piwik no script img

Die WahrheitHeiliges Baby

Anke Richter
Kolumne
von Anke Richter

Neues aus Neuseeland: Das Warten ist endlich vorbei, das Kind ist um 16.45 Uhr geschlüpft, 3,31 Kilo schwer und pumperlgesund.

D as Warten ist endlich vorbei: Neve Te Aroha Ardern Gayford ist da! Alle, die bei diesem Namen nicht sofort ein verzaubertes Lächeln im Gesicht haben und in einen Oxytocin-Rausch verfallen, müssen Barbaren oder mindestens Australier sein. Denn für uns säkulare Kiwis ist das frisch geworfene Baby unserer Premierministerin so heilig wie die Ankunft des Christuskindes fürs Abendland, nur mit Vollkörperbefruchtung und Social Media. Blessed be the fruit!

Ein ganzes Volk strickte monatelang Mützchen und bekam Phantom-Wehen. Doch der Stichtag – 17. Juni – kam und ging, aber keine Fruchtblase platzte. Spannender hätte auch der Countdown zur königlichen Hochzeit im Hause Windsor nicht sein können. Als sich Jacinda Ardern endlich letzten Donnerstag ins Krankenhaus von Auckland bringen ließ, zitterten wir weiter. Dann kam das erlösende Instagram-Foto: um 16.45 Uhr geschlüpft, 3,31 Kilo schwer und pumperlgesund. It’s a girl!

Erstaunlich eigentlich, dass keine rosa Fahnen vor dem Parlament in Wellington wehten oder Menschenmassen euphorisch mit Babyrasseln durch die Hauptstadt zogen. Denn nichts macht uns gerade so stolz wie die Tatsache, dass wir nicht nur das zweitjüngste weibliche Staatsoberhaupt der Welt haben, sondern dass die 37-jährige nach 30 Jahren die Erste ist, die im Amt Mutter wird – noch nicht mal ein Jahr nach Antritt. Außerdem ist Ardern DJ. Und nicht verheiratet. How cool is that!

Und dann der Name! „Neve“ bedeutet auch Schnee. Wir sind mitten im tiefsten Winter. Jacinda Ardern sprach von der Winterwende und von Matariki, dem gerade stattfindenden Maori-Neujahr, das tiefe spirituelle Bedeutung hat. Dass sie ihrem Kind als Zweitnamen „Te Aroha“ verpasste – die Liebe – ließ auch das letzte hormonresistente Herz überquellen. Der Berg, in dessen Schatten in der Kaimai-Region sie aufwuchs, heißt auch Te Aroha. So bicultural!

Anfang dieser Woche steigerte sich unsere kollektive Baby-Ekstase, als Mama Jacinda die Klinik verließ und uns ein kleines Video präsentierte, auf dem sie den Krankenschwestern dankte. Sie strahlte so natürlich, sie sprudelte über vor Glück und Dankbarkeit und am Ende machte sie noch ein Witzchen über Papa Clarke, der eine gemütliche Daddy-Strickjacke angezogen hatte. Kleiner Kameraschwenk: „Aus dem Second-Hand-Laden in Gisborne.“ Netter hätte man keine moderne, bodenständige und schöne Politikerin präsentieren können. Trump, take that!

Ardern will nach sechs Wochen wieder zurück an den Schreibtisch. Partner Clarke Gayford macht erst mal Pause beim Fernsehen und wird Vollzeitvater. Jetzt wollen wir wissen: Was geschieht mit der Plazenta? Ein Maori-Politiker bot der Premier­ministerin an, dass sie ihren Mutterkuchen nach guter alter Stammessitte in Waitangi verbuddeln dürfe – ein Ort, der den Maori heilig ist. Doch das gab bereits böse Proteste: Eine Weiße habe dort nichts verloren. Cultural appropriation!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Anke Richter
Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!