piwik no script img

Flüchtlingshelfer in Frankreich angeklagtKann Solidarität eine Straftat sein?

Drei Flüchtlingsunterstützer nahmen zusammen mit hundert anderen an einem Protestmarsch in den Alpen teil. Jetzt stehen sie vor Gericht.

Protest gegen leichtere Abschiebung (Symbolbild). Was passiert mit der Solidarität, wenn sie kriminalisiert wird? Foto: ev/Unsplash

Paris taz | Vor dem Strafgericht von Gap in Südfrankreich standen am Donnerstag drei junge Leute: die 27-jährige Italienerin Eleonora L. und die beiden Schweizer Bastien S. und Theo B. Vorgeworfen wurde ihnen laut Anklageschrift „Beihilfe beim illegalen Grenzübertritt“ in einer „organisierten Bande“. Das tönt sehr gravierend, und ein Blick ins Strafgesetzbuch reicht, um zu begreifen, dass auf dieses Delikt bis zu zehn Jahre Haft und 750.000 Euro Geldstrafe stehen. Der Paragraf ist für den Kampf gegen kriminelle Schlepperorganisationen gedacht, die mit ihrem Geschäft das Flüchtlingselend skrupellos ausbeuten. In diesem konkreten Fall wird das Gesetz aber nicht gegen Mitglieder der Bande einer Schleppermafia angewandt, sondern gegen MitbürgerInnen, die aus humanitärer Überzeugung den Flüchtlingen helfen, welche oft unter Lebensgefahr die italienisch-französische Grenze überqueren wollen.

Die drei Angeklagten erschienen am Vormittag lächelnd vor dem Gerichtsgebäude, vor dem sich bereits zahlreiche Freunde zur Unterstützung eingefunden hatten. Eine ältere Frau trug ein Schild vor der Brust, auf dem zu lesen war: „Auch ich bin eine Delinquentin der bandenmäßigen Solidarität“.

In einem offenen Brief in Le Monde hatten 121 Prominente dagegen protestiert, dass mit dieser Anklage eine der drei Devisen der Republik (Liberté, Egalité, Fraternité), die Brüderlichkeit, mit Füßen getreten werde. Unter den Unterzeichnenden finden sich bekannte Linkspolitiker, SchauspielerInnen wie Juliette Binoche, SchriftstellerInnen wie Fred Vargas und JMG Le Clezio. Die Initiative zu diesem Appell stammt von Cedric Herrou, einem lokalen Olivenbauern, der mehrfach wegen seiner aktiven Hilfe für Flüchtlinge am Grenzpass La Roya festgenommen und angeklagt worden war.

Auch am 22. April waren Theo, Eleonora und Bastien nicht allein. Sie nahmen zusammen mit rund hundert anderen an einer Kundgebung für Flüchtlinge und gegen rechtsextreme Ausländerfeinde teil. Am Tag zuvor hatten nämlich Mitglieder der rechtsradikalen „Génération identitaire“ am italienisch-französischen Grenzübergang beim Bergpass Col de l’Échelle in den Südalpen einen symbolischen Grenzwall errichtet, um ihren Forderungen nach strikten Grenzkontrollen zur Verhinderung der Einwanderung Nachdruck zu verleihen. Beim Protestmarsch gegen diese Aktion gelangten am Tag danach etwa zwanzig Flüchtlinge mit den Demonstranten über die „grüne“ Grenze nach Frankreich. Es kam dabei auch zu einer kurzen Konfrontation mit der Polizei. Diese hatte zuvor nichts gegen die illegale Blockade der „Identitären“ unternommen.

Delinquentin der bandenmäßigen Solidarität

Plakat einer Demonstrantin

Eleonora, Bastien und Theo wurden nach Ansicht ihrer Anwälte ziemlich willkürlich zusammen mit drei anderen herausgepflückt. Sie verbrachten anschließend neun Tage in Untersuchungshaft im Gefängnis von Marseille und mussten sich danach in Gap dem Gericht zur Verfügung halten. Wie problematisch die Kriminalisierung der Solidarität ist, gesteht indirekt sogar die Staatsanwaltschaft ein. Sie hat ebenso wie ein Teil der Verteidiger gewünscht, dass vor der eingehenden Behandlung der Anschuldigungen das oberste Verfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Anklage prüft.

Denn bei der kürzlichen Revision der Asyl- und Immigrationsgesetze wurde die strafrechtliche Verfolgung von Flüchtlingshelfern explizit ausgesetzt, wenn bei der „Beherbergung, Verpflegung oder medizinischen Hilfe für Ausländer die Wahrung ihrer physischen Integrität und Würde“ das Motiv ist und keine „direkte oder indirekte Entschädigung“ erfolgt. Wie diese Rechtsprechung jetzt ausgelegt werden soll, müssen die Verfassungsrichter entscheiden. Nach einer kurzen Verhandlung mit einem Plädoyer des ehemaligen Vorsitzenden der französischen Menschenrechtsliga, Henri Leclerc, wurde darum der Prozess auf einen späteren Zeitpunkt verschoben – es sei denn, die Anklage wird fallen gelassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Wer gegen Gesetze verstösst und dabei erwscht wird, wird demenstprechend behandelt.

    Gerde wenn dies Vorsätzlich durchgeführt wird. Das der Anwalt seine Klienten als Unschuldig darstellt liegt in der Natur seiner Tätigkeit . .

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Urbaner:

      Es gibt aber auch den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Wenn ein Mensch der Gefahr des Erfrierens ausgesetzt ist, stelle ich nicht die Frage, ob er Flüchtling ist oder nicht.

      Wenn ich einen Menschen per Anhalter mitnehme, bin ich nicht verpflichtet nach seinen Papieren zu fragen, nur weil er anders aussieht. Und genau das verlangen die französischen Berhörden von den Leuten.

  • Solidarität als Geisteshaltung ist natürlich nicht strafbar. Wenn aus dieser Haltung heraus allerdings Straftaten begangen werden dann ist das natürlich eine ganz andere Angelegenheit und offensichtlich ein Fall für die Justiz. Das ist auch schon der Kern der Sache. Hier wird ja häufig in Kategorien wie Solidarität oder Hass gedacht und es wird sich schnell emöprt, wenn die Justiz nicht auch entlang dieser Linien Recht spricht. Nach diesen Vorstellungen richtet sich die Justiz zum Glück nicht (häufig), aber es offenbart die autoritäre Seite von Dingen die hier gerne als empathisch / solidarisch und genuin positiv verkauft werden.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @Januß:

      Kann Ihnen nur zustimmen!

  • Diese merkwürdige Eingangsfrage lässt auf ein konfuses Rechtsverständnis schließen. Selbstverständlich kann Solidarität eine Straftat sein, wenn und soweit durch die solidarische Handlung gegen ein Strafgesetz verstoßen wird. Die Solidarität ist per se ja auch kein Entschuldigungsgrund.

     

    Dies gilt ganz ungeachtet der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Straftat vorliegt oder nicht. Das haben die Gerichte zu beurteilen.

     

    Diese Art der Eingangsfrage ist keine Fake-News sondern eher so eine Art Troll Überschrift, da sie auf die Provokation insbesonderer rechtstreuer Leser abziehlt.

    • @DiMa:

      Ihre Erklärung ist die eines Juristen im Beamtenapparat. Seit wann ist ein Gesetz mit Moral verbunden? Denken Sie mal nach!

      • @Nico Frank:

        Ein Gesetz muss nichts mit Moral zu tun haben. Das macht die Eingangsfrage ja nicht besser bzw. hat mit der schrägen Eingangsfrage nicht zu tun.

    • @DiMa:

      Gesetze sind keine Frage der Moral. Gesetze sind eine Frage der (repräsentativen) Mehrheiten. Devisen wie die der französischen Republik (Liberté, Egalité, Fraternité) sind weder das eine noch das andere. Sie sind einfach eine Frage der Tradition.

       

      Es verdankt sich vermutlich einem Wegfall des externen Korrektivs, dass diejenigen internen Widersprüche westlicher Gesellschaften, die nicht mehr rückstandsfrei aufgelöst werden können, seit 1989 deutlich zugenommen haben. Vielfach scheint deswegen nur noch Symbolpolitik möglich zu sein. Die allgemeine Begriffsverirrung ist in dem Zusammenhang kein großes Wunder. Ich kenne das schon aus den letzten DDR-Jahren.

       

      Die Überschriften-Redaktion der taz trägt nicht unbedingt immer zur (Auf-)Klärung bei an diese Stelle. Dazu provoziert sie immer noch zu gerne. Sie soll schließlich (ausschließlich) für Aufmerksamkeit sorgen. Über deren Grenzen denkt sie offenbar zu selten nach.

       

      Trollen ist eine mediale „Kinderkrankheit“. Ob sie sich verwächst, hängt von vielen Komponenten ab. Unter anderem von der Souveränität jedes einzelnen Mitarbeiters. Verantwortung – und ich meine hier nicht nur die Zuständigkeit – kann schließlich nur der wahrnehmen (lernen), der sie tatsächlich übertragen bekommt.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Ob eine Handlung eine Straftat sei, ist allein eine juristische Frage. Ob sie es sein sollte, eine moralische. Damit dürfte die Antwort auf die Fragestellung des Artikels klar sein.

    • 9G
      96830 (Profil gelöscht)
      @80576 (Profil gelöscht):

      Die Verfassung hat so Einiges über Moral zu sagen, schließlich braucht man einen moralischen Rahmen für Gesetze.

      Und was in der Verfassung steht geht vor anderen Gesetzestexten.

      Das ist fast nie "klar", weswegen die Experten(!) hier auch sagen dass sie da noch eine Menge klären müssen.

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Gerade da ist man sich ja noch nicht sicher:

       

      "Denn bei der kürzlichen Revision der Asyl- und Immigrationsgesetze wurde die strafrechtliche Verfolgung von Flüchtlingshelfern explizit ausgesetzt, wenn bei der „Beherbergung, Verpflegung oder medizinischen Hilfe für Ausländer die Wahrung ihrer physischen Integrität und Würde“ das Motiv ist und keine „direkte oder indirekte Entschädigung“ erfolgt. Wie diese Rechtsprechung jetzt ausgelegt werden soll, müssen die Verfassungsrichter entscheiden."

      • @Jan Berger:

        Voila - en point.

         

        Nu. Der Rest für die Tonne!;)

        &

        Schönen Restsonntag noch!

      • @Jan Berger:

        Die Überschrift ist ja ganz allgemein gefasst und bezieht sich nicht auf den Einzelfall. Hierin liegt das Problem.

         

        Solidarität kann ja alles bedeuten. Aus Solidarität kann ich einen Flüchtling auf meinem Boot mitnehmen. Das ist Solidarität und ganz sicher nach vielen Rechtsordnungen strafbar.

  • Kann Solidarität mit Flüchtlingen eine Straftat sein?

    Das ist eine außerordentlich interessante rechtsphilosophische Fragestellung. Ich meine, es kommt darauf an, wer an der Macht ist. So konnte man mit einer Todesstrafe belegt werden, wenn man zu Zeiten von Hitlerdeutschland einen jüdischen Zivilisten bei der Flucht aus Deutschland behilflich war oder sie vor dem Zugriff der Nazi Schergen versteckte.

     

    Organisierte früher ein DDR Bürger gemeinsam mit Westbürgern, die Flucht von Bürgern aus Ostdeutschland, war der DDR Bürger in der DDR ein Krimineller und im Westen ein redliche Fluchthelfer, der sogar von der BRD entschädigt wurde.

    Warum ist der Eine kriminell, weil er einem syrischen Flüchtling die Flucht organisiert und dafür Geld erhält, der andere aber nicht.

    Es ist eine reine Machtfrage.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Ja, wenn Solidarität zur Folge hat, dass Masseneinwanderung das aufnehmende System sozial- und somit auch sicherheitspolitisch überlastet und gefährdet. Solidarität kann somit eine schwere Straftat sein, weil sie die Fundamente des Zusammenlebens attackiert und die gesamte Gesellschaft gefährdet.

    • @97796 (Profil gelöscht):

      Das, mit Verlaub, ist eine Schimäre, eine abenteuerliche Konstruktion.

      Die gesamte Gesellschaft wird gefährdet dadurch, dass z.B. in Deutschland das Kapital 1/3 des Volkseinkommens bezieht - und sich der Steuerpflicht darauf auch noch fast vollständig entzieht. Das kann sich eine Gesellschaft schlicht nicht leisten!

      Aber Flüchtlinge sind halt praktische Sündenböcke.

      "Haltet den Dieb" war doch immer ein praktisches Ablenkungsinstrument!

  • Ob die bloße Anwesenheit bei einem illegalen Grenzübertritt ohne aktive Teilnahme aus rechtlicher Sicht als Straftat zu werten ist, kann ich nicht einschätzen. Sollte sich die Gesetzeslage in Europa in diese Richtung entwickeln, sollte dagegen (!) protestiert werden.

     

    Wenn jedoch aktiv von den Angeklagten an dem Rechtsbruch mitgewirkt wurde, dann müssen sie (auch stellvertretend) zur Verantwortung gezogen werden.

     

    In der Flüchtlingskrise sind leider zu oft Regeln außer Kraft gesetzt worden, dass viele annehmen, dass mit Unterstützung von Flüchtlingen alles zu rechtfertigen ist. Erinnert sei an die zurückgenommenen Strafzettel für das Falschparken am Bahnhof von Kiel (und anderswo) für die Willkommensspender ... eine Petitesse, aber eben auch ein Sinnbild.