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Zuweisungsquoten von Geflüchteten„Gebaren nach Gutsherrenart“

Niedersachsens Innenministerium veröffentlicht keine Zuweisungsquoten von Geflüchteten. Nun drängen einige Kommunen auf Transparenz.

Klappt's oder verhebt er sich? Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius beim Üben Foto: dpa

OSNABRÜCK taz | Für die meisten Osnabrücker war der 30. Mai 2018 ein Tag wie jeder andere – auch für die rund 4.800 Geflüchteten unter ihnen. Für Stadtrat Wolfgang Beckermann, Osnabrücks Dezernent für Bildung, Soziales und Kultur, ist er in der Rückschau ein Tag des Kampfes.

Der Schauplatz: der Sozial- und Gesundheitsausschuss. Beckermann nutzt ihn für ein Statement, das Sprengkraft besitzt. Er spricht über Flüchtlinge und über die Zuweisungsquoten niedersächsischer Kommunen. Diese seien, „nicht immer ausgewogen“, steht später im Protokoll. Es gebe „starke Verwerfungen“, sagt der Sozialdezernent, wie er aus Gesprächen mit Kollegen aus anderen Kommunen wisse.

Tatsächlich muss Beckermann im ganzen Land herumtelefonieren, wenn er ein Gefühl dafür bekommen will, ob Osnabrück bei der Verteilung der Geflüchteten gerecht behandelt wird. Denn wie viele Flüchtlinge eine Kommune aufnehmen muss und wie viele sie tatsächlich aufnimmt, ist in Niedersachsen nicht in einer öffentlich zugänglichen Quelle nachzulesen – ganz anders als im Nachbarland Nordrhein-Westfalen, das die Quoten öffentlich macht und regelmäßig aktualisiert.

Es gebe einen „Deckmantel der Verschwiegenheit“, kritisiert Beckermann mit Blick auf Niedersachsen. Ihm sei es „nicht gelungen, an entsprechende Daten des Landes zu gelangen“, lässt er den Ausschuss wissen. Beckermann hat nichts gegen Flüchtlinge – im Gegenteil. Sein Kampf gilt ihrer bestmöglichen Integration – und der Transparenz des Zuzugsverfahrens.

Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt Osnabrück vor Platzprobleme. Akut ist der Zuzug zwar gering. Aber manche Sammelunterkunft steht in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Und der Wohnungsmarkt ist dicht

„In Nordrhein-Westfalen sieht man, wo man steht“, sagt Beckermann. „Bei uns wird daraus ein Geheimnis gemacht.“ Er hat es über das Innenministerium versucht, über Landtagsabgeordnete. Nichts. „Für mich ist das altpreussisches Gebaren“, schimpft er. „Politik nach Gutsherrenart.“ Man sieht ihm die Frustration an. „Da geht es ja auch um das Demokratieverständnis“, findet er.

361 Flüchtlinge waren Osnabrück Ende 2016 zugeteilt worden. Eine Quote, vom Innenministerium zum Stichtag 15. November 2016 in einem Erlass festgelegt, der ein landesweites Gesamtkontingent von 25.000 Personen vorsah.

„Diese Quote haben wir erfüllt, sogar übererfüllt“, sagt Beckermann. „Aber es gibt wohl eine Reihe von Kommunen, bei denen das anders ist.“ Was ihn am meisten ärgert, ist das ministeriale Abblocken: „Auch wenn da draußen alles in Ordnung wäre: Wer mauert, schürt Misstrauen.“

Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt Osnabrück vor Platz-Probleme. Akut ist der Zuzug zwar gering. Aber manche Sammelunterkunft steht in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Und der Wohnungsmarkt ist dicht. „Da ist es zunehmend schwer, Flüchtlinge dezentral unterbringen, was für ihre Integration natürlich viel sinnvoller ist“, sagt Osnabrücks Sozialdezernent.

Warum die Quoten nicht öffentlich sind? Svenja Mischel, Pressesprecherin des niedersächsischen Innenministeriums, schweigt dazu. „Die Kommunen übernehmen die Unterbringung und Erfüllung der Aufnahmeverpflichtung in eigener Zuständigkeit“, wehrt sie ab. „Für eine Prognose und Planung des Unterbringungsbedarfs des einzelnen Kostenträgers sind die bestehenden Verteilstände anderer Kommunen irrelevant.“

Wolfsburg will Veränderung, Hannover nicht

Aber es gibt Hoffnung. Es müssten nur mehr Kommunen auf Transparenz dringen. Denn eine Weitergabe der Verteilstände würde „nach hiesigem Verständnis das Einverständnis der jeweiligen Kommune voraussetzen“, sagt Mischel. Aktuell würden den Kommunen daher bei Bedarf nur ihre eigenen Verteilzahlen und Verteilstände mitgeteilt.

Monika Müller, Dezernentin für Soziales und Gesundheit, Klinikum und Sport der Stadt Wolfsburg, sieht die Sache wie Beckermann: „Eine Veröffentlichung der konkreten Zahlen zur Aufnahme von Asylsuchenden fände ich richtig, um kommunale Vergleichbarkeit zu ermöglichen“, sagt Müller. „Zudem kann nur durch größtmögliche Transparenz dem mitunter verbreiteten Eindruck, andere Städte oder Kreise seien stets weniger gefordert als die eigene Kommune, entgegengewirkt werden.“ Wolfsburg hat 191 Menschen aufgenommen und damit 46 Prozent seines Solls erfüllt.

Wenn es nach der Stadt Hannover geht, bleibt allerdings alles beim Alten. 1.791 Menschen müsste die Landeshauptstadt aufnehmen. „Davon sind bisher 1.495 Personen zugewiesen“, sagt Pressesprecherin Michaela Steigerwald. „Noch aufzunehmen sind demnach 296 Personen.“ Ein Offenlegung der Quoten niedersachsenweit? – Nicht mit Hannover: „Die Verteilungskriterien des Landes sind transparent und den Kommunen bekannt“, findet Steigerwald. „Darüber hinausgehende Informationen hält die Verwaltung für entbehrlich.“ Der Erkenntnisgewinn sei überschaubar.

Erfüllungsdefizit oder nicht?

Timo Frers, Leiter Medien und Kommunikation der Stadtverwaltung Delmenhorst, kann bessere Zahlen melden. 327 Asylbewerber hat Delmenhorst aufgenommen. „Somit besteht zurzeit eine Überquote von 70 Personen.“ Warum Delmenhorst kein Interesse an einer Veröffentlichung der Erfüllungsquoten hat, klingt nach Frustration: Das werde „laut Fachverwaltung voraussichtlich nicht zu einer Umverteilung von Asylbewerbern in Niedersachsen führen“.

Wilhelmshaven hat gegen eine Veröffentlichung keine Bedenken. Dabei hat die Stadt ein Erfüllungsdefizit: 256 Personen sind das Soll, aufgenommen hat die Stadt 178. Der Hintergrund: Wilhelmshaven hat, so das Innenministerium, eine „lageangepasste Wohnsitzauflage“ beantragt. Bei dieser „außergewöhnlichen Maßnahme“ werde weiterer Zuzug unterbunden, „mit dem Ziel, eine soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung der zugewanderten Flüchtlinge zu verhindern“. Nur noch in Ausnahmefällen gebe es Zuweisungen auf diese Quote, sagt Julia Muth, Wilhelmshavens Pressesprecherin, etwa bei „familiären Bindungen zu bereits hier lebenden Personen“.

In Braunschweig rechnet Adrian Foitzik, Referatsleiter Kommunikation, vor, dass seine Stadt 2016 die vom Land zugewiesene Quote von 437 Menschen zu 99 Prozent erfüllt habe. Dafür hat Braunschweig 2017 nicht einmal halb so viele Menschen aufgenommen wie vorgesehen. Im laufenden Jahr sind es bis dato 68 Prozent. Bis Ende September erwarte er weitere Zuweisungen, sagt Foitzik.

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