Aus für „Interview Magazine“: Kein Hochglanz-Smalltalk mehr
Das einst von Andy Warhol gegründete Magazin wird eingestellt. Zu finanziellen Nöten kamen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung hinzu.
Mit welcher berühmten Person würde ich gern einmal zu Abend essen? Ein kurzes Gedankenspiel, das jedem bekannt sein dürfte. Beim Lesen des US-amerikanischen Interview Magazine wirkt es, als würde diese Wunschvorstellung für kurze Zeit in Erfüllung gehen. Denn hier kamen die ganz großen Prominenten aus der Musik-, Film-, Kunst- und Modebranche zu Wort und unterhielten sich über ihr Lieblingsrestaurant oder ihre extremste Drogenerfahrung. Der Small Talk, der sich meist über mehrere Seiten zog, gab den Leser*innen das Gefühl, ihren Lieblingsstars einmal wirklich nah zu sein.
Laut Medienberichten wird das von Andy Warhol gegründete Lifestylemagazin nun nach fast 50 Jahren eingestellt. Am vergangenen Mittwoch bestätigte ein Redakteur gegenüber CNN, dass das Magazin aus finanziellen Gründen mit sofortiger Wirkung seine Print- und Onlineausgabe stoppt.
In den vergangenen Monaten ist das Hochglanzmagazin vor allem negativ aufgefallen. Im Februar musste die Redaktion ihr Büro in SoHo in New York verlassen, angeblich wegen nicht gezahlter Miete. Der ehemalige Redakteur Fabien Baron und Stylistin Ludivine Poiblnac verklagen den Herausgeberverlag Brand Publications, da ihnen Honorare in Höhe von 600.000 Dollar nicht ausgezahlt worden sein sollen.
Doch nicht nur finanzielle Schwierigkeiten belasteten das Magazin. Anfang des Jahres erschien ein Artikel in The Boston Globe, in dem verschiedene Models Fotografen, Stylisten und Casting-Direktoren der sexuellen Belästigung beschuldigten. Einer von ihnen war der Stylist und Creative Director des Magazins, Karl Templer. In einem offenen Brief wies er die Vorwürfe zurück und bezeichnete sich selbst als einen Unterstützer der #MeToo-Bewegung. Kurz darauf trat er jedoch von seinem Posten beim Interview Magazine zurück.
Gespräche wurden aufgenommen und abgetippt
In den ersten Jahren führte Warhol die Interviews selbst – meist auf Partys im Studio 54. Bei den dortigen Gesprächen ließ er einfach das Tonband mitlaufen. Gemeinsam mit dem britischen Journalisten John Wilcock gründete er 1969 das Magazin, in dem die Aufnahmen schriftlich veröffentlicht wurden. Das Besondere daran: Die Gespräche wurden bloß abgetippt und dann ungekürzt und unredigiert ins Heft übernommen.
Später wurde das Prinzip so verändert, dass Prominente nun andere Prominente interviewten. Heraus kamen interessante Gespräche voller Nichtigkeiten. So unterhielt sich Warhol 1982 einfach mit Michael Jackson über andere berühmte Menschen. 2017 verglichen Beyoncé und ihre Schwester Solange die lustigsten SMS ihrer Mutter.
Von Beginn an bestand das Magazin weitgehend aus Werbung, der redaktionelle Inhalt füllte bloß 30 Prozent. Doch die aufwendig gestalteten Anzeigen unterschieden sich kaum von den Modestrecken im Blatt. Auffallend waren dabei immer die Cover – ob künstlerisch gestaltet oder provozierend. Viele der Abgebildeten wurden erst zu Stars, weil Warhol sie zu solchen erklärte. Seit 2011 erscheint in Russland eine Lizenzausgabe des Hochglanzmagazins.
Nur ein Jahr später folgte eine deutsche Ausgabe. Auf Anfrage der taz werde die Einstellung der amerikanischen Ausgabe keine Auswirkung auf die deutsche haben. „Wir sind juristisch und verlegerisch absolut eigenständig, und auch unsere Markenrechte sind nicht betroffen“, sagte Geschäftsführer und Chefredakteur Bernd Runge.
Heute gibt es Instagram
Die deutsche Ausgabe syndizierte laut Runge zuletzt nur noch sporadisch Inhalte aus der amerikanischen Ausgabe; ein Grund, warum im deutschen Heft die ganz großen Stars etwas weniger werden.
An diese heranzukommen wird zudem immer schwieriger: Hinter jedem Superstar steht mittlerweile ein großes Management, Interviews finden meist nur noch für 20 Minuten im Hotelzimmer statt. Mit dem Fortschritt der Digitalisierung wird es gerade für Magazine wie dem Interview Magazine schwer. Denn Einblicke in den Alltag der Superstars liefert heute Instagram.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten