Gruppe E: Serbien – Schweiz: Serben verbaseln Führung
Serbien spielt Turbo-Folk. Die Schweiz müht sich um Besitz. Rütli-Kosovaren schießen zwei Tore. Eines der besseren WM-Spiele.
Die Voraussetzungen: Serbien hat knapp gegen Costa Rica gewonnen, die Schweiz überraschend einen Punkt gegen Brasilien geholt. Brasilien wiederum besiegte am Nachmittag Costa Rica. Die Schweiz muss mindestens einen Punkt holen, besser drei. Serbien sollte auf keinen Fall verlieren. Aber noch ist in dieser Gruppe für alle außer Costa Rica einiges möglich.
Die politischen Voraussetzungen: Der serbische Sänger Bora Dordevic erinnerte nach dem Auftaktsieg gegen Costa Rica auf Facebook in einem Gedicht daran, dass Costa Rica als erstes Land weltweit das Kosovo anerkannte. WM-Lyrik, ein Auszug: „Mein Jungstier ist der Dribbler Tadic, der bald sein wird wie Ratko Mladic“. Drei Buchstaben trennen dicht und Dichtung. Wie man hört, bibbern Schweizer Literaturhäuser schon vor Lesungsanfragen.
Zum Glück für Serbien spielt die Schweizerin Carla del Ponte nicht mit, die von 1999 bis 2007 als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zuständig war und es dabei nicht selten mit Serben zu tun bekam. Für die Schweiz dabei sind aber Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri mit ihren kosovarischen Familienverzweigungen; sie treiben serbischen Nationalisten seit Tagen jenen Ausdruck ins Gesicht, den sonst nur der Name del Ponte auslöst.
Das Ergebnis: 1:2 (1:0).
Empfohlener externer Inhalt
Das Spiel: Munterer Anfang. Chance für Granit Xhaka, Chance für Aleksandar Mitrovic, nochmal Mitrovic und Tor für Serbien (5.). Ein Angriff, so schlicht wie ein Hufeisenplan. Serbien ist besser, überraschender, schneller. Mitrovic darf im Schweizer Strafraum agieren wie Schweizer Banken in Zürich – frei und ungehemmt. Eigentum ist in der Schweiz nicht ganz unwichtig, im Spiel müht sich die „Nati“ um Ballbesitz. Kleinere Chancen folgen. Serbien lässt etwas nach, spielt ruppiger, um das Tempo kurz vor der Halbzeit rasant anzuziehen, bisschen Turbo-Folk halt.
Es geht munter weiter. Beide Teams haben Lust auf schnellen Fußball. Und Xhaka trifft aus der Distanz (53.). Schönes Tor. Shaqiri mit einem Drehschuss an den Außenpfosten. Ausgerechnet die Kosovo-Connection. Aber (koso)wo war da die serbische Abwehr? Offensiv bleibt Serbien gefährlich, besonders auffällig: Aleksandar Kolarov. Shaqiri dreht auch auf, aber vorerst als potenzieller Autor für modernen „Ich-Journalismus“. Kurz vor Schluss spielt dann die Schweiz Turbo-Folk, Vladimir Stojkovic im serbischen Tor bleibt cool wie ein Slibowitz aus dem Eisfach. Bis zur 90. Minute: Die Schweiz kontert mit Shaqiri, der noch cooler abschließt: 1:2.
Empfohlener externer Inhalt
WM 2018 Gewinnerprognose
Die Wette des Spiels: Mindestens vier Tore, mindestens 13 Ecken, mindestens fünf Karten und mindestens ein Strafstoß – so lautet die Online-Wette eines Kollegen, der drei Euro gesetzt hat. Quote 151. Ein gutes Urlaubsgeld wäre drin gewesen. Wäre.
Das Werder-Faktor: Mladen Krstajic, einst harter Innenverteidiger bei Werder Bremen, trainiert die Serben. Auf der serbischen Bank sitzt Milos Veljkovic, der ebenfalls bei Werder Bremen in der Innenverteidigung spielt. Härte fehlt ihm manchmal noch. Als Schiedsrichter agiert erstmals Felix Brych, den man im Weserstadion – wie sagt man das jetzt höflich? – nicht so gern sieht.
Die Geste des Spiels: Shaqiri und Xhaka provozieren nach dem Spiel mit Fingerbewegungen, die den albanischen Doppeladler andeuten. Unnötig wie Enver Hoxhas Bunkersystem in Albanien.
Und nun: Ein Punkt gegen Costa Rica reicht der Schweiz fürs Achtelfinale, wenn Serbien gegen Brasilien verliert. Nach Spanien gegen Portugal und Kroatien gegen Argentinien war die unscheinbare Partie Serbien gegen Schweiz das bisher drittschönste WM-Spiel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“