Literaturpreis für „Liebesroman“: Worte, die einem den Atem rauben
Die Kroatin Ivana Sajko erhält für „Liebesroman“ den Internationalen Literaturpreis. Sie erzählt vom Scheitern eines Pärchens in einem korrupten System.
Etwa in der Mitte von Ivana Sajkos Buch „Liebesroman“ erinnert sich die Protagonistin an die Zeit, als noch alles schön war. Es ist eine „tausend Jahre“ zurückliegende Sommernacht mit einem jungen Mann, in der sich der glitzernde Nachthimmel mit dem glitzernden Meer vereint und die Protagonistin mit dem jungen Mann, der später ihr Ehemann und der Vater ihres Kindes werden sollte.
Die Autorin Ivana Sajko ist in Kroatien geboren und aufgewachsen. Kroatien besteht aus wenig mehr als der Küstenregion, also der Gegend, in der sich Himmel und Meer treffen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die meisten realen Liebesgeschichten in diesem Land am Meer beginnen und jedes Liebespärchen mindestens eine Erinnerung an aufregende Nächte am Meer hat. Sajko gibt zwar weder dem Ort noch den Protagonisten ihres Romans Namen. Dass er in Kroatien spielt, ist allerdings aufgrund einiger lokaler wie historischer Andeutungen durchaus denkbar. Genauso könnte sich aber das Drama des Pärchens – mit der Miete im Rückstand, mit ihrer Beziehung am Ende – auch in jedem anderen kleineren Land abspielen, in dem es Korruption und Vetternwirtschaft besser geht als den Restfischbeständen des Mittelmeers.
So jedenfalls empfindet es der männliche Protagonist, seines Zeichens arbeitsloser Autor, der die Tage auf der Couch vor dem Fernseher verbringt und seine eigene Situation mit der des bankrotten Griechenland aus den Nachrichten vergleicht. Auch wenn sich die Protagonistin in „Liebesroman“ nicht mit Griechenland vergleicht, ähnelt ihre Lage durchaus dem entwürdigenden Umgang, den Griechen seitens der EU erfahren. Die Mutter und Ehefrau ist freischaffende Schauspielerin, die sich wegen mangelnder Aufträge für Großfirmen als sexy Werbeträgerin auf Verkaufsveranstaltungen zum Affen macht.
Mit jeder Seite des Romans katapultiert sich das Pärchen gemeinsam und individuell immer weiter in die Ausweglosigkeit. Vom Weg in die Totalkatastrophe können sie nicht mehr abbiegen. Am Ende müssen sie sich von ihrer Wohnung trennen, voneinander und vom Leben. Dass Politik und Gesellschaft den Einzelnen nicht nur peripher tangiert, sondern grob angreift, prägt das Leben in Ländern wie Kroatien, wo die Folgen von Krieg, katholischer Kirche und Korruption, von europäischer und finanzieller Randexistenz den Alltag ausmachen.
Hilflos gegen die korrupte Elite
„Liebesroman“ erzählt davon, wie der Einzelne sich vom Großen entmachten lässt und inwieweit er sich dagegen wehren kann. Ivana Sajko lässt den arbeitslosen und frustrierten Ehemann, der sich mit seiner Frau derart streitet, dass die Nachbarn ständig die Polizei rufen, irgendwann auch auf die Straße gehen und an einer Demonstration gegen die korrupte Elite teilnehmen. Doch es befriedigt ihn nicht, sondern macht ihn noch hilfloser. Denn er sieht, dass es sich der Zorn der Demonstranten zu einfach macht, sich gegen die Falschen richtet.
Als 2016 in Kroatien ein protofaschistischer Kulturminister ernannt wird, der politische Säuberungen in Theatern, Medien und anderen Kulturinstitutionen vornimmt, gründete Ivana Sajko mit einer Gruppe aus Literaten, Theaterleuten, Künstlern und Intellektuellen die Initiative der „Kulturnjaci“, die die Absetzung des Kulturministers fordert. Tausende, darunter auch internationale Intellektuelle wie Beate und Serge Klarsfeld und Étienne Balibar, unterzeichneten den Aufruf.
„Dieser Mann wurde installiert, um uns zu bekämpfen“, sagte mir Ivana Sajko damals, als ich sie zu einem Interview traf. Mit „uns“ meinte Sajko alle, die in Kroatien rassistische, chauvinistische, nationalistische Tendenzen offen thematisieren. Unabhängige Künstler sind eben immer zugleich die kulturellen Werbeschilder der Nation, andererseits die Ersten, die in politisch und ökonomisch fragilen Zeiten zum Feindbild werden.
Beklemmend intensiv
Inzwischen sind über zwei Jahre vergangen, Ivana Sajko ist nach ihrem Stipendium des DAAD in Berlin geblieben. Sie überlässt beim Schreiben immer der Sprache die Oberhand. Die Geschichte erzählt sich dann nicht mehr durch den Plot, sondern durch eine beklemmende Intensität, die die Ausweglosigkeit, die sublime und offene Aggression und das Scheitern und Stolpern der Protagonisten durch Worte und Bilder beschreibt, die einem den Atem rauben. In Deutschland wird ihre Arbeit endlich ausgezeichnet. Von Ivana Sajko, die auch als Regisseurin europaweit erfolgreich ist, sind bereits mehrere Romane übersetzt worden.
Für „Liebesroman“, der im Verlag Voland & Quist erschien, erhält sie nun den mit 20.000 Euro dotierten Internationalen Literaturpreis, der morgen im Berliner Haus der Kulturen der Welt verliehen wird. Gleichzeitig wird ihre Übersetzerin, die für die Vermittlung zeitgenössischer kroatischer Literatur eminent wichtige Alida Bremer, ausgezeichnet. Sehr zu Recht. Denn eine adäquate deutsche Entsprechung für die lyrische Sprache Sajkos zu finden, ist eine ebenso große künstlerische Leistung.
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