Sozialistisches Online-Magazin: „Ada“ schreibt über den Klassenkampf
„Eine neue linke Stimme“ will „Ada“ sein. Der deutsche Ableger des erfolgreichen US-Magazins „Jacobin“ ist nun online gegangen.
Ach, wie romantisch! Ein sich küssendes Paar im Hochzeitsdress sitzt auf einer Mauer. Eine junge Liebe – Harmonie. Das Foto könnte das Cover eines x-beliebigen Heile-Welt-Magazins zieren. Doch weit gefehlt: Das Bild prangt neben dem Aufmachertext des am Montag gestarteten Magazins Ada. Und bei Ada geht es nicht um Kuschelkitsch, sondern um harte Gesellschaftsanalyse. Das sozialistische Online-Medium will „zeigen, was ist und „zeigen, was geändert werden muss.“ Und genau das macht Chefredakteurin Sarah Nagel. Sie schildert, wie Hochzeitskitsch Menschen von den Härten des Arbeitsalltags ablenken soll.
Anstatt sich vom vermarktbaren Cinderella-Ehetraum korrumpieren zu lassen, solle man lieber auf die materielle Ebene der Heiratsgesellschaft Deutschland schauen: Ehegattensplitting, das Frauen in schlecht bezahlte Minijobs drängt, Kinderbetreuung und Hausarbeit, die ebenfalls nach wie vor hauptsächlich von Frauen verrichtet wird und die Ehe als heimeliger Rückzugsort gegen den immer weiter ins Private vordringenden Kapitalismus.
Ein kurzer Blick auf die Magazin-Startseite zeigt schnell, in welche Richtung es geht: Klassenkampf, Sozialismus, und das laute Nachdenken über eine bessere Welt. Gastautor Ralph Neumann analysiert den Zusammenhang zwischen der Förderung von Wohneigentum und der Verdrängung Einkommensschwacher. An anderer Stelle wird der Einfluss des Freihandels auf den internationalen Drogenschmuggel problematisiert.
„Eine linke Stimme zu den aktuellen Entwicklungen“ will Ada laut Sarah Nagel sein. Eine Stimme, die auch über aktuelle Diskurse und Grenzen hinausschaut. Deshalb auch der Name Ada – türkisch für Insel. Wobei es nach Angaben der Redaktion nicht darum geht, auf der Insel zu verbleiben, sondern von dort aufzubrechen. Drei bis fünf Texte möchte man künftig wöchentlich online stellen. Finanziert wird das Projekt von privaten Spendern. Acht Redakteure arbeiten bei Ada – alle ehrenamtlich. Einige sind bei der Linkspartei aktiv.
Eines haben jedoch alle gemeinsam. „Wir haben alle Jacobin schätzen gelernt“, sagt Nagel. Jacobin ist ein sozialistisches US-Magazin, das seit 2010 erscheint und mit dem Ada-Magazin kooperiert. Mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren gilt Jacobin mittlerweile als wichtigste Publikation der sozialistischen Linken in den USA. Ein Teil der Ada-Texte sind aus Jacobin übernommen.
Konsequent materialistisch
Bezeichnend für den essayistischen Journalismus des in New York erscheinenden Magazins ist die konsequent materialistische Ausrichtung der Berichterstattung. Arbeitskämpfe, Ausbeutung und das Leben unter kapitalistischen Produktionsbedingungen prägen die Berichterstattung weit mehr als identitätspolitische Fragestellungen.
Auch das Ada-Magazin will sich laut Nagel „mehr an materiellen Fragestellungen“ orientieren. „Ada übersetzt von Politsprech in Normaldeutsch (…) ohne komplexe Gedanken und Argumente unter den Teppich zu kehren“ heißt es auf der Homepage des neuen Magazins.
So ganz gelingt das allerdings noch nicht. Mehrere der langgezogenen Essays greifen Diskurse auf, die eher innerhalb linker Subströmungen diskutiert werden. Besonders niederschwellig ist eine Referenz zur „Zwangsläufigkeit der revolutionären Zuspitzung“ jedenfalls nicht.
Auch stilistisch dürfte Ada nicht ganz den deutschen Lesegepflogenheiten entsprechen. Ellenlange Essays über geklaute Unterhosen als Metapher für die mangelnde Bindungskraft linker Bewegungen mag den Lesegewohnheiten US-amerikanischer Jacobin-Abonnenten entsprechen. Deutsche Leser sind jedoch zumeist an den Schreibstil gewöhnt, der an den hiesigen Journalistenschulen gelehrt wird. Ihnen dürfte der verspielte und wenig formalisierte Schreibstil – vor allem in den übersetzten Texten – zunächst fremd vorkommen.
Doch dieser Stil könnte auch ein Erfolgsrezept für Ada sein. In Deutschland mangelt es zwar nicht an linken Publikationen – wohl aber an linken Texten mit unterhaltsamem und nicht-dozierendem Schreibstil. Eine echte Lücke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins