücken? War da eigentlich schon immer dieser Spalt zwischen Bett und Matratze, der mich unweigerlich in sich hineinreißt, egal, was ich tue? Und habe ich eigentlich immer schon an der Welt so gelitten?

Schwer zu beantworten. Es gibt wenig handfeste Aufzeichnungen „von früher“. Ich mochte Knallerbsen ganz gerne, daran kann ich mich noch gut erinnern. Aber sonst? Wenig, leider.

Heute: viel. Überall lärmt es und stinkt es. Der Sommer ist da – die Jahreszeit, zu der man abends die Rettung ruft und erfährt, dass doch kein Chemiewerk in Brand steht, sondern man schwitzt.

Penisse lutschen

„Männer cremen heute“ lautet der Titel der Coverstory des Gratismagazins alverde, das auch Sie im dm-Drogeriemarkt kostenlos mitnehmen können. Lukas Podolski, der deutsche David Beckham, präsentiert darin die von ihm „mitentwickelte“ Waschmarke „Straßenkicker“, die klingt wie eine Sat.1-Comedyshow mit Annette Frier; sowie, nicht zuletzt, seinen nackten Oberkörper, den ein Tattoo mit dem Kopf seines Kindes ziert.

Noch eine weitere Sache also, die die nicht mehr dreckigen Heteromänner sich kulturell angeeignet haben: sich schön machen. Als Nächstes wollen sie vermutlich mal in der U-Bahn ganz unverbindlich an Penissen lutschen – aber Vorsicht, #nohomo und dreimal auf den Platz gerotzt, ahoi!

Nächstes Thema. These: Wer freiwillig mit fremden Menschen redet, den quält irgendeine Schuld. Ich fordere Sprechverbote. Das Konzept Reden hat versagt, das sieht man nicht zuletzt am Versagen der Talkshows. Wir leben in einem Land voller bockiger Kinder, das dem Verbot eine viel zu geringe Bedeutung beimisst. Jeder muss alles sagen dürfen? Unfug!

Hin- und her oszillieren

Mit dem Alter neigt der gemeine homegrown terrorist allerdings zu Kulturpessimismus, das gebe ich zu. Ich will weder reden noch zuhören müssen. Ich träume von einer Welt, in der man mithilfe kleiner Zettelchen kommuniziert und, geräuscharm und geschmeidig, zwischen verschiedenen Punkten hin- und her oszilliert.

Man wäre sozusagen immer „in Bewegung“ und würde sich über die Gerichtetheit seines nicht mehr fixierbaren Körpers auf verschiedene Möglichkeitsräume hin definieren, ohne sich zu definieren.

Auf den Zettelchen stünden kurze, einfache Botschaften wie „Das Ganze ist das Unwahre“, „Der Bäcker ist gleich um die Ecke, genau“, „Ich bin nicht verrückt“ oder „Herzlich willkommen, mein Name ist Günther Jauch“. Man ginge zum Sekretariat und ließe sich das unterschreiben.

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Adrian Schulz
Freier Autor
Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.
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