Ermittlungen gegen Spaßdemo in Berlin: Schwerkrimineller Konfettiregen
Eine Satiredemo mit 72 Landfriedensbrüchen? Das will die Polizei am 1. Mai in Grunewald jedenfalls so gesehen haben.
Die Angelegenheit wurde dann ein wenig größer. Die Polizei zählte 3.000 TeilnehmerInnen, die bunt und laut durch das Villenviertel demonstrierten. Mehr als 600 Einsatzkräfte begleiteten den Aufzug und stellten eine Vielzahl von Straftaten fest. Laut der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger mehr als 80, 72 davon Landfriedensbrüche.
Schmidberger hält die Einordnung so vieler Vergehen als Landfriedensbruch für überzogen: „Ich gehe davon aus, dass die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das bereinigen werden. Die Demo war total friedlich und fröhlich. Von ihr ging zu keinem Zeitpunkt Gewalt aus.“ Zumal ein früherer Ermittlungsstand, abgefragt von der Linken-Abgeordneten Franziska Brychcy, eine ähnliche Zahl Sachbeschädigungen vermeldete, die offenbar innerhalb weniger Wochen zum schwerer wiegenden Tatbestand des Landfriedensbruchs aufgewertet wurden.
Dabei wirkte schon der Vorwurf der Sachbeschädigung in vielen Fällen kaum begründet, scheinen doch die Anbringung von Aufklebern und das Verschießen von Konfetti dazu gezählt worden zu sein. Eine konkrete Aufschlüsselung der Vorwürfe legte die Polizei nicht vor. Lukas Theune vom Republikanischen Anwaltsverein bestätigt, dass immer wieder als Bagatellen erscheinende Vorgänge mit schweren Vorwurf belegt würden. Dabei sei die Aufwertung für die Verfolgung von Straftaten nicht einmal nötig, wenn zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse an den Ermittlungen feststellen würde. Theune schränkt jedoch ein: „Wenn es tatsächlich nur um Aufkleber geht, wäre das ein bisschen albern.“
Die Veranstalter der Demo bezeichnen die Kriminalisierung derweil als skandalös. „Die Polizei macht hier mal wieder Politik, um soziale Proteste zu diskreditieren und kriminalisieren“, heißt es in einer Erklärung. Der Humor ist dem „Quartiersmanagement“ dennoch nicht verlorengegangen. Man überlege, „den Protest 2019 gleich als „härteste revolutionäre Satiredemo der Welt“ anzumelden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“