: Mietenbremse gebremst
In Hamburg entscheidet ein Gericht über die Wirksamkeit der Mietpreisbremse. Weil die Behörde sie zu spät begründete, droht ihr Aus. Für Nachbesserungen bleibt kaum Zeit
Von Marco Carini
Kippt die Mietpreisbremse in Hamburg? Am heutigen Vormittag wird das Hamburger Landgericht im Berufungsverfahren über die Klage eines Mieters aus Hamburg-Ottensen entscheiden. Gibt das Gericht, wie zu erwarten, der Klage nicht statt, dürfte die Mietpreisbremse für Hamburg, wie Mietervereins-Vorstand Siegmund Chychla sich ausdrückt, „praktisch tot“ sein.
Der Fall bietet alle Voraussetzungen, um die Mietpreisbremse anzuwenden. Der Mieter, der nach Einführung der Mietpreisbremse im September 2015 in die Wohnung in der Bleickenallee einzog, zahlt weit mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete plus zehn Prozent – ein Satz, den die Mietpreisbremse zur Mietobergrenze erhebt. Danach käme der Kläger auf höchstens 9,63 Euro pro Quadratmeter, tatsächlich zahlen muss er aber 14,01 Euro.
Doch das Amtsgericht Altona rügte in erster Instanz vor genau einem Jahr, dass die Mietpreisbremse in Hamburg überhaupt nicht gelte, weil der Senat sie 2015 bei ihrer Einführung nicht ausreichend und öffentlich begründet und dies erst im Mai 2017 nachgeholt habe. Während der mündlichen Berufungsverhandlung ließ das Landgericht durchblicken, dass es geneigt sei, sich der Rechtsauffassung der ersten Instanz anzuschließen.
Für die Stadtentwicklungsbehörde ist das, was das Amtsgericht ihr vorwirft, das ganz normale Prozedere. Es entspreche der „üblichen Vorgehensweise“, erklärt Behördensprecherin Barbara Ketelhut, beim Erlass von Verordnungen deren Begründungen nicht zu veröffentlichen. Das sei nur bei Gesetzen der Fall. Dieser Meinung schloss sich das Amtsgericht St. Georg in einem anderen Mietpreisbremsen-Verfahren an. Es erklärte im Gegensatz zum Amtsgericht Altona die Mietpreisbremse im Juni 2017 für wirksam und urteilte, die fehlende Begründung könne auch „nachgeliefert“ werden, was kurz vor dem Urteil geschehen war.
Die Mietpreisbremse ermöglicht es den Bundesländern, Gebiete zu angespannten Wohnungsmärkten zu erklären, wenn sie das belegen. In diesen Gebieten darf bei Vertrags-Abschluss die Miete nur zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Für bestehende Mietverträge gilt die Grenze nicht. Neubauten, die nach Oktober 2014 erstmals vermietet wurden, sind nicht erfasst.
Bremen führte die Mietpreisbremse am 1. Dezember 2015 ein. Sie gilt dort allerdings nur im Stadtgebiet, nicht in Bremerhaven.
Schleswig-Holstein führte die Preisbremse ebenfalls zum 1. Dezember 2015 in zwölf Gemeinden ein, unter anderem in Hornum, Norderstedt, Barsbüttel, Glinde, Halstenbek und Wentorf. Auch in Kiel gilt die Regelung sowie auf Sylt.
Niedersachsen führte Ende 2016 die Bremse ein in Braunschweig, Buchholz, Buxtehude. Göttingen, Hannover, Langenhagen, Leer, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück, Vechta, Wolfsburg. Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum.
Seit den beiden entgegengesetzten Richtersprüchen herrscht Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit der Mietpreisbremse in Hamburg. So betont etwa der Hamburger Anwalt Dirk Quasten, „aufgrund der unsicheren Wirksamkeit der Mietpreisbremse“ gebe es ein hohes Klagerisiko sowohl für Mieter als auch für Vermieter. Doch damit dürfte es am heutigen Donnerstag nun ein Ende haben – vermutlich zu ungunsten der Mieter, die Mammut-Mieten berappen müssen, wie sie die Verordnung eigentlich verhindern wollte.
Fest aber steht schon heute: Aufgrund vieler Ausnahmeregelungen und der unklaren Rechtslage fand die Mietpreisbremse in Hamburg bislang nur in ganz wenigen Fällen Anwendung – das Instrument gegen Mietwucher verkam zum zahnlosen Tiger. Mietervereins-Vorstand Chychla spricht von einer „niederschmetternden Bilanz“ der Bremse. Die Linke hält „Nachbesserungen für dringend notwendig“ und auch die SPD denkt über ihre Verschärfung nach. Problem dabei: Jede Novelle kostet Zeit, die Mietpreisbremse ist aber bundesweit zeitlich begrenzt. Im Jahr 2020 läuft sie aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen