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Wahlbeobachterin über Russland„Die WM poliert Putins Image auf“

Den Russen wird eingetrichtert, dass der Westen sie hasst. Daher freuen sie sich über das Scheitern der anderen, sagt Wahlbeobachterin Lilija Schibanowa.

Ein Putin für daheim: Sein Image konnte Russland durch die WM aufpolieren Foto: dpa
Interview von Barbara Oertel

taz: Frau Schibanowa, interessieren Sie sich für Fußball?

Lilija Schibanowa: Nein, ich bin kein Fan. Aber ich sehe mir Hockey und Eiskunstlaufen an.

Viele Ihrer Landsleute sind ja geradezu verrückt nach Fußball. Auch den ausländischen Fans gefällt es. Was bedeutet das für Russland?

Für Russland ist es sehr wichtig, ein gewisses Gesicht von sich zu zeigen. Man ist ein aufgeschlossenes, schönes und reiches Land. Dafür wird im Moment alles getan.

Und das klappt?

In den postsowjetischen Jahren hat sich Russland, von außen betrachtet, sehr verändert. Es gibt mehr Wohlstand, und das Land ist insgesamt reicher geworden. Das sieht man in den Metropolen wie Moskau und Sankt Petersburg.

Und innen?

Die Situation ist sehr schwierig. Sie hat sich sogar verschlimmert, vor allem, was die Politik und Menschenrechte betrifft.

Können Sie Beispiele nennen?

Barbara Oertel
Im Interview: Lilija Schibanowa

Lilija Schibanowa, 65, ist Expertin für unabhängige Wahlbeobachtung und Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe. Von 2000 bis 2013 war sie Direktorin der russischen Wahlbeobachter-NGO Golos (Stimme).

Der Opposition ist eine Teilnahme an der Politik verwehrt. Das fängt bei den Gesetzen an. Zum Beispiel die Abschaffung der Direktwahl der Bürgermeister. Dazu kommt noch der Einfluss der Massenmedien. Die informieren nicht nur über die Machtstrukturen, sondern nehmen wie PR-Agenturen de facto auf der Seite der Staatsmacht an den Wahlen teil. Nehmen wir die Präsidentenwahlen: Die Massenmedien berichten ausschließlich positiv über den ersten Mann im Staat. Über alle anderen Beteiligten am Wahlprozess wurde negativ und aggressiv berichtet. Das zerstört die Plattform für jede politische Diskussion.

Hat es Präsident Wladimir Putin geschafft, die WM für seine Zwecke zu instrumentalisieren?

Die WM ist ein Fest für die Nationen. Und Staatschefs wie Putin benutzen solch ein Ereignis für persönliche PR. Natürlich poliert das das Image auf. Hinzu kommt, dass die Russen total hinter ihrer Mannschaft stehen, aber nicht so, wie Fans das normalerweise tun.

Was meinen Sie damit?

Der Fan jubelt für seine Mannschaft. Bei uns jedoch wird dem Volk die ganze Zeit eingetrichtert, dass der Westen es hasst und dass überall Feinde lauern. Der russische Staatsbürger wähnt sich inzwischen wieder in einer Art von Kaltem Krieg, nach dem Motto: Wir wollen beweisen, dass wir besser und stärker sind; wir müssen den Westen besiegen. Das macht mir Angst. Die Russen sind nicht für die beste Mannschaft. Sie leiden nicht mit den Spaniern oder den Deutschen, die verloren haben. Im Gegenteil. Sie freuen sich darüber, und das sehr aggressiv. Das ist eine gefährliche Tendenz.

Vor der WM gab es viele Stimmen im Westen, die gefordert hatten, das Turnier zu nutzen, um Kritik an der gegenwärtigen Situation zu üben. Doch es ist erstaunlich leise geblieben. Wie erklären Sie diese Schweigsamkeit?

Alle sind schon müde von diesem Kalten Krieg. Dieser Konflikt mit Wladimir Putin führt zu nichts. Nehmen Sie den Krieg in der Ostukraine. Nicht einmal die minimalsten Beschlüsse des Minsker Abkommens konnten bisher umgesetzt werden. Der Krieg geht weiter. Auch die Sanktionen haben nichts gebracht. Wir befinden uns in einer Periode, in der keiner weiß, wie es weitergehen soll. Andererseits ist klar, dass für den Donbass eine Lösung gefunden werden muss.

Sie haben vom Gefühl des Kalten Krieges gesprochen. Eine WM bietet ja auch immer viele Möglichkeiten, Unbekanntes kennenzulernen. Wird davon etwas Positives in Russland bleiben?

Dieses großartige Fest wird in Erinnerung bleiben. Doch man muss verstehen, dass die Russen dieses Fest als einen temporären Teil ihres Lebens verstehen. Ich glaube nicht, dass sich an der Situation im Inneren Russlands etwas ändert. Doch das Verständnis für das Andere dürfte wachsen.

In welche Richtung wird sich Russland Ihrer Meinung nach bewegen?

Wenn wir uns die Wahlgesetzgebung ansehen und die Ressourcen der Machtstrukturen, dann wird die Opposition von innen heraus nichts verändern können. Denn sie hat keine Ressourcen und keine Gesetze, auf die sie sich stützen könnte. Der russische Staatsbürger erwartet sich nur von Putin die Lösung aller Probleme. Zum Beispiel die Rentenreform, die Putin wohl zurücknehmen wird. Die Möglichkeit dafür hat er, weil ja auch die Ölpreise wieder steigen.

Solange das so ist, wird es keine Veränderungen geben. Das ist sehr schade, weil eine junge Generation herangewachsen ist, die politisch etwas will. Die jungen Leute haben keine sozialen Aufstiegschancen. Weder in der Politik noch in der Wirtschaft. Dabei brauchen wir so dringend Reformen des politischen Systems. Die kommunale Selbstverwaltung ist vollständig zerstört.

Was wünschen Sie sich?

Das Schlimmste ist dieser Eiserne Vorhang. Ich wünsche mir, dass Russland ein offenes Land ist für die westliche Kultur, die westliche Demokratie und die westliche Zivilisation. Dass wir nicht ein östliches Kalifat werden. Doch dahin bewegen wir uns. Der östliche Despotismus nimmt zu.

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2 Kommentare

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  • Schlechtes Beispiel Ukraine



    In der Ostukraine ist Russland keine Partei, sondern Garantiemacht. Die Vereinbarungen wurden zwischen der ukrainischen Zentralregierung und den Ostprovinzen getroffen-. Beide Seiten haben sich zu Handlungen verpflichtet. Nicht eine Seite alleine ist in der Bringschuld. Wenn man Russland als Einfluss in der Ostukraine betrachteet, dann muss man genauso die USA und die EU als Einfluss in der Restukraine sehen, der für die Verwirklichung von Minsk verantwortlich ist.

    • @Martin_25:

      stellen Sie sich einfach vor, jemand bricht in Ihre Wohnung ein und Sie rufen darauf hin die Polizei. Die kommt dann und schlägt Ihnen des Friedens Willen vor, doch dem Einbrecher entgegenzukommen und ihm die Küche und die Hälfte des Badezimmers zu überlassen. So erging es der Ukraine.