: Des Volkes Stimme
Auch am Rande des eigentlich friedlichen Schafstags im Tuchmacher-Museum Bramsche erregt der Wolf die Gemüter
Von Harff-Peter Schönherr
Es gibt Tage, an denen fallen die Widersprüche des Lebens besonders verstörend ins Auge. Der vergangene Sonntag war so ein Tag. Da rief das „Tuchmacher-Museum“, Bramsche, Landkreis Osnabrück, zum „Schafstag“. Und manch sonntagsherzig pinkgestylte Drittklässlerin, die noch Minuten zuvor auf der Wiese am Fluss verzückt Schafsschnäuzchen gestreichelt hatte, stand wenig später an der Grillttheke der Fleischerei Sostmann, eine Lammwurst in der Hand. Liebe geht eben auch durch den Magen.
„Aktionen und Markt mit und rund ums Schaf“ hatte das Museum ein bisschen holprig auf seine Flyer drucken lassen. Klar, dass an Tagen wie diesem die „Spinngruppe“ des Heimatvereins Lengerich ihre blauweißen Trachten anzieht. Klar, dass es eine Kids-Rallye gibt. Klar, dass Backwaren in Schafform über den Tresen gehen, und selbstgestrickte Wollsocken, so dick wie Polarschlafsäcke.
Ein „Schafstag“ liegt für das „Tuchmacher-Museum“ in Bramsche nahe. 400 Jahre lang war die Stadt bei Osnabrück ein Zentrum der Textilproduktion und Schafwolle der Hauptrohstoff ihrer Tuchmacher. Warum neben dem alten Maschinenpark, vom Krempelsatz bis zum Selfaktor, nicht auch mal das Tier selbst zeigen, ohne dass es hier keine Färber-Zinnkessel und Gilden-Insignien gäbe?
Ein heller Tag, warm, nicht zu sonnig. Ein Tag, wie gemacht für Familienausflüge. Ein Tag sorgloser Gesichter. „Kuck mal, die kleinen Öhrchen!“, „Och, wie süüüüüß!“
Aber manchmal, da kippt es dann ein bisschen. Zum Beispiel an diesem Stand für Schafsmilchprodukte. Denn da klebt ein Plakat: „Aktionsbündnis aktives Wolfsmanagement“. Groß drauf, natürlich, formatfüllend, ein Wolf. Ziemlich grimmig. Wie viele der 2.000 Besucher des „Schafstags“ wohl wissen, dass dieses Bündnis auch schon mal Anti-Wolf-Mahnfeuer abhält und in verbaler Treibjagd „die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben von Menschen“ beschwört? Wer nachfragt: Jagdgenossenschaften stecken dahinter, Lobbyisten der Weidetierhalter. Ein Wort, das sie gern mal in den Mund nehmen: Abschuss.
Das Schaf? Ein unschuldiges Opfer, lernen wir hier, bedroht vom Bösen der Wildnis, und dass die eigentlichen Opfer natürlich die Schäfer sind. Seltsam nur, dass das schießwillige Bündnis nicht merkt, wie unfreiwillig komisch es rüberkommt, wenn in der rechten unteren Ecke des Plakats mit dem grimmigen Wolf ein „I love Weidetiere“ zu sehen ist, Herzchen inklusive. Klar, dass auch der Wolf Weidetiere mag! Fein eingezäuntes Futter. Ich kann rein, die können nicht raus: Guten Appetit.
Propaganda contra Wolf? Minuten später, hinten auf der Wiese am Fluss, mit Blick auf die dicht umlagerten Holzgehege der Guts- und Klosterschäferei Langen, lässt Kerstin Schumann, die Museumsleiterin, an ihrer Haltung zu dem Plakat keinen Zweifel: „Hat hier nichts zu suchen! Aus dieser Wolfsdiskussion halten wir uns komplett raus.“ Dann, noch eindringlicher: „Wir sind da neutral! Absolut neutral!“ Aber das Plakat des Aktionsbündnisses hängt dort vorne doch? Schumann lässt sich beschreiben, wo. Macht sich auf den Weg.
Gast beim Schaftstag in Bramsche
Swaledale-Schafe hat die Guts- und Klosterschäferei mitgebracht. Und auch sie werden so inbrünstig gestreichelt, dass ihr Fell eigentlich längst weggerubbelt sein müsste, bis runter auf die Haut. Ein mischwolliges Landschaf, lernen wir. Leider sind die Infokästchen zu Körpergewicht und Widerristhöhe leer. Aber dafür steht da was zum Vliesgewicht (1,5 bis 3 Kilo) und zum Ablammergebnis (100 bis 150 Prozent). Dann wissen wir das jetzt also.
Nebenan werden Schafe geschoren, fast im Sekundentakt. Zack, auf den Rücken, Rasierer drüber, fertig. 283 Tiere werden hier heute ihre Wolle verlieren. Erläutert wird dazu leider nichts. Ein paar knorrig aussehende Herren im Bauerndress hantieren an einer Lautsprecherbox, aber bis auf vereinzeltes Knacken und Pfeifen tut sich nicht viel. Macht aber auch nichts. Man sieht ja, was passiert.
Aber da sind dann eben auch diese Misstöne. Zum Beispiel von diesem dröhnend jovialen Typ am Stehtisch. Der in Kindernähe Sachen raunt wie: „Wenn ihr wüsstet, was da nachts vor eurer Haustür rumstreift, würdet ihr den blanken Horror kriegen!“ Pause. „ISEGRIMM!!!“ Da ist sie wieder, die Wolfs-Verteufelung.
Gut, er gehört nicht zu den Schäfern, die Museumsleiterin Schumann engagiert hat. Aber er dominiert im Moment die Wiese. Man hört ihm zu. Also redet er weiter. Gibt den Bodenständigen, den Auskenner, inszeniert sich als Volkes besorgte Stimme gegen „diese ganzen romantischen Wolfsspinner“, die natürlich „alle keine Ahnung haben“.
Warum die „deutsche Heide“ bald keine Heide mehr sei? „Wenn da der Wolf ist, sind da keine Schafe. Wenn da keine Schafe sind, wuchert alles zu. Logisch, oder?“ Der Wolf, der sei wie ein psychisch Kranker. „Und was machste mit psychisch Kranken? Sperrst sie weg!“ Tierschützer, von Greenpeace bis Peta? „Alles Idioten!“
Zum Völkischen ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Denn nicht nur Wölfe „stehlen sich zu uns rein“, auch „die Ausländer“. Braune Anspielungen häufen sich jetzt, blaue auch. Dazwischen ein paar Splitter Öko. Und dann sind „diese Türken“ dran. „Klauen mir nachts die Schafe von der Weide! Schlitzen denen die Kehle auf! Kein anständiger Schuss, Bolzen in den Kopf, tot, human erledigt – die lassen die einfach verrecken!“ Pause: „Und die Eingeweide, die schmeißen sie bei mir an den Zaun!“
Wolf gleich Ausländer, der sich reinstiehlt? Heißt das dann, dass wir Einheimischen allesamt Schafe sind? Der Mann springt von Thema zu Thema. Gedankenebenen vermischen sich, unentwirrbar. Ein verwackeltes Smartphone-Video wird gezeigt, angeblich ist ein Wolf drauf, der einen angeketteten Hund angreift.
Eine Viertelstunde lang geht das so. Auch von KZ ist die Rede („aber das darf man ja heute nicht mehr sagen, dann schreiense ja gleich alle“). Und dann kommt dieses Szenario. „Landstraße, Nacht. Wolf wird angefahren. Polizei kommt, darf da nicht draufhalten. Tierarzt sagt dir: Ich lass mir jetzt mal extra Zeit. Na, was machste? Klar, nochmal drüberrollen, und jeder ist happy.“ Kerniges Lachen. „Kannste ja nicht leiden lassen …“ Eine Familie, die, nur Schritte entfernt, gerade ihre Picknickdecke ausgebreitet hat, packt wieder ein.
Der Schafstag im Tuchmacher-Museum, diese freundliche, friedliche Veranstaltung, hat so einen Auftritt nicht verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen